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Ist das architektonische Dissoziation? Es gibt da diesen Kippmoment, der
unvermittelt eintreten kann (manchmal lässt er sich aktiv herbeiführen),
wenn man sich in einem realen Raum befindet: Plötzlich erscheinen die
Wohnung, der öffentliche Platz in einer anderen Zusammensetzung, ohne dass
sich objektiv etwas verändert hätte – die messbaren Parameter stimmen, alle
Elemente sind vorhanden, doch tut sich ein „Uncanny Valley“ in der
Wahrnehmung auf.
Eine Art luzider Zustand, womöglich die Reaktivierung eines Traums, der
sich in den Wachzustand gerettet hat und dessen Abbilder von Räumen
plötzlich wirklicher erscheinen als der reale Raum selbst. Plötzlich
fächert sich der Raum in zwei oder mehr Optionen, zwischen denen man
theoretisch hin und her switchen könnte. Die Assoziation „Das Magische
Auge“ wäre sicher nicht die schlechteste.
Eine ganz ähnliche Erfahrung, nicht mit dem dreidimensionalen, aber dem
Bildraum vermitteln die Fotoarbeiten von Andrea Grützner, die jetzt in der
Frankfurter Galerie Schierke Seinecke zu sehen sind („Haus im Taumel“, bis
17. 8.). Es sind auf den ersten Blick so elegante wie anziehende farbige
Motive, die die Künstlerin in einem sächsischen Gasthaus mit dem Namen
„Erbgericht“ aufgenommen hat, allerdings erkennt man den Raum hier kaum
noch. Man könnte an digitale Collagen denken, doch so leicht macht es sich
Grützner nicht.
Ihre aktuellen Arbeiten lassen sich alle auf jeweils ein einziges Motiv
zurückführen. Die Künstlerin hat viel Zeit vor Ort verbracht, ihn immer
wieder aufgesucht und jetzt noch einmal abschließend fotografiert. Dabei
dreht sie den eigenen Blick um 90 Grad, stellt Motive auf den Kopf oder
sucht Ausschnitte, die eine anekdotische Referenz ins Leere laufen lässt.
## Die Welt auf 250 Quadratmeter
Daneben nutzt Grützner farbige Blitze, die den drei- in einen
verführerischen zweidimensionalen Raum von grafischer Anmutung verwandeln.
Ein Vorgang, den historisch wie persönlich so stark geprägten Ort zu ent-
und im simultanen Schritt neu einzufärben.
Eine andere Form der Raumauffächerung lässt sich aktuell eine Zugstunde
weiter entdecken. Wobei man eher schon von Raumnahme sprechen muss: Im
Kunstmuseum Marburg zeigt Julia Krause-Harder erstmals ihre 250
Quadratmeter große Weltkarte (bis 8. 9.).
Drei Jahre lang strickte, knüpfte und knotete die Künstlerin aus dem
Frankfurter Atelier Goldstein ihre subjektiv-kartografische Ordnung aus
Textilien, Stoff und Garn, Kleidungsstücken, Leder, Werbeplanen, die sich
nun über mehrere Kontinente die Wand entlang bis auf den Boden des
Ausstellungsraums ausbreiten. Ein wilder Quilt, aber mit konkreter
Anbindung an die Welt, die er repräsentiert.
Die Maßstäbe und Relationen stimmen. Und trotzdem ist die künstlerische
Auswahl eben vor allem radikal subjektiv: Europa ist bei Krause-Harder ein
ziemlich bunter Flickenteppich, an Kanada mit seinen blau-weißen Weiten
scheint die Künstlerin besonders viel Freude gehabt zu haben. Die
applizierten [1][Dinosaurier verweisen auf einen weiteren Schwerpunkt ihrer
Arbeit] – man kann die Urtiere auch im realen Raum entdecken, mehrere
Skulpturen aus Krause-Harders fantastischem Materialkonvolut ergänzen die
Schau.
29 Jul 2024
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