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Die Hiobsbotschaft kam am Mittwochmorgen pünktlich zur neuen
Verhandlungsrunde mit der Gewerkschaft IG Metall: Der Gewinn sei im dritten
Quartal um fast zwei Drittel eingebrochen, meldete Volkswagen,
währenddessen das Management mit Kündigungen, Werksschließungen und
Lohnkürzungen droht. Nicht umsonst war Konzernchef Oliver Blume tags zuvor
Gast [1][beim Industriegipfel von Kanzler Olaf Scholz (SPD)] in Berlin. Das
größte deutsche Industrieunternehmen ist sinnbildlich für die gegenwärtige
Krise der deutschen Wirtschaft.
Deutschland setzt vornehmlich auf die Exportstärke seiner Industrie.
Jahrelang fuhren Politik und Wirtschaft damit auch gut. Doch spätestens
seit der Coronakrise stottert der Motor und droht nun endgültig den Geist
aufzugeben. Die Politik berät deswegen eifrig mit der Wirtschaft, was zu
tun sei. Neben Scholz lud FDP-Finanzminister Christian Lindner am Dienstag
Wirtschaftsvertreter zu einer Konkurrenzveranstaltung ein. Die Frage ist,
ob die Maßnahmen, die derzeit diskutiert werden, die richtigen sind. Sie
zielen nämlich vornehmlich darauf ab, die einstige Exportstärke wieder
herzustellen.
Dass etwas getan werden muss, liegt auf der Hand. Bereits vergangenes Jahr
ging die Wirtschaftsleistung zurück. [2][Sie droht dieses Jahr wieder zu
schrumpfen]. Deutschland ist damit unter den großen Industrieländern
Schlusslicht – dass die Wirtschaftsleistung im Sommer überraschenderweise
leicht gewachsen ist, scheint daran wenig zu ändern. Denn die
Industrieproduktion liegt deutlich unter dem Niveau des Jahres 2021. Das
Risiko besteht, dass der Arbeitsmarkt kippt. Statt Fachkräftemangel könnten
bald Massenentlassungen das bestimmende Thema werden. Insbesondere gut
bezahlte Industriejobs sind in Gefahr.
Wenn FDP-Fraktionschef Christian Dürr nach dem Lindner-Treffen von
„Richtungsentscheidungen“ sprach, dann meinte er damit, dass nun vor allem
Entlastungen für die Unternehmen kommen sollen. Darüber ist die Ampel sich
trotz Koalitionsstreit auch weitgehend einig. Denn Neues kam bei den beiden
Wirtschaftsgipfeln nicht heraus. Dafür liegen die Maßnahmen bereits auf dem
Tisch: Bürokratieabbau, niedrigere Unternehmensteuern, Investitionsanreize
und Senkung der Stromsteuer wie Netzentgelte sollen die deutsche Wirtschaft
in der Welt wieder wettbewerbsfähiger machen.
Doch ist das wirklich wünschenswert? Der immense Exportüberschuss, den
Deutschland jahrelang einfuhr, war nämlich ein zweischneidiges Schwert. Der
Internationale Währungsfonds (IWF) kritisierte diesen in den 2010er Jahren
regelmäßig. „Wenn es zu exzessiven Ungleichgewichten kommt, wenn es
ausufernde Ungleichheit gibt oder Instabilität im Finanzsystem, das alles
ist schlecht für die Stabilität und für nachhaltiges Wachstum“, mahnte etwa
die damalige IWF- und jetzige EZB-Chefin Christine Lagarde im Jahr 2017 an.
Diese Fixierung auf den Export fällt Deutschland vor allem auch jetzt auf
die Füße. Sie hat die Wirtschaft zu abhängig vom Weltmarkt gemacht. Denn
die Industrie hat nicht allein wegen zu viel Bürokratie und zu hoher
Energiekosten Probleme: Es ist vor allem auch die veränderte Weltlage, die
das deutsche Geschäftsmodell ins Wanken bringt.
Die beiden wichtigsten [3][außereuropäischen Handelspartner China und USA
geraten immer mehr in Konkurrenz miteinander] und schotten ihre heimischen
Märkte zunehmend ab. Statt nach China verkaufen zu können, müssen deutsche
Unternehmen jetzt anderswo mit stark subventionierten chinesischen Firmen
konkurrieren. Und wenn Donald Trump nächste Woche die Wahlen gewinnen
sollte, drohen weitetere Importzölle. Ein neue Ära des Freihandels ist
dagegen nicht in Sicht.
## Nicht nur angebotsorientiert
Deswegen braucht es eine Politik, die die Wirtschaft resilienter gegen
Einflüsse von außen macht, die mehr die Binnen- als die Exportwirtschaft
stärkt. Deswegen sollte ein Konjunkturprogramm nicht nur aus Maßnahmen
bestehen, die Ökonomen als „angebotsorientiert“ bezeichnen würden, also die
Unternehmen stützen. Es braucht auch Maßnahmen, die die Menschen im Land
unterstützen. Denn wenn sie verunsichert sind und kein Geld mehr haben, ist
das auch schlecht für die Konjunktur.
Dies zeigt sich bereits in der gegenwärtigen Krise: Volkswagen schwächelt
auch, weil hierzulande weniger Autos verkauft werden. Denn die realen
Einkommensbußen seit der Coronakrise sind noch immer nicht gänzlich
kompensiert; gleichzeitig sind die Menschen verunsichert, wie es in den
nächsten Monaten und Jahren weitergeht. Sie sparen deswegen lieber ihr
Geld, statt es auszugeben.
Es braucht Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Menschen ihre Jobs
behalten. Investitionsanreize, wie sie Wirtschaftsminister Robert Habeck
(Grüne) vorschlägt, sind also besser als pauschale Steuernachlässe.
Strompreisrabatte für die Industrie könnten an die Verpflichtung zur
Beschäftigungssicherung geknüpft werden. Gleichzeitig ist der Vorschlag
eines Social-Leasing-Modells, das Elektroautos für kleinere Einkommen
erschwinglicher macht, sympathisch. Auch sollte über eine
Wohnungsbauoffensive nachgedacht werden. Schließlich ist auch die
Baubranche in einer Krise und die Wohnraumfrage in den Städten des Landes
das drängendste soziale Problem.
## Bitte nicht die Lohnnebenkosten anrühren
Der größte Fehler wäre, jetzt an den Lohnnebenkosten zu schrauben. Das
fordern die Arbeitgeber wieder lauter. Doch würde dies Kürzungen im
Sozialstaat bedeuten. Und für eine Sache gibt es in der Geschichte genug
Beispiele: dass Sparprogramme Krisen nur noch schlimmer machen.
Stattdessen muss der Staat gerade in Zeiten des Abschwungs investieren,
weil dann nur er dazu in der Lage ist. Und es gibt derzeit genügend
Baustellen, die bei der öffentlichen Infrastruktur und Transformation
dringend angegangen werden müssten. Doch dafür bedarf es einer
Richtungsentscheidung, für die die FDP nicht bereit ist. Sie müsste ihren
Fetisch Schuldenbremse aufgeben.
30 Oct 2024
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