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Dass der Zionismus keine eigenständige Nationalbewegung ist, sondern bloß
Produkt oder Werkzeug des westlichen Imperialismus, gehört zu den
Klassikern antiimperialistischer Mythen. Mit „Israel’s Moment“ hat Jeffrey
Herf, Historiker und Autor von [1][„Unerklärte Kriege gegen Israel“], nun
ein Buch vorgelegt, das der Frage nachgeht, inwieweit die USA und
Frankreich sowie die Sowjetunion und der Sowjetblock die Gründung und
Sicherung des Staates Israel unterstützt haben – Großbritannien kommt am
Rande vor.
Herf nimmt dabei vor allem die Zeit von Mai 1947 bis Mai 1949 in den Blick.
Grob zusammengefasst sprach damals das UN-Komitee UNSCOP seine auch auf
Recherchen vor Ort basierende Empfehlung für die Teilung des britischen
Mandatsgebietes in einen jüdischen und einen arabischen Staat aus. Die
UN-Vollversammlung nahm diese im November 1947 an, worauf ein Bürgerkrieg
folgte. Nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung am Vorabend des
britischen Abzugs begannen die arabischen Nachbarstaaten einen
Angriffskrieg, der im Mai 1949 durch separate Waffenstillstandsabkommen
endete.
## Gegen den Widerstand des Pentagons
Gegenstand von „Israel’s Moment“ sind aber weniger die Geschehnisse im
Land, über die bereits viel – und gerade in Israel von den „Neuen
Historikern“ durchaus kontrovers – geschrieben wurde. Auf Grundlage von
Archivrecherchen macht Herf vielmehr deutlich, dass aufseiten der USA zwar
Präsident Truman die UN-Teilungsresolution unterstützte und Israel als
Erster anerkannte. Dies geschah allerdings gegen den deutlichen Widerstand
vor allem des State Department und des Pentagons, die einen eigenen
jüdischen Staat in Palästina mit Verweis auf US-Sicherheitsinteressen
ablehnten. Konkret ging es dabei um die Sicherung des Zugangs zu arabischem
Öl und um die Eindämmung des Kommunismus, der pauschal auch mit dem
entstehenden Staat Israel assoziiert wurde.
Demgegenüber waren es – tatsächlich – die Sowjetunion und Staaten aus dem
Sowjetblock, die damals für das zionistische Projekt eintraten. Ein
berühmtes Beispiel ist die Rede des sowjetischen UN-Botschafters Andrei
Gromyko bei der Palästina-Sondersitzung der UN-Vollversammlung im Mai 1947;
ein weiteres die militärische Ausbildung und Lieferung von Waffen, Munition
und Kampfflugzeuge an Israel durch die Tschechoslowakei. Ohne den Bruch des
von den USA initiierten UN-Waffenembargos hätte Israel den Krieg wohl
nicht überlebt.
Diese Formen der Unterstützung kontrastiert Herf mit der späteren
diplomatischen und militärischen Unterstützung der arabischen Feinde
Israels sowie mit dem den stalinistischen Säuberungsprozessen inhärenten
Antisemitismus. Im berühmten Slánský-Prozess in Prag legte man dem früheren
Außenminister auch die Waffenlieferung an Israel zur Last. Mit zehn
weiteren Angeklagten wurde Vladimir Clementis wegen seiner angeblichen
Mitgliedschaft in einer „Titoistisch-trotzkistisch-zionistischen
Verschwörung“ zum Tod verurteilt und erhängt.
## Unterstützung aus dem Ostblock
Herf weist immer wieder darauf hin, dass die Unterstützung Israels durch
die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, Polen und auch die Ukraine im Kern
Teil der strategischen Machtpolitik vor dem Hintergrund des aufziehenden
Kalten Kriegs war. So bezeichnet er etwa Gromykos UN-Rede voller Verweise
auf die Shoah und die miserable Situation der jüdischen Displaced Persons
in Europa als ein „cleveres und zynisches Unterfangen, die Erinnerung an
den Holocaust für die sowjetische Expansion im Nahen Osten in den Dienst zu
nehmen“.
Insgesamt aber geraten in „Israel’s Moment“ nationale Eigendynamiken
innerhalb des Sowjetimperiums zu wenig in den Blick. Zudem verschwimmt
immer wieder der Unterschied zwischen diplomatischer Rhetorik und
Handlungsmotivation. Dabei macht Herf selbst deutlich: Mit einer
beträchtlichen Summe von 302 Millionen heutiger US-Dollar brachten die für
Israel überlebenswichtigen Lieferungen der Tschechoslowakei immerhin auch
dringend benötigte Devisenreserven.
## Die Nazi-Kollaboration von Amin al-Husseini
Wie in den USA Kongress-Abgeordnete und JournalistInnen für Israel Partei
ergriffen, arbeitet Herf in einer detaillierten Analyse heraus. Freda
Kirchwey, Redakteurin des linksliberalen Magazins The Nation, spielte eine
Schlüsselrolle bei der Publikation von Material über die Nazi-Kollaboration
von Haj Amin al-Husseini und anderen Mitgliedern des Arab Higher Committee,
als diese – letztlich erfolgreich – versuchten, bei der UN als offizielle
Vertretung der Palästinenser anerkannt zu werden. Andere Journalisten
setzten sich sogar für eine Anklage von al-Husseini als Kriegsverbrecher in
Nürnberg ein – vergeblich.
Eine zentrale Rolle in Herfs Buch spielt der Journalist I. F. Stone. In The
Nation und PM (Picture Magazine) arbeitete er sich wortgewandt und
leidenschaftlich an den britischen Immigrationsrestriktionen und am
Einfluss der Ölindustrie auf die US-Nahostpolitik ab. Auch die Darstellung
jüdischer Immigration als sowjetische Unterwanderung durch das
US-Außenministerium, das Waffenembargo sowie die für Israel inakzeptablen
UN-Waffenstillstandsresolutionen und der Friedensplan des UN-Vermittlers
Bernadotte, der vorsah, dass Israel die Negev-Wüste und den für Wirtschaft,
Immigration und Sicherheit enorm wichtigen Hafen von Haifa abtritt,
beschäftigten ihn.
Gerade bei I. F. Stone wäre es interessant gewesen, mehr über seine
späteren Positionierungen zu Israel und den Konflikten der Region zu
erfahren. Zudem fehlt ein Blick auf das Kräfteverhältnis zwischen den
Positionen in der US-Presse und jenen im Kongress. Deutlich wird in jedem
Fall, wie sehr Herf – der sich selbst regelmäßig als leidenschaftlicher,
politisch liberaler Publizist zu Wort meldet – die Arbeit der Journalisten
als Teil der vierten Gewalt und als notwendiges öffentliches Korrektiv der
Regierung begreift.
## Eine Geschichte voller Widersprüche
In Bezug auf Frankreich arbeitet Herf die disparaten Politiken des Außen-
und des Innenministeriums heraus. Er argumentiert: Um Verbündete im Nahen
Osten zu gewinnen, wurde Amin al-Husseini auch von Frankreich nicht wegen
Kriegsverbrechen angeklagt und ihm schließlich sogar die Rückkehr in die
Region gewährt. Kontrastiert wurde dies von der Ermöglichung jüdischer
Auswanderung über Frankreich nach Palästina, wo die Briten ihre scharfen
Einwanderungsrestriktionen rigoros umsetzten, wie etwa die Exodus-Affäre
zeigt. Offen bleibt in Herfs Darstellung, wie sich damals die französischen
Medien und das Parlament positionierten.
Durch Herfs Buch zieht sich eine Faszination für die im aufziehenden Kalten
Krieg zum Teil noch anders gelagerten politischen Koordinaten. Das ist
nachvollziehbar vor dem Hintergrund jahrzehntelanger
antizionistisch-antiimperialistischer Propaganda, die auch in der heutigen
Israel-Feindschaft nachwirkt. Indes: Ob dies alles ein „Interregnum“ linker
und liberaler Israel-Unterstützung darstellte, die sich auch aus
„antifaschistischer Leidenschaft“ infolge des Zweiten Weltkriegs speiste,
müsste noch systematischer analysiert werden.
Insgesamt aber ist „Israel’s Moment“ ein faszinierendes Buch, das sich
durch seine detaillierten Einzelanalysen auszeichnet.
15 Jun 2022
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