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Bonn taz | Ich hatte eine Farm in Afrika. Oder eine Hazienda am Fuß des
Siebengebirges. Genau kann ich mich nicht erinnern, die neunziger Jahre
waren wilde Zeiten für Bonner. Am 20. Juni 1991 beschloss der Deutsche
Bundestag im winzigen Plenarsaal des Wasserwerks, Regierung und Parlament
in Kartons zu packen, um in Berlin noch mal neu anzufangen.
Ich stand auf dem Bonner Marktplatz, als Bundestagspräsidentin Rita
Süssmuth mit tränenerstickter Stimme das Ergebnis von einer Leinwand
tremolierte. Wir Eingeborenen quittierten das Votum mit erleichtertem
Grunzen. Endlich konnte Bonn, vom Kölner Adenauer ins Rampenlicht
gezwungen, zur Ruhe finden.
Lediglich die politische Klasse hatte den Umzug zu fürchten. Neben mir
rammte sich ein Regierungsobersekretär eine Bratwurst in den Wanst, ein
Hauptamtsgehilfe stürzte sich in sein Bier. Bald stellte sich heraus, dass
nur die ministeriale Spitze an die Spree ziehen musste, [1][die Verwaltung
blieb breitärschig zwischen Plittersdorf und Hardthöhe sitzen]. Für
Politiker, die nicht nach Berlin ausgewildert werden konnten, wurden
würdige Anschlussverwendungen gefunden: Sozialminister Norbert Blüm saß
halbtags beim Rewe an der Kasse, Hans-Dietrich Genscher verdingte sich als
Nikolaus.
Bald wuchs Gras über die „Bundesmeile“, wie das Regierungsviertelchen in
grotesker Überschätzung seiner Ausdehnung genannt wurde. Doch 1994 trat aus
heiterem Himmel das Berlin/Bonn-Gesetz in Kraft. Zum Ausgleich für den
kapitalen Verlust wurde unser Städtchen mit Fantasiebehörden wie dem
UN-Fledermausreferat oder dem Bundeskartellamt übersät, vor allem aber mit
Kompensationszahlungen geflutet.
Jeder nach Berlin abgängige Beamte wurde in Gold aufgewogen, die
Krokodilstränen der Bonner versilbert. Wir bauten von den Zuwendungen eine
Kolossalstatue unseres [2][Musikmaskottchens Beethoven], die breitbeinig
den Rhein überspannte, mauerten den Ausflugshügel Drachenfels zum
Achttausender auf und ließen Haribo echte Goldbären herstellen, doch
täglich landeten neue Bimbeskähne am Rheinufer an.
## Noch mehr Groschengräber
In ihrer Not fördert die Stadtregierung sogar Kultur. Zwischenzeitlich
betrieb die Bonn zwei Dutzend Opernhäuser, davon einige am Amazonas. Immer
neue Groschengräber wurden errichtet, doch bald ging man dazu über, den
Zaster in Plastiktüten vors Rathaus zu stellen. Die „spätrheinische
Dekadenz“, die das stets missverstandene Bonner Original Guido Westerwelle
so gefürchtet hatte, hielt unter den Bürgern Einzug.
Auch ich ließ mich zu erwähnten Kostspieligkeiten hinreißen. Die politische
Lage wurde unübersichtlich. Zuletzt wählten die Bonner ein goldenes Kalb
und dann Bärbel Dieckmann (SPD) zur Oberbürgermeisterin – ein Glücksfall.
Unter ihrer Führung konnte durch geniale Fehlplanung des Konferenzzentrums
WCCB ein Schuldenberg aufgetürmt werden, den man vom Weltraum aus sehen
konnte.
Erst dieser finanzielle Befreiungsschlag löste den Bann: Den
Beethoven-Koloss holte der Gerichtsvollzieher, die Opernhäuser forderte der
Dschungel zurück. Bald konnten sich die Bürger eines normalen kommunalen
Haushalts erfreuen: Schwimmbäder wurden geschlossen, in die Schulen regnete
es hinein. Für ein paar Jahre zog wohlverdiente Friedhofsruhe ein.
Doch schon unter Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan dem Prächtigen
(CDU) erwachte alter Opulenzdrang. Fast im Alleingang brachte der
Finanzfuchs 37 Millionen Euro Bundesmittel zur Verpuffung. Mit dem Geld
sollte Bonn zur ökologischen „Lead City“ ausgebaut werden. Nach einem Jahr
war die Kohle futsch, Busse und Bahnen aber ebenso teuer und geschickt auf
Lücke getaktet wie zuvor.
## Neurotisches Profil
Mittlerweile hat sich die Bundesstadt eine eigene Profilneurose zugelegt.
Trotz gegenteiliger Beweise auf dem Stadtplan glaubt man an die eigene
Größe. Um im Corona-Battle nicht gegen Berlin abzustinken, rekrutierte
Bonn [3][den blutjungen Virenforscher Hendrik Streeck], den ein ungnädiges
Schicksal an die dortige Universität verschlagen hatte.
Mit Landesmitteln aus Düsseldorf und einer PR-Agentur wurde der
Wissenschaftler zum Gegendrosten aufgebaut. Wo der dunkel gelockte Virenzar
aus dem Osten düster in seinen Podcast raunen durfte, musste der blonde
Covidflüsterer aus Bonn silberzüngig Entwarnung geben.
Doch erst die 2020 ins Amt gewählte OB Katja Dörner knüpfte an die
pharaonische Bautradition der Stadt an. Die Idee, einen 166 Meter hohen,
mit riesigen Strass-Klunkern behängten Turm in die Rheinaue zu klotzen,
verfolgte schon ein privater Investor und Lokalmogul, aber auch der
Nahverkehr bot ein schönes Betätigungsfeld für eine grüne Bürgermeisterin.
Letztlich konnte sich eine Kabinenseilbahn, auf Stelzen über den Rhein und
durch das Stadtgebiet geführt, gegen ähnlich exaltierte Transportkonzepte
wie ein Personenkatapult oder ÖPNV-Unterseeboote durchsetzen. Fördermittel
des Bundes sollen bereits fließen, schon wurden erste Plastiktüten vor dem
Rathaus gesichtet. Es wird wohl Zeit, mich nach einer Hazienda umzuschauen.
13 May 2022
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