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taz: Frau Schwan, warum ist die [1][Ampel gescheitert]?
Gesine Schwan: Die Ausgangspositionen von SPD, Grünen und FDP waren sehr
verschieden. Dazu kamen die [2][Herausforderungen des Ukrainekriegs].
Drittens hat das [3][fragwürdige Urteil des Bundesverfassungsgerichts],
dass die 60 Milliarden Euro Coronakredite nicht für den Klimaumbau genutzt
werden durften, die inneren Spannungen extrem verstärkt. Die FDP hat die
[4][Schuldenbremse und keine Steuererhöhungen] als ihren unique selling
point gesehen. Zudem hat FDP-Chef Christian Lindner viel getan, um immer
wieder mit Vetos gegen die Ampel im Gespräch zu bleiben. Das ergab am Ende
eine toxische Mischung.
taz: Gab es eine Abbiegung, welche die Ampel hätte retten können?
Schwan: Ich habe Mitte 2023 den Vorschlag gemacht, dass die drei Parteien
zusammen in einer Klausur ein umfassendes Fortschrittsprojekt vorschlagen
und in drei Einzelprojekten verwirklichen, das in ihrer jeweiligen
Anhängerschaft für Identifikation oder Begeisterung hätte sorgen können.
Das hätte die negative Dynamik in der Ampel brechen können. Leider hatte
dieser Vorschlag keinen Erfolg.
taz: Es gab die Idee, dass die Ampel nach dem
[5][Bundesverfassungsgerichtsurteil im Herbst 2023] eine Art neuen
Koalitionsvertrag hätte aushandeln müssen – der erste war ja faktisch
hinfällig.
Schwan: Das wäre fast schon zu spät gewesen.
taz: Die FDP hat sich in der Ampel fast nur als Blockademacht verstanden.
War das ein Grund für das Scheitern der Ampel?
Schwan: Ja, natürlich. Lindner hat nur einen sehr schmalen Ausschnitt von
Liberalismus für die Wirtschaft vertreten. Freiheit und Individualismus
wären ja weitere positive Ziele, denen auch ich als Sozialdemokratin viel
abgewinnen kann. Die FDP hat all dies extrem verengt. Im Kern hat sie sich
auf ein Instrument – den Erhalt der Schuldenbremse – fokussiert. Sie hatte
keine Vision. Deshalb war sie so kompromisslos. Wenn man eine positive
Vision hat, kann man flexibel sein, Kompromisse eingehen, die das Ziel
näher bringen. Die FDP war stur aus Ideenlosigkeit.
taz: Die Ampel ist am Ende nur noch mit Machtkämpfen und Streit
identifiziert worden.
Schwan: Diese Machtkämpfe waren verständlicherweise abschreckend. Ich
glaube, dass wir als Menschen viel mehr Potenziale und Facetten haben, als
normalerweise zum Ausdruck kommen. Das gilt auch für Politik, auch wenn die
eher auf Konkurrenz als auf Kooperation aufgebaut ist. Der Neoliberalismus
hat die Gesellschaft trainiert, dass es nur Gewinnen und Verlieren gibt,
nur Nullsummenspiele. Die Ampel machte den Eindruck, dass es wie im
Neoliberalismus nicht mehr um kreative, gemeinsame Lösungen ging, sondern
nur noch um Machtkalküle. Das fanden viele langweilig und abstoßend.
taz: Die Ampel sollte laut Scholz [6][ein historisches Bündnis] werden:
eine Koalition von organisierter Arbeitnehmerschaft, aufgeklärtem
Ökobürgertum und liberalem Bürgertum – analog zu der sozialliberalen
Regierung nach 1969. Was bedeutet das vorzeitige Ende der Ampel für die
Möglichkeit, künftig Regierungen links von der Mitte zu bilden?
Schwan: Demokratie ist ein Lernprozess. Man kann auch aus abschreckenden
Beispielen etwas lernen.
taz: Was?
Schwan: Die SPD kann lernen, dass pragmatisches Managen der Regierung, wie
es Scholz lange hinbekommen hat, nicht reicht. Scholz ist kein Visionär. Um
jetzt Energien freizusetzen, braucht man Projekte, die anschaulich machen,
was die SPD will. Mit Zahlen aus der Rentenformel mobilisiert man niemand.
taz: Ist [7][Scholz der richtige Kandidat] für den 23. Februar?
Schwan: Realistisch gesehen wird er der Kandidat sein. Scholz hat Stärken
und Schwächen.
taz: Was folgt daraus?
Schwan: Der Wahlkampf sollte nicht ausschließlich auf Scholz fokussiert
sein. Ich hoffe, dass [8][Matthias Miersch], der neue Generalsekretär der
SPD, der klare Vorstellungen zur Klima- und zur Sozialpolitik hat, die
saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, und der Bremer
Bürgermeister Andreas Bovenschulte wichtige Figuren im Wahlkampf sein
werden. Die SPD ist mehr als Olaf Scholz.
taz: Manche vermissen Selbstkritik beim Kanzler – immerhin ist seine
Regierung gescheitert. „Lindner war schuld“ ist ja keine umfassende
Antwort.
Schwan: Selbstkritik ist für Individuen die Voraussetzung dafür, dass man
nicht von einem Lebensbruch in den nächsten torkelt. In der Politik ist das
komplizierter, weil Selbstkritik immer als Schwäche interpretiert wird. In
der Politik ist es unklug, oft zu sagen: Das haben wir falsch gemacht.
Wichtiger ist es, konstruktive Konsequenzen zu ziehen.
taz: Was halten Sie von [9][Boris Pistorius]?
Schwan: Er ist kommunikativ barrierefrei. Man kann schnell mit ihm
sprechen. Er hat Selbstironie. Das ist, anders als ironiebegabt zu sein,
ein Pluspunkt für Politiker. Aber wenn Sie darauf hinaus wollen: Es ist
nicht meine Aufgabe, der SPD Kanzlerkandidaten zu empfehlen. Und: Wenn man
so niedrig eingeschätzt wird wie Scholz derzeit, kann man ja nur gewinnen.
taz: Die Kanzlerschaften der Sozialdemokraten Brandt 1974, Schmidt 1982 und
Schröder 2005 endeten vorzeitig. Jetzt ist das auch bei Scholz der Fall.
Warum?
Schwan: Stimmt, das ist auffällig. Die Union ist eher ein
Kanzlerwahlverein. Konservative wollen nichts verändern. Merkel konnte
jahrelang ohne ihre Partei Politik machen. Die SPD kann das nicht. Sie will
als linke Partei immer Fortschritt, die Welt verbessern. Das gilt auch für
die Grünen. Dieser Veränderungswille sorgt, was die Machtverwaltung angeht,
für mehr Störanfälligkeit. Die Union will ja auch jetzt einfach wieder
zurück – und Atom- und Kohlekraftwerke wieder anwerfen. Wenn man keine
Ideen hat, an denen man scheitern kann, ist Machterhalt einfacher.
15 Nov 2024
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