# taz.de -- Umweltschutz in kleinen Schritten: Milliliter sparen beim Wasserkochen

> Unsere Kolumnistin erhält von einer Freundin den Tipp, nur so viel Wasser
> zu kochen, wie nötig ist. Jetzt spart sie Geld und Energie.
Wasser kochen ist unpolitisch. Das dachte ich, bis mich letztens eine
Freundin besuchte. Ich stand am Waschbecken und füllte den Kocher bis zur
Maximallinie, drückte auf die 100-Grad-Taste, im blauen Licht begann das
Wasser zu sprudeln und meine Freundin bekam ein nervöses Zucken. Als ich
das Wasser in zwei Tassen goss, platzte es aus ihr heraus: „Das ist so
ineffizient!“

Hä? Was hatte ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Sie deutete auf
den Liter kochendes Wasser, der gerade wieder abkühlte. „Das ist jedes Mal
fast eine Waschmaschine, die du da aufkochst.“ Sie ist Ingenieurin, also
halb Mensch, halb Taschenrechner. Im Kopf überschlägt sie Kilowattstunden,
Kochzeiten und die Jahresrechnung, während ich unbekümmert Teebeutel
aufreiße.

Ein Wasserkocher verbraucht bei einem vollen Kochgang ungefähr 0,17
Kilowattstunden. Das ist kaum etwas. Lass mich doch sinnlos Wasser heiß
machen! [1][Deutschlands größter Klimakiller RWE] schießt allein aus seinem
Kohlekraftwerk Neurath jedes Jahr über 20 Millionen Tonnen CO2 in die Luft.
Was sind da schon meine Heißwassersünden? Lächerlich!

So hätte ich kontern können. Und es stimmt, in der Klimakrise wird zu oft
das Individuum verantwortlich gemacht. Der Mineralölkonzern BP hat den
persönlichen CO2-Fußabdruck überhaupt erst groß gemacht, um [2][von der
eigenen Verantwortung abzulenken]. Seitdem können die größten Emittenten im
Schatten der Debatte über die Wurst auf dem Grill kräftig Treibhausgase
ausstoßen.

All das habe ich meiner Freundin aber nicht schnaubend entgegnet. Weil ich
nicht unbedingt schlagfertig bin – und weil sie weder gesagt hat, wie
verschwenderisch ich bin, noch was für ein Klimaschwein in mir steckt.
Stattdessen sollte ich lieber rechnen: Wenn ich statt anderthalb Litern
nur einen halben Liter aufkoche, sind das bei 400 Kochgängen im Jahr rund
45 Kilowattstunden Strom, die ich weniger verbrauchen würde. Gleichzeitig
gäbe es keinen „Nutzenverlust“, weil heißes Wasser sinnlos abkühlt.

## Der Ehrgeiz ist geweckt

Sie argumentiert wie eine App, die einem hilft, mit dem Rauchen aufzuhören:
Wenn du jetzt noch sechs Tage durchhältst, sind deine Hände besser
durchblutet, du schmeckst mehr und du hast 15 Euro gespart. Diese Rechnerei
hat mich schon mal motiviert.

Diese Wasserkocherrechnung ergibt bei einem aktuellen Preis von 25 Cent pro
Kilowattstunde Strom um die 11,25 Euro, die ich im Jahr weniger für Strom
ausgeben müsste. Keine große Summe. Und trotzdem ist aus mir eine sehr
akkurate Wasserkocherin geworden: Den Kocher bis zum dritten Strich
aufzufüllen reicht für eine Portion Pasta. 220 Milliliter passen in meine
Lieblingstasse.

Mein frisch gewonnener Ehrgeiz, die Stromrechnung zu drücken, ergibt sogar
wissenschaftlich Sinn. Lange dachte die Forschung, dass intrinsische
Motivation unser Handeln am ehesten beeinflussen kann und länger anhält.
Ich müsste also aus eigener Überzeugung die richtige Menge Wasser kochen,
sonst ändere ich mich nicht. Aber heute wissen wir: Die Aussicht auf eine
Belohnung motiviert uns genauso zum Handeln. In Form von Keksen, einem
Dopaminrausch, einer kleineren Stromrechnung oder auch Lob.

Wenn ich jetzt Tee aufgieße, stelle ich mir vor, wie mir meine Freundin
über die Schulter guckt und keine Schnappatmung mehr bekommen muss.
Vielleicht grinst sie stattdessen ein bisschen.

26 Aug 2024

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## AUTOREN
Sophie Fichtner
## TAGS
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