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Der gute alte Küchentisch erfährt zurzeit nie erahnte Weihen. Denn am
Küchentisch von Freunden – der eigene war wohl nicht repräsentativ oder
aufgeräumt genug – verkündete Robert Habeck in einem Video seine
Kanzlerkandidatur für die Neuwahlen im Februar. „An Tischen wie diesem
kommen Menschen zusammen“, singt der Wirtschaftsminister das Hohelied auf
den Küchentisch. Und wird nostalgisch: „An einem Küchentisch habe ich mich
vor 22 Jahren entschieden, in eine Partei einzutreten.“
Die Küche als Krönungssaal, der Küchentisch als gralsartiger Königsmacher
und Symbol des Sendungsbewusstseins: Eine solche Karriere hätte sich der
bescheidene kleine Holzkerl sicher nicht im Traum ausgemalt. Denn – hier
werden auch wir nostalgisch – lange Zeit musste eine Küche ungemütlich
sein. Das befahl der unausrottbare Geist eines preußischen Ethos, in dem
sich vor allem Ein- und Zweizimmerwohnungen klassischen Zuschnitts bis
heute zeigen. Viel Zweck und wenig Liebe erfüllten diese Küche. „Hier wird
gekocht“, strahlte sie auf acht Quadratmetern (minus popelfarbenem
Einbauschrott) aus, „und zwar möglichst einfallslos. Hier hat man keinen
Spaß, hier hält man sich nicht länger auf.“ Raus hier! This is not a Love
Song!
Entsprechend präsentierte sich der dazugehörige Küchentisch. Wenn es
überhaupt einen gab, passte gerade mal so ein mickriger Zweisitzer rein,
ein Notsitz wie in einem Sportwagen, ein Rudiment wie der Beckenknochen
eines Wals. Eines der stiefmütterlichsten Möbel in der Wohnung, kaum besser
beleumdet als die Kloschüssel. Geeignet für ein freudloses Müsli am Morgen,
einen schnellen Kaffee, dann nichts wie weg.
Ab den 1980er Jahren änderte sich langsam die Einstellung zur Küche und
damit auch zum Küchentisch. In großen Bürgerwohnungen wurde die Kochstube
aufwändig in repräsentativere Räume verlegt und die alte Küche wurde zur
Rumpelkammer degradiert. Das steht ihr besser. In zusammengelegten, aber
auch in luxusrenovierten Wohnungen, Townhouses und Dachgeschossen wurde so
die Wohnküche zunehmend populär, teils sogar mit Kochinsel. Das gilt im
neuen Jahrtausend nun als Lebensart und Wohnkultur. Ähnlich muss sich der
Germane gefühlt haben, als er die Keule wegwarf, um zum weltläufigeren
Schwert zu greifen. Und der Küchentisch wuchs natürlich mit, in Größe und
Bedeutung. Auf diese Weise wurde er zum sozialen, kulturellen und
spirituellen Zentrum einer Wohnung.
## Die politische WG-Küche
Das galt erst recht, wo eine Bürgerwohnung von einer WG genutzt wurde oder
Teil eines (ehemals) besetzten Hauses war. Dort redeten sich auch weniger
Privilegierte bei billigem Rotwein in verqualmter Luft die Köpfe heiß.
Nicht selten war die Wohnküche der am besten beheizbare Raum, was wiederum
ihre fast schon vergessenen Ursprünge zitiert: Im Bauernhaus scharten sich
in langen Winternächten vier Generationen und viel Vieh um den großen Tisch
in der gemütlichen Küche. Auf der warmen Ofenbank schnarchte mit der Katze
auf dem Schoß die Oma, bis sie friedlich starb.
Solche WG-Reminiszenzen und deren hygge Vertrauenswürdigkeit sind es, mit
denen Robert Habeck hier spielt. Die politische WG-Küche hat in ihm ihren
postmodernen Nachnutzer gefunden. Allerdings sitzt er da nun allein,
nüchtern und sogar rasiert. Auf einmal wird an Küchentischen Weltpolitik
gemacht. Aber die ist ja immer ein einsames Geschäft.
Vielleicht deshalb bietet er gegen Ende seines Clips Küchengespräche für
Interessierte an, die ihn an ihren Küchentisch einladen. Das klingt
reizvoll, aber leider habe ich bislang nur eine der besagten Rumpelkammern
anzubieten.
17 Nov 2024
## AUTOREN
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