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Berlin taz | Geht es nach der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung,
schauen die bezirklichen Anlaufstellen für Bürger:innenbeteiligung
demnächst in die Röhre. Allen Lobliedern auf einen „Rekordhaushalt“ 2024/25
zum Trotz soll auch hier der Rotstift angesetzt werden – und das denkbar
radikal.
Gab es bislang 250.000 Euro pro Jahr und pro Bezirk für die
Beteiligungsbüros, sind künftig nur noch gut 133.000 Euro vorgesehen. Die
Anlaufstellen beraten Berliner:innen und die Bezirke bei
Beteiligungsformaten, vor allem bei Bau- und Stadtentwicklungsprojekten,
nach eigenen Angaben in steigendem Maße. „Die geplante Kürzung der Mittel
hätte zur Folge, dass wir die Aufgaben in diesem Umfang nicht mehr erfüllen
können“, heißt es in einem jetzt veröffentlichten Hilferuf von Büros aus
acht Bezirken an das Abgeordnetenhaus.
„Für die Bezirke ist das fatal“, sagt Susanna Kahlefeld der taz. Die
Sprecherin für Engagement und Beteiligung der Grünen-Fraktion verweist
darauf, dass die Anlaufstellen nach jahrelanger Aufbauarbeit nun endlich
„in die Hufe gekommen“ seien und loslegen wollen. Sie ist überzeugt: „Die
Kürzung ist rein politisch motiviert.“ Denn [1][Stadtentwicklungssenator
Christian Gaebler] sei Bürger:innenbeteiligung genau so ein Graus
wie seinem Amtsvorgänger Andreas Geisel (beide SPD).
Tatsächlich hatte auch Andreas Geisel 2022 bei den letzten
Haushaltsverhandlungen keine Scheu gezeigt, über Kürzungen die Axt an
vereinbarte Beteiligungsprojekte anzulegen. Damals sollte es für die
Anlaufstellen auf 153.000 Euro pro Bezirk runtergehen. Das Vorhaben
scheiterte letztlich am erbitterten Widerstand der Koalitionspartner Grüne
und Linke.
## SPD-Fraktion will mal schauen
Inzwischen ist Rot-Grün-Rot Geschichte und im Koalitionsvertrag von CDU und
SPD läuft das Thema Bürger:innenbeteiligung unter ferner liefen.
Hendrikje Klein von den Linken ist deshalb auch nicht überrascht, dass die
SPD-Verwaltung die Gunst der Stunde zu nutzen versucht, um die
Anlaufstellen zu rasieren. Auch Klein spricht von einer „gezielten
Maßnahme“. Die Sprecherin für Bürger:innenbeteiligung der
Linksfraktion sagt der taz: „Es gibt so viele Bauvorhaben, werden die
Mittel gekürzt, können die Büros adäquate Beteiligungsformate kaum noch
gewährleisten.“
Die SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill sagte jetzt der Berliner Morgenpost,
dass man mal schauen will, ob man im Rahmen der Haushaltsverhandlungen da
noch was machen könne. Radziwill war bis zur Wiederholungswahl
Staatssekretärin unter Beteiligungs-Tabula-rasa-Senator Andreas Geisel.
Susanna Kahlefeld traut den Worten aus der SPD-Fraktion dann auch nicht.
Wobei die Grünen-Politikerin beim Blick auf die Kürzungspläne noch an etwas
anderes erinnert: „Ausgerechnet diejenigen, die jetzt die Strukturen in den
Bezirken schleifen, wollen auf der anderen Seite eine stadtweite
Bürger:innenbefragung zur Randbebauung des Tempelhofer Feldes.“
Sobald es um die eigenen [2][Bebauungsphantasien] gehe, werde plötzlich auf
die Relevanz von Beteiligungsformaten gepocht.
Nicht nur in der Opposition, auch beim Verein „Mehr Demokratie“ schrillen
angesichts der bekannten Kürzungspläne die Alarmglocken. „Das ist schwer
nachvollziehbar“, sagt Bundesvorstandsmitglied Marie Jünemann der taz.
„Demokratie entsteht doch vor der Haustür.“
Da beschwere man sich allerorten, dass populistische Erzählungen und
Politikverdrossenheit überhand nähmen – und dann trete man
[3][Partizipationsprojekten] wie den Anlaufstellen in den Berliner Bezirken
bewusst gegen das Schienbein. Jünemann sagt: „Eigentlich brauchen wir nicht
weniger und auch nicht genauso viel Budget wie zuvor, sondern sogar mehr.“
12 Sep 2023
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