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Vom Bonner Kreuzberg aus lässt sich der Kölner Dom meist ganz gut sehen.
Sogar bei mittelprächtigem Wetter: ein düster-schwarzes [1][Irgendwas am
Horizont im Norden,] rund 30 Kilometer Luftlinie entfernt, davor die
Schornsteine von Wesseling, davor auch die sanften Hügel des schlicht
„Vorgebirge“ benannten Höhenzugs, wo der Bornheimer Spargel wächst und man
das Rebellenblut keltert – Rebellenblut ist ein Brombeerwein.
Sein Erfinder, Wilhelm Maucher, wollte mit dem Rebellenblut gegen Ludwig
Erhards Wirtschaftspolitik protestieren, durch die er die Obst- und
Gemüsebauern des Vorgebirges benachteiligt sah. Maucher war, wie man im
Rheinland halt so ist, streng katholisch. [2][Noch mehr aber war er ein
Rebell].
Schon gegen die Nazis hatte er Flugblätter verfasst und verteilt. Im
Versteck in Roisdorf hatte er den Krieg überlebt. Mit den Grünen hatte
Maucher Anfang der 1980er auf dem [3][Bonner Hofgarten] gegen den
Nato-Doppelbeschluss demonstriert – um dann später auch sie im Streit zu
verlassen.
Wer aus Bonn kommt und seinen Bekannten und Freunden eine Spezialität aus
der Heimat schenken will, die beiläufig an die politische Vergangenheit der
Stadt erinnert, [4][kann also durchaus auf Rebellenblut verfallen], auch
wenn es manchen Kopfweh bereitet: Bonn und das Vorgebirge, das geht gut
nachbarschaftlich ineinander über.
Bonn besteht nun mal im Wesentlichen aus zusammengewachsenen Dörfern mit
ulkigen Namen. So lagern rund um den Kreuzberg: Endenich, Ippen-, Lengs-
und Poppelsdorf. Aus diesen und anderen Käffern hat man zunächst die drei
Städtchen Bonn, Bad Godesberg und, rechtsrheinisch, also op d’r schäl Sick,
Beuel [bœːjəɭ] zusammengepuzzelt, um dann einzusehen, dass sich daraus
bequem und auch eins machen lässt.
Kölns Versuch hingegen, sich das Vorgebirgsstädtchen Wesseling
einzuverleiben, ist vor 49 Jahren kläglich am Widerstand der Kolonisierten
gescheitert: Als am Nikolaustag 1975 das Verfassungsgericht die einjährige
Fremdherrschaft beendet hatte, [5][läuteten in Wesseling alle Glocken]. Vor
Bonn hat keiner Angst. Klare Grenzen, das ist etwas, was es zwischen Bonn
und seinem Umland nicht braucht. Bei Köln hingegen fürchtet man,
unterworfen, gefressen und verdaut zu werden.
Wer aus Köln ein Mitbringsel sucht, wird, weil Kölnisch Wasser nun wirklich
nicht mehr geht, mit Kölsch vorliebnehmen müssen. Das ist ein obergäriges
Getränk. Manche nennen’s boshaft Pferdepisse, andere, noch boshafter, Bier.
Es wird in 0,5-Liter-Flaschen verkauft, aber in 0,2-Liter-Gläsern
ausgeschenkt, damit es schneller weg ist und man mehr davon trinken kann,
um schneller zu vergessen, dass man es trinkt.
In Bonn gab es auch mal eine Kölschbrauerei, Kurfürsten hieß die und warb
damit, dass sie den Brunnen im eigenen Hause habe. Weil dieses direkt neben
dem Zentralfriedhof lag, war das Kurfürsten in Bonn selbst so populär
nicht, und echten Freunden hat man es nicht geschenkt. Dass sie erst im
Jahr 2011 dichtgemacht hat, gehört zu den größten von vielen Wundern, die
sich im Rheinland ereignet haben.
## Napoleon auf dem Kreuzberg
Ein anderes, das aber vielleicht nur eine Legende ist, trug sich zu, als
Napoleon I. hier auf dem Kreuzberg verunglückt ist und sich ein Bein
gebrochen hat, und zwar aus Strafe. Weil er nämlich die vom
Barockarchitekten Balthasar Neumann entworfene Nachbildung der Heiligen
Stiege aus Rom versucht haben soll, mit seinem Schimmel hochzureiten, ein
Sakrileg, schließlich darf man die Stuckmarmorstufen nur im Gebet auf den
Knien rutschend erklimmen.
Wahr ist: Bonaparte hat 1804 in Bonn Station gemacht, und er wäre auch fast
gestürzt, als sein kleinwüchsiger Araberhengst Marengo strauchelte, aber in
Wirklichkeit passierte das nicht hier oben, sondern dicht am Rhein, in der
durch und durch säkularen Vogtsgasse, weshalb Bonn dann, der Kaiser hielt
es für ein Vorzeichen, nicht zur Festung ausgebaut wurde und, in dem Fall
ganz wie Köln, nicht von der Franzosenzeit profitieren konnte.
Manchmal ähneln die eigenen Erfahrungen denen der bewunderten großen
Schwester eben doch, die zu sein ein heimliches Ziel ist und deren
Anerkennung zu ernten so schön wäre, ach, nur einmal so urban sein wie
Köln! So selbstverständlich und unverschämt selbstgewiss. So ordinär,
schmutzig und wundervoll verrucht! Ach Köln, liebes Köln, jetzt schau doch
mal, wie schön Bonn sich schon gemacht hat! Und wie groß es geworden ist!
Das hättest du nicht gedacht, nicht wahr? Deine kleine Schwester!
Zwecklos. [6][Es gibt in ganz Köln keinen einzigen Punkt], von dem aus Bonn
wahrnehmbar wäre, selbst bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel
nicht. Höchstens mit viel Mühe von den Domtürmen aus. Aber da gehen nur
Touris rauf.
Bonn macht das nichts. Bonn kann damit leben, gut leben sogar: Das
Verhältnis zu Köln ist total entspannt. Ein paar Sachen macht man sogar
gemeinsam, den Köln-Bonner-Flughafen etwa, und früher gab’s auch eine
Köln-Bonner-Eisenbahn, weil eine Eisenbahn nur für Köln, das wäre ja
Quatsch gewesen.
Meist schaut Bonn voll Bewunderung, ja ehrfürchtig, aber auch stets mit der
beruhigenden Gewissheit auf Köln, nicht demselben Anspruch der Größe
verpflichtet zu sein und ständig in der Champions League mitspielen zu
müssen. Also gefühlt.
Bonn ist halt einfach so eine Stadt mit hübschem Rathaus, schönem
Marktplatz und aparten Schlössern. Aus Bonn stammt Robert Nikolic, der
torungefährlichste Fußballer, der je in der Bundesliga gespielt hat. Köln
dagegen lebt im Dauerstress, Groß- und Weltstadt sein zu müssen, fiebrige
Metropole wie New York, London, Paris, Tokio oder Hamburg.
## Der Weg in den Größenwahn
Die Kölnstraße ist dementsprechend für Bonner der Weg in den Größenwahn. An
der – damals hieß sie Cölner Chaussee, aber das ändert ja nichts – sie 1873
ihre Psychiatrie errichteten. In einer Bonner Kindheit bis zur
Jahrhundertwende diente der Spruch „dich bringense in die Kölnstraße“ dazu,
jemandem auf Hochdeutsch, also unfreundlich, zu sagen, dass er einen Ratsch
im Kappes habe, also eine mentale Störung aufweise. Ein salopper Spruch mit
bedrohlichem Unterton. Mit Jugendpsychiater Hans Aloys Schmitz hatte 1937
ein Vordenker der Euthanasie die ärztliche Leitung der Kinderanstalt
übernommen, die Otto Löwenstein 1926 als weltweit erste ihrer Art
eingerichtet hatte. An diese [7][humanen Anfänge] anzuknüpfen wurde nach
dem Krieg nicht als dringlich empfunden. Schmitz wirkte dort unbehelligt
noch bis 1965 und lehrte als Professor an der Universität.
Die Uni. Die ist Bonns Stolz und der historische Moment, in dem die Stadt
einmal mit Köln wirklich konkurriert hatte. Und gewonnen – eben weil man
nicht konkurrenzfähig war, weil man nicht wie Köln seit dem Mittelalter
Stützpunkt der Dunkelmänner war, ein finsterer Leuchtturm der katholischen
Lehre.
Da wollte das protestantische Preußen seine Universität in der Rheinprovinz
– das Gebiet hatten sich die Friedrich-Wilhelms beim Wiener Kongress
geschnappt – dann doch lieber nicht hinsetzen. Also wurde es Bonn, das zwar
genauso katholisch, aber dafür nicht so berühmt war.
Möglich war aber eben auch das nur, weil Bonn Aufgaben zugefallen waren,
die von der Stadt Köln nicht mehr wahrgenommen wurden. Die weltliche
Herrschaft ihres Erzbischofs hatten die Kölner Bürger Ende des 13.
Jahrhunderts abgeschüttelt. Zum Beten, Segnen, Messelesen durften ihre
Obergeistlichen noch nach Köln rein. Zum Predigen: wenn’s denn sein muss.
Aber mehr dann auch nicht. Sodass sie, kürzen wir mal ab, Bonn zur
kurfürstlichen Haupt- und Residenzstadt des Erzbistums Köln gemacht hatten.
Ohne die tollen Kölner gäbe es die schöne kastanienbestandene Prachtstraße
nicht, die einen Kilometer lang und sicher 60 Meter breit von der Altstadt
zum Poppelsdorfer Schloss führt, dem Lustschluss der Kurfürsten. Das hat
Joseph Cotte entworfen, der Leibarchitekt des französischen Sonnenkönigs
Louis XIV. Diese 60 Meter breite Poppelsdorfer Allee, muss man wissen, hat
nie den Autos gehört. Die werden hier glücklich an den Rand gedrängt, seit
es sie gibt. Stattdessen findet sich dort die beste Kinderkick- und
Hundekack-Rasenfläche – mittlerweile ist der Köterkot allerdings geächtet
–, die sich in einer deutschen Großstadt nur denken lässt.
## Der Grund für Beethoven
Ohne die Residenz wäre Ludwig van Beethoven nicht hier geboren. Ohne
Hofhaltung keine Hofkapelle und kein Bedarf daran, 1733 seinen Großvater
aus Mechelen als Sänger anzuheuern. Ohne Schlösser auch keine räumliche
Infrastruktur für die Universitätsgründung 1819. Ohne Uni hätte
Eierforscher Alexander Koenig sich nicht in Bonn habilitiert und auch sein
zoologisches Museum wäre nicht gebaut worden.
In dem konnte dann, nachdem die Oberpostdirektion Köln in Rekordzeit
solidarisch 50 Telefonleitungen gelegt hatte, das Grundgesetz ausgebrütet
werden. Und dass der Parlamentarische Rat, auf den Köln keine Lust gehabt
hatte, hier tagte, war ein entscheidender Schritt, um sich 1949 als
Regierungssitz des ehemaligen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer zu
qualifizieren, der kurz zuvor Bundeskanzler geworden war.
Um im Rennen um den Sitz der Regierung gegen Mitbewerberin Frankfurt zu
bestehen, nutzte Bonn die im Umgang mit Köln erlernte und schon in der
Uni-Frage erfolgreich erprobte ostentative demütige Bescheidenheit,
historisch ja doch nur ein unbeschriebenes Blatt, also unbelastet zu sein.
Etwas anderes als ein Provisorium könnte wie ein Verrat an Berlin wirken,
warnte die Rheinlandlobby: „Die Wahl einer großen Stadt mit bestimmter
politischer oder geschichtlicher Prägung könnte leicht als unausgesprochene
Vorbestimmung dieser Stadt zum endgültigen Sitz der zukünftigen
Bundesregierung, auch nach Anschluß der Ostzone, ausgelegt werden.“
Das selbstbewusste Frankfurt hatte zuvor versucht, damit zu überzeugen,
dass es ja ohnehin traditionell Deutschlands heimliche Hauptstadt sei.
Falsche Taktik. Denn mit Berlin musste man ja einfach solidarisch sein,
nach der Blockade. Und „wenn Frankfurt Hauptstadt wird, wird es Berlin nie
wieder“, hatte Ernst Reuter (SPD) seinen Befürchtungen Ausdruck verliehen.
Reuter war damals Oberbürgermeister von Berlin.
Seinem Auftritt auf der Weltbühne als Bundeshauptstadt hatte Bonn von 1949
bis 1999. Ihm verdankt die Stadt kulturelle Infrastruktur wie das Haus der
Geschichte und die Bundeskunsthalle sowie den Langen Eugen, das höchste
Stahlgebäude Deutschlands. Das einstige Abgeordnetenhochhaus ist heute
Herzstück des Campus der Vereinten Nationen. Es wirkt ein bisschen wie ein
peinlicher Finger. Aber seit 70 Jahren macht es die Silhouette Bonns
unverwechselbar, als echtes Wahrzeichen. Also auch dafür herzlichen Dank an
Köln.
Bundeshauptdorf Ohne Nennenswertes Nachtleben, B-O-N-N, das war seinerzeit
so ’n Schmäh, und sischer datt: Um in der Bonner Republik Skandal zu
machen, musste der Militärische Abschirmdienst das Gerücht streuen, ein
General sei im Kölner Tom Tom gesehen worden. Weil, dass es in Bonn auch
schon eine Schwulen- und Lesbenkneipe gab, sogar direkt in der City, das
hätte dem Geheimdienst einfach niemand geglaubt.
Wer von oben auf Bonn schaut, merkt schnell: ohne Nachtleben, mag sein, vor
allem aber gilt: ohne nennenswerte Industrie. Die gibt’s hier nicht. Nicht
mal ruinierte. Und während das arme Köln seit Jahrzehnten ein geeignetes
und finanzierbares Konzept sucht für seine vom Verfall bedrohten
monumentalen, architektur- und technikhistorisch bedeutenden
Produktionsstätten von Motoren, Gummifäden, Bleiweiß, gab’s in Bonn
vielleicht mal eine Aktenordner- und [8][eine stinkende Fruchtgummi- und
Lakritzfabrik].
Sonst hat man, so ähnlich wie bei der Poppelsdorfer Allee mit den Autos,
alle schmutzigen Sachen hier kleingehalten. So ein bisschen, als hätte da
schon früher eine grüne Oberbürgermeisterin das Sagen gehabt. Die Stadt ist
genau mit diesem Rezept hübsch, aber auch reich geworden,
erstaunlicherweise.
Als Modell zur Nachahmung wird das kaum taugen. Aber als Beweis: dass es
ein echter Vorteil sein kann, eine große Schwester zu haben.
23 Oct 2024
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