# taz.de -- Die Kunst der Woche: Der Fund ist erst der Anfang

> Beim Goldrausch-Jahrgang 2024 sind Entschuldigungen kostspielig und
> gefundene Materialien gut gemischt. Dazwischen herrscht komplex
> durchdachtes Chaos.
Einkaufstüten von H&M, von Hermès, Vera Moda, Gucci oder Kenzo fallen als
erstes in der Goldrausch-Ausstellung im [1][Kunstraum Bethanien] auf. Auf
dem Boden um ein Sideboard gruppiert, werden sie auf dem Möbelstück von
niedlichen Plüschtieren, weitere Tüten und Päckchen mit üppigen Schleifen
ergänzt, und daneben, auf dem Boden, von einer Bernina-Nähmaschine. Das
Arrangement von Belia Zanna Geetha Brückner sieht nicht superinteressant
aus, hat es aber in sich. Denn wie der Titel „Hard to say I’m sorry“ schon
sagt, geht es um Entschuldigungsgeschenke, um Wiedergutmachungsversuche.

Angesichts von Apple-Verpackungen oder Prada-Tüten spielt sich das in
wohlhabenden Kreisen ab oder es geht um große Verfehlungen (früher, in
längst vergangenen Zeiten gab es einen Nerzmantel für die betrogene
Ehefrau). Bei kleineren Vergehen kommt Mann mit einem Blumenstrauß davon,
wie sie Brückner im ersten Raum rechts in schöner Folge aufgereiht hat. Wie
entschuldigt man sich? Wann muss oder kann man vergeben? Was wollen wir
heute essen? Wie stellt sich die Frage im Gefängnis?

Solche Probleme des banalen Alltags und anderere Zwangslagen untersucht
Belia Zanna Geetha Brückner in ihren Installationen, und kann dabei ebenso
komplexe wie gerne übersehene institutionelle oder persönliche
Machtverhältnisse offenlegen und analysieren, wie sie sich manifestieren
und konstituieren – und wo und wann sie die Gesellschaft und den Einzelnen
in den Wahnsinn treiben.

Es lohnt sich also genau hinzuschauen und das gilt auch für die anderen 14
Künstlerinnen* des Goldrausch-Jahrgangs 2024, gerade weil hier nur auf
einige von ihnen eingegangen werden kann, wie zum Beispiel auf Laura
Nitsch. Sie arbeitet mit den Archiven der Arbeiterklasse, um die
Verbindungen zwischen Begehren und Ökonomie, Arbeit und Freundschaft,
Eigentum und Bildung, Klassenkampf und Kollektivität aufzuspüren und ihre
Geschichte neu zu erzählen.

Konkret handelt die Videoinstallation „Violett“ von zwei Arbeiterinnen, die
sich um 1914 wegen „widernatürlicher Unzucht“ in Wien vor Gericht
verantworten mussten. Das lesbische Paar habe sich ohne „produktiven Grund“
im öffentlichen Raum aufgehalten, was nach dem Vagabundengesetz von 1885
verboten war. Unwillkürlich denkt man an die jüngst verschärften
Taliban-Gesetze über „Laster und Tugend“, die weibliche Stimmen in der
Öffentlichkeit kriminalisieren.

Laura Nitsch kombiniert in ihrer 45 Minuten langen Videoinstallation
abstrakte Filmbilder mit alten Dokumentaraufnahmen, mit Zeichnungen,
Dokumenten, Schriftzügen, begleitet von einem eigens komponiertem Sound.
Fotografien floaten langsam über die Leinwand oder leuchten nur kurz auf.
Das Tempo ist verlangsamt, was die einzelnen filmischen Mittel mit großer
Bedeutung auflädt. Im kostbaren Erzählduktus eine nachholende Würdigung der
lebenslang verächtlich gemachten Protagonistinnen zu sehen, liegt nahe.
Diesem Ansatz zu folgen, bedarf allerdings einer großen Portion Geduld.

Das diesjährige Motto von Goldrausch, dem Weiterbildungsprogramm, bei dem
Künstlerinnen* Techniken lernen, um ihrer Arbeit mehr Öffentlichkeit zu
geben, lautet „I only work with lost and found“. Es geht also um verlorene
und wiedergefundene Geschichten, aber auch Materialien, wie im Fall von
Isabelle Heske oder Marel Loellmann.

Während Heske Stoffreste, Bänder und Schleifen zu großformatigen abstrakten
Kompositionen montiert, in denen Stimmungen und Affekte aus Mode, Musik und
Popkultur aufscheinen, geht es Loellmann vor allem um die Materialität,
auch wenn ihre handgewebten Tonband-Bänder nicht weniger Glamour haben als
Heskes „Serenade of Material Girls“ (Stoff mit Goldkette). Aus Asche und
verschiedenen Erden mischt Loellmann ihren eigenen Beton, den sie mit
Leder, Seide zu beeindruckenden Wandteppichen collagiert.

Die malerische Analogie zu ihren komplexen Montagen findet sich in den
Bildern von Eglė Otto, die zwischen Abstraktion und Figuration changierend,
traditionelle Geschlechterrollenbilder kritisch sezieren. Otto verbindet
eine exquisite Farbpalette – ein gern senfgelber Hintergrund, ein
Philip-Guston-pinker Fleischton, ein grelles Grün und ein in allen
Schattierungen immer interessantes Blau – mit formaler Raffinesse. Sie kann
wuchtige Körpermassen luftig-schwebend und funktional mehrdeutig ins Bild
setzten und hier und da mit Händen und bestrumpften Beinen ganz konkret
werden.

Die schiere Komplexität, besser Chaos genannt, herrscht bei Mizi Lee,
Gründerin der K-Pop-Punk-Band „Horizontaler Gentransfer“ (HGT) und
Gesamtkunstwerkerin, wie ihr mit Keyboards, Designersessel, Drumsets, um
nur einige herausragende Stücke zu benennen, voll ausgestatteter Raum
zeigt. Daneben finden sich witzige und zugleich formal durchdachte Arbeiten
– einmal als Video und einmal als Zeichnung – wie „Ich als steigendes
Pferd“ nach der Skulptur von Peter Otto Heim.

6 Sep 2024

## LINKS
[1] https://kunstraumkreuzberg.de/programm/goldrausch-2024/
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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