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„Ein wenig Pathos gehört zu einem Neuanfang dazu. „Leute, die ihr geboren
wurdet, aber noch nicht gestorben seid. Eilt und macht euch auf in das
Schauspielhaus!“, ruft der Schauspieler Felix Goeser aufgeregt dem Publikum
zu und wirbt einmal mehr dafür, sich selbst zu erkennen. „Die Dramen der
Vergangenheit erzählen euch, wer ihr wart. Die Dramen außerhalb der Zeit
erzählen, wer ihr seid, die des Gegenwärtigen, wer ihr sein könntet!“ Es
waltet mithin keine falsche Bescheidenheit. Theater, wie hier gepriesen,
ist eine Zeitmaschine, konstruiert, um Auskunft zu geben über die
Potenziale der Leute, die da unten im Zuschauerraum sitzen, wie die der
Gattung schlechthin.
„Weltall Erde Mensch“ heißt die Stückentwicklung, mit der Regisseur
Alexander Eisenach die neue Intendanz von Iris Laufenberg am Deutschen
Theater einläutet. Der Titel referiert auf ein Buch, das die DDR viele
Jahre lang [1][zur Jugendweihe] verschenkte. Zu Beginn begrüßt das Ensemble
die jungen Genossen im Saal und preist die Segnungen der letzten 1.000
Jahre Sozialismus.
Denn in dieser Zukunftserzählung haben Lenins Erben gesiegt. Die
Produktionsmittel sind fest in den Händen der Arbeiterschaft, die
Gesellschaft kennt keine Klassen mehr und die Wirtschaft ist potent genug,
um sogar ferne Planeten zu besiedeln. Es scheint, als wäre die Geschichte
an ihrem seligen Ende angekommen, aber weit gefehlt. Ein Nebenwiderspruch
ist weiterhin unaufgelöst, das Patriarchat hat die Revolution bestens
überstanden, weswegen die Frauenfiguren weiterhin sexuell, emotional und
wirtschaftlich ausgebeutet werden.
In den Genuss, sich eigenen Interessen zu widmen, kommen in diesem
Kommunismus nur die Männer. Zum Beispiel Felix Goeser und Florian Köhler,
die sich, von einer Livekamera aufgenommen, in einer Miniaturkulisse des
Cafés Moskau in eine Diskussion über den Zusammenhang von Parallelwelten
und orthodoxem Marxismus hineinsteigern.
## Ein Hauch von Volksbühne
Ein Hauch von Volksbühne weht da durch das Deutsche Theater. So ähnlich
hätte auch eine Szene bei René Pollesch oder Frank Castorf verlaufen
können. Man kennt diese Anleihen schon von Alexander Eisenach. Zwar nicht
am Rosa-Luxemburg-Platz, aber am Berliner Ensemble hat er in den letzten
Jahren gearbeitet.
Es überrascht, dass ausgerechnet er die große Eröffnungsinszenierung der
neuen Intendanz verantwortet. Während andere Leitungen, sobald sie ein Haus
übernehmen, gerne alles neu und anders machen wollen, die meisten
Schauspieler:Innen austauschen, Logo und Corporate Design überarbeiten,
mitunter sogar den Namen des Theaters ändern, setzt Iris Laufenberg ganz
unprätentiös auf Bewährtes oder zumindest Bekanntes.
Durchaus ähnlich verhält es sich mit dieser Inszenierung, die zwar mit
großem Ehrgeiz antritt, die Volksbühnenästhetik mit einer Stückentwicklung,
Science-Fiction mit den Einschränkungen der Bühne und Ideengeschichte mit
Albernheit zu versöhnen, dabei jedoch nicht wirklich etwas Neues entstehen
lässt, sich vielmehr in der Wiederholung einrichtet.
Lang und länglich sind die Szenen, in denen Anja Schneider als unglückliche
Ehefrau ihr Leid klagt, Lorena Handschin sich als Opfer des Penisneids
outet und Julischka Eichel zum Krieg gegen Männer aufruft. Das wirkt
theaterästhetisch auch ein wenig angestaubt. Feministische Bühnenkunst
setzt dieser Tage zumeist auf Autofiktion oder körperliche
Grenzerfahrungen. Die Darstellerinnen stehen mit ihren eigenen Geschichten
und Körpern für die Forderung nach gesellschaftlichen Veränderungen ein.
## Ein paar Jahrzehnte politischer Kampf
Recht konventionell wirken dagegen Eisenachs Figuren, deren Agitation den
realen Unrechtsverhältnissen zumal hinterherhinken, weil das Fremdmaterial
in dieser Stückentwicklung schon ein paar Jahrzehnte politischen Kampf
hinter sich hat. Er bedient sich unter anderem bei Joanna Russ’ Roman
„Planet der Frauen“ aus dem Jahr 1975.
Auf eben diesen reist nach der Pause das Ensemble. In einer plüschigen
Comicwelt werden Männer hier zu fernsteuerbaren Maschinen umoperiert oder
gleich gemeuchelt, um eine nun aber wirklich herrschaftsfreie Gesellschaft
von Frauen zu garantieren. Problem gelöst? Jedenfalls fasert die ohnehin
äußerst bruchstückhafte Handlung schnell aus. Zum Schluss fordert Sarah
Franke [2][unter Rückgriff auf Ursula K. Le Guins Essay „Am Anfang war der
Beutel“,] die Menschheitsgeschichte noch einmal anders zu erzählen, also
nicht mit Fokus auf männliche Gewalt, auf Helden und Krieg. Eine
vortreffliche Idee! Allerdings verfinge sie sicher stärker, wären die vier
Stunden zuvor erzählerisch und intellektuell zwingender gewesen. Wie war’s
also im Weltraum? Öde, Genossen.
19 Sep 2023
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