# taz.de -- Halle-Attentäter erneut vor Gericht: Geständnis und Fragen

> Der Täter von Halle steht vor Gericht – trotz rechtsgültiger
> Höchststrafe. Dieses Mal geht es um einen versuchten Gefängnisausbruch
> mit Geiselnahme 2022.
Magdeburg taz | „Lebenslänglich“ mit anschließender Sicherheitsverwahrung –
so lautete am 20. Dezember 2020 das Urteil für den Attentäter von Halle. Er
hatte am 9. Oktober 2019 mit selbstgebauten Waffen [1][die Synagoge in
Halle] und [2][den nahegelegenen Kiez-Döner] angegriffen [3][und dabei zwei
Menschen ermordet.] Laut Urteil hat er es in 51 weiteren Fällen versucht.

Gut drei Jahre nachdem die Höchststrafe verhängt wurde, steht er diesen
Mittwoch wieder vor Gericht, wieder im Saal C24 des Landgerichts Magdeburg,
dort, wo bereits der Prozess zum Attentat stattfand.

Und wieder geht es um eine selbstgebaute Waffe. Der Angeklagte soll sie
genutzt haben, um aus dem Hochsicherheitstrakt der JVA Burg zu entkommen.
Die Anklage lautet: Geiselnahme und Verstoß gegen das Waffengesetz. Bei
Verurteilung bedeutet dies eine Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahren.

Eingangs wird der Tathergang geschildert: Am Montag, den 12. Dezember 2022,
um 21 Uhr, zur Nachtschließzeit, habe der Angeklagte hinter seiner
Zellentür einem Beamten aufgelauert, ihn mit einer selbstgebastelten Waffe
zur Geisel genommen und mit ihm den Weg aus der Anstalt angetreten. Er
scheiterte an der Hauptschleuse der JVA, feuerte einen Warnschuss ab. Die
umstehenden Beamten nutzten den Moment und beendeten den versuchten
Ausbruch nach 34 Minuten.

## Bezug auf andere Rechtsextreme?

Als die Vorsitzende Richterin Simone Henze-von Staden den Angeklagten
fragt, ob er etwas zu sagen habe, gesteht dieser die Tat umgehend. Er
spricht sogar von der „Geisel“ und behauptet, die Waffe sei „tödlich“
gewesen. Zusätzlich gibt es zahlreiche Zeugen, und das Vorgehen ist auf so
vielen Videokameras festgehalten, dass das Abspielen bereits ausgewählter
Aufzeichnungen mehr als zwei Stunden dieses Prozesstags einnimmt. Auf den
ersten Blick scheint alles klar zu sein. Worum geht es hier also?

Bereits am ersten Prozesstag zeichnet sich ab, dass das Motiv nicht
ausreichend geklärt ist. Aus dem Gefängnis fliehen – aber was danach? Auf
die Frage weicht der Angeklagte aus. Im Prozess zum Attentat war er durch
sein gefestigtes rechtsextremes Weltbild und der vollen Überzeugung von
seinen Taten aufgefallen. Ein Schriftstück bewies, dass er sich am Attentat
von Christchurch orientiert habe.

Der Angeklagte gibt an, er habe den Plan etwa eine Woche vor der Tat
gefasst. Anlass sei gewesen, dass er aus der Zeitung von der bundesweiten
Razzia und Festnahmen von Reichsbürgern um Prinz Reuß erfahren habe. Über
das folgende Wochenende habe er die Tatwaffe gebaut.

Es scheint sich auf ein Neues zu bewahrheiten, wovor Beobachter*innen
der rechtsextremen Szene seit Jahren warnen: (Mutmaßliche) rechtsextreme
Attentäter sehen einander, sie beziehen sich in ihren Taten aufeinander,
ihre Taten haben immer auch das Motiv, weitere Taten auszulösen. Die Frage
ist, welche Rolle dieser Fakt im Prozessverlauf spielen wird.

## Weiter Fluchtgefahr möglich

Eine zweite Frage ist, ob der Angeklagte einen weiteren Ausbruchsversuch in
Erwägung zieht. Der verhandelte Ausbruchsversuch war schließlich nicht sein
erster. Bereits im Mai 2020 hatte er versucht, aus der JVA Halle zu
entkommen, nachdem seine Haftbedingungen gelockert wurden.

Schließlich bleibt bisher offen, wie sehr mögliches Behördenversagen zum
Gegenstand dieser Verhandlung werden wird. Denn diese eine Frage hängt über
dem Raum: Wie kann es sein, dass ein verurteilter Straftäter diesen Profils
auch in der JVA Burg nicht ausreichend gesichert war und offenbar ein
Wochenende lang unbeobachtet eine Waffe anfertigen konnte?

Laut [4][einer Pressemitteilung] der Soligruppe 9. Oktober und dem Tekiez
sagt die Überlebende des Attentats Naomi Henkel-Gümbel in Hinblick auf den
Prozess: „Es ist an der Zeit, die tief verwurzelten Kontinuitäten
strukturellen Behördenversagens aufzuarbeiten. Nur so können wir eine
Gesellschaft schaffen, die wachsam gegenüber menschenfeindlichen Ideologien
ist und die Perspektiven der Betroffenen ernst nimmt.“

Und auch der Überlebende İsmet Tekin sagt: „Für mich persönlich ist es
wieder eine große Schande und Enttäuschung, ich habe noch mehr Misstrauen
in die deutschen Behörden.“

Klar ist: Auch dieser Prozess um den Attentäter von Halle sendet Signale,
die Frage ist nur, wie bewusst sich das Gericht dessen ist. Bisher sind
sieben weitere Verhandlungstage geplant. In den kommenden Prozesstagen
werden Zeugen zu Wort kommen.

25 Jan 2024

## LINKS
[1] /Antisemitischer-Anschlag-von-Halle/!5803902
[2] /Anschlagsopfer-von-Halle-geben-auf/!5853569
[3] /Vierter-Jahrestag-des-Halle-Anschlags/!5965543
[4] https://www.mobile-opferberatung.de/kontinuitaeten-strukturellen-behoerdenversagens-aufarbeiten/
## AUTOREN
Pia Stendera
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