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Es sind fünf simple Töne, mit denen W. G. Snuffy Waldens Gospel-inspirierte
Melodie die ab 1999 ausgestrahlte Serie „The West Wing“ einläutet. Aber sie
zeigen unmissverständlich an, dass wir uns in einer völlig anderen
Zeitrechnung befinden. Was nicht heißt, dass es keine echten Krisen gegeben
hätte. Aber der Umgang damit, die Institutionen, all dies schien felsenfest
in diesem ja immer noch vergleichsweise jungen Land.
Und Josiah Edward „Jed“ Bartlet (gespielt von Martin Sheen) ist natürlich
auch ein US-Präsident, wie er im Buche steht: warmherzig, aber streng, wenn
es darauf ankommt; mit menschlichen Macken, aber stets verlässlich. Ein
WASP vermutlich – in jedem Fall geistig auf Zack wie sein gesamter Stab,
mit dem er sich zu bildungsbürgerlichem Kräftemessen hinreißen lässt.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die heimlichen Hauptdarsteller im
Westflügel des Weißen Hauses, ihnen hat Drehbuchautor Aaron Sorkin
selbstironische Dialoge auf den Leib geschrieben, die Antisemitismus,
Rassismus, Außenpolitik ebenso rasant verhandeln wie die Frage nach dem
besten Tisch in Washington, D. C. Der vielleicht etwas zu versöhnliche
Grundtenor: Die Welt ist nicht vollkommen, aber irgendwie doch in Ordnung.
Ironisch genug, welch starke Sehnsüchte jene jüngste Vergangenheit heute
selbst im traditionell doch eher amerikakritischen Milieu weckt. Waldens
erhebende und erhabene Komposition liefert nun gerade im Rückblick den
perfekten Soundtrack für eine Ära, die mit Ausklingen der Serie 2006
endgültig vorbei schien.
„The Insurrectionist Next Door“
Wäre Alexandra Pelosis neue Dokumentation „The Insurrectionist Next Door“
eine TV-Serie, es müsste eine ganz andere Titelmelodie dazu erklingen. Oder
besser gar keine: Rauschen, Flimmern, permanent anschwellender
Hyperpop-Erregungsloop.
Auch wenn, weitere Ironie der Geschichte, ihre Protagonistinnen und
Protagonisten womöglich eine ähnliche Wehmut zum auch soundtechnisch
verbindenden Moment einer Serie wie „The West Wing“ formulieren würden.
Allerdings haben sie ihre ganz eigenen Schlüsse daraus gezogen, die
ebenjenen common ground aktiv selbst untergraben.
In Deutschland wurde der Film kaum besprochen – dabei lässt er womöglich
viel tiefer blicken als jene Titel, die sich vor allem [1][an der Figur
Donald Trump] abarbeiten. Für „The Insurrectionist Next Door“ hat die
Filmemacherin, nebenbei Tochter von Nancy Pelosi, Menschen getroffen, die
beim [2][Sturm auf das US-Kapitol] am 6. Januar 2021 beteiligt waren.
Unbedarft, nicht unsympathisch
Viele von ihnen haben Haftstrafen erhalten, viele finden ihre Teilnahme
noch immer richtig. Ausgesprochen unbedarft, keineswegs unsympathisch.
Politisch in verschiedenen Richtungen zu verorten – oder vielmehr wohl
apolitisch: Ein HipHopper und Familienvater, der Hassbotschaften über
Demokraten rappt; ein ehemaliger Pornostar mit Faible für
Gothic-Plateaustiefel; ein Geschwisterpaar; ein schwuler Weinberater, der
früher mal Barack Obama gewählt hat. Allenfalls als Projektionsfolie für
alle [3][möglichen Affekte scheint ihnen die physische Welt] mehr zu
dienen.
Damit ist „The Insurrectionist Next Door“ ein kurzweiliges, fürchterlich
banales Zeitzeugnis gelungen, das phänomenologisch über den 6. Januar
hinausweist. Nur folgerichtig: Die erlösende Katharsis, musikalisch,
bildnerisch, dramaturgisch, enthält dieser Film vor.
3 Nov 2024
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