|
BERLIN taz | Daniela Cavallo ließ in Wolfsburg die Katze aus dem Sack: „Der
Vorstand will in Deutschland mindestens drei VW-Werke dichtmachen. Er
behauptet: Ohne einen solchen Einschnitt geht es nicht“, erklärte die
Betriebsratschefin am Montag im Stammwerk des Autobauers vor rund 25.000
Beschäftigten. Zehntausende Arbeitsplätze stünden hierzulande auf dem
Spiel. Gleichzeitig drohten der verbliebenen Belegschaft empfindliche
Gehaltseinbußen. Diese könnten sich laut Betriebsrat auf 18 Prozent
summieren.
Nicht nur in Wolfsburg sprachen Betriebsratsvertreter*innen am Montag vor
der Belegschaft. In allen zehn deutschen VW-Standorten gaben sie an die
Werktätigen weiter, was sie zuvor von der Unternehmensspitze erfahren
haben. Denn kein Werk soll laut den Plänen des Managements verschont
bleiben. Die, die nicht geschlossen werden, sollen kleiner, schlanker,
profitabler werden.
Über die Pläne berichtete zunächst das Handelsblatt. Dass nicht die
Konzernführung, sondern der Betriebsrat vor die Belegschaft trat, zeigt die
angespannte Lage bei VW. So mahnte Cavallo: „Es ist der Vorstand, der hier
alles angezündet hat. Und dann weggelaufen ist.“ Gleichzeitig lasse das
Management „noch immer nicht den Hauch eines Zukunftsplans“ erkennen.
[1][Bereits im September hatte der Autobauer wichtige Tarifverträge wie die
seit drei Jahrzehnten bestehende Beschäftigungssicherung gekündigt.] Auch
Betriebsschließungen brachte er ins Spiel. Schon diese Ankündigung glich
einem kleinen Erdbeben. Denn keine andere Marke steht für die deutsche
Industrie wie VW. Mit einem weltweiten Umsatz von rund 322 Milliarden Euro
und rund 120.000 Beschäftigten allein in Deutschland ist der Gesamtkonzern
das größte Industrieunternehmen des Landes. Auch ist VW die beliebteste
Automarke Deutschlands. Knapp 39.000 Fahrzeuge der Marke wurden allein im
September neu zugelassen.
## Problemkind E-Auto
Doch sind das 7,4 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Der Konzern spürt,
dass die Menschen weniger neue Autos kaufen. [2][Vor allem das Geschäft mit
den Elektroautos schwächelt], auch weil es an günstigen Modellen fehlt.
Erst ab 2027 soll ein Modell in der Preisklasse um 20.000 Euro produziert
werden.
Die Unternehmensführung spricht deshalb von rund 500.000 Autos, die VW zu
wenig verkauft. „Nur wer erfolgreich wirtschaftet, kann auch sichere
Arbeitsplätze anbieten“, verteidigt Finanzvorstand von Volkswagen Pkw,
David Powels, die Kürzungspläne. „Um die dafür notwendigen Investitionen zu
ermöglichen, muss allein die Marke Volkswagen Pkw im Jahr 2026 eine Rendite
von 6,5 Prozent erwirtschaften.“
Die Krise des Autobauers wird vermutlich auch Thema bei den Gipfeltreffen
sein, die diesen Dienstag in Berlin stattfinden. [3][Kanzler Olaf Scholz
und Finanzminister Christian Lindner haben dazu separat
Industrievertreter*innen eingeladen.] Während sich Scholz mit
Vertretern von Industrie und Gewerkschaften trifft, empfängt Lindner unter
anderem die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) zu einem eigenen
Mittelstandsgipfel.
Die Lobbyisten werden dabei vor allem günstigere Energie fordern. „Eine
zentrale Aufgabe für die Politik besteht darin, für die Breite der
Unternehmen eine dauerhaft stabile wie wettbewerbsfähige Energieversorgung
zu sichern“, sagte etwa DIHK-Präsident Peter Adrian der Rheinischen Post.
BDI-Chef Siegfried Russwurm fordert schon länger eine Senkung von
Stromsteuer und Netzentgelten.
Für beides offen zeigte sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
(Grüne) in seinem vergangene Woche vorgestellten Eckpunktepapier zur
Stärkung der Wirtschaft. Denn neben wachsendem Protektionismus und
verstärkter Konkurrenz aus China beklagt die exportorientierte Industrie
vor allem auch im internationalen Vergleich zu hohe Energiepreise.
## Arbeitskämpfe allerorten
Wirtschaftsexperten glauben jedoch kaum, dass von den kursierenden
Vorschlägen noch etwas umgesetzt wird: „Ein bisschen ratlos macht einen die
Flut an Wirtschaftsrettungs- und Wachstumsinitiativen, Wummsen oder Turbos
schon – zumal Scholz’ Treffen sogleich vom Gegengipfel seines
Finanzministers konterkariert wird“, sagt der Direktor des Instituts der
deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Denn mit der Umsetzung auch nur
irgendeiner dieser Ideen sei in dieser Legislatur kaum zu rechnen, weil
über entscheidende Fragen kein Konsens herrsche.
Derweil gehen am Mittwoch die Tarifgespräche bei Volkswagen weiter. „Wir
wollen Standorte, Auslastung und Beschäftigung langfristig absichern. Wenn
die Chefetage den Abgesang Deutschlands einläuten will, muss sie mit einem
Widerstand rechnen, den sie sich so nicht ausmalen kann“, kommentierte
IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger.
Dabei ist VW zwar das größte Industrieunternehmen, in dem die
Tarifgespräche von Kämpfen um den Erhalt von Arbeitsplätzen überschatten
sind, aber bei Weitem nicht das einzige. In weiten Teilen der Metall- und
Elektroindustrie ist die Stimmung schlecht.
Auf die Forderung nach 7 Prozent mehr Gehalt einigte sich die
Tarifkommission der IG Metall für die derzeit laufenden
Flächentarifgespräche in der Branche – diese Hausmarke strebt die
Gewerkschaft eigentlich auch bei VW an. Bei einer Umfrage der Gewerkschaft
sprachen sich rund ein Drittel der befragten Branchenbeschäftigten für eine
Forderung von 8 Prozent und mehr aus. Doch jede*r Zehnte hielt angesichts
der offenbar prekären Lage maximal 4 Prozent für gerechtfertigt.
28 Oct 2024
## LINKS
|