# taz.de -- Frieden in der Ukraine: Faule Deals

> Donald Trump behauptet, den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine
> innerhalb kürzester Zeit beenden zu können. Ist das realistisch?
Der Wahlsieg von Donald Trump löste eine Welle von [1][pessimistischen
Prognosen in Kyiw] und in den europäischen Hauptstädten aus. Aber auch in
Moskau scheint keine große Freude zu herrschen – da sieht man Trump als ein
unvorhersehbares Risiko für die [2][Kriegsziele des Regimes Putin]. Zum
jetzigen Zeitpunkt kann niemand genau sagen, wie Trump sein Versprechen
erfüllen will, den Krieg binnen 24 Stunden zu beenden. Möglicherweise weiß
es Trump selbst nicht.

Eine Möglichkeit, auf die immer wieder hingewiesen wird und die in die
Rhetorik von Trump ganz gut passen würde, wäre ein „Big Deal“: das
Einfrieren des Konflikts entlang der aktuellen Frontlinien. Einige
Mitglieder von Trumps Team haben das bereits vorgeschlagen. Die Erwartung
wäre, dass die Ukraine auf die militärische Befreiung der besetzten
Territorien im Osten verzichten würde. Im Gegenzug würde Russland das Ziel
aufgeben, durch militärische Gewalt ein neues moskautreues Regime zu
erzwingen. Um diesen Deal umzusetzen, würde Trump der Ukraine damit drohen,
seine militärische und wirtschaftliche Unterstützung zu reduzieren.
Russland wiederum könnten die USA damit unter Druck setzen, die
Unterstützung der Ukraine massiv auszubauen – und sogar mit noch
radikaleren Szenarien wie der direkten Einmischung der USA und der Nato in
den Krieg. Falls das der Plan Trumps wäre, gäbe es vier Szenarien.

## Beide Seiten akzeptieren den Deal

Auf den ersten Blick scheint es ein bitteres Ergebnis für die Ukraine zu
sein – sie muss sehr lange Zeit darauf verzichten, dass ihre territoriale
Integrität wiederhergestellt wird. Und sie wird dauerhaft mit der Gefahr
aus dem Osten leben müssen, denn Putins Regime und seine militärischen
Kapazitäten bleiben intakt. Wenn man aber auf den aktuellen Kriegsverlauf
blickt, scheint das Szenario aus ukrainischer Perspektive vielleicht doch
nicht so schlecht zu sein.

Denn anders als viele es ursprünglich erwartet hatten, ist Putins Regime in
Russland [3][trotz 1.000 Tagen Angriffskrieg stabil]. Was wichtiger ist:
Auch die russische Wirtschaft bleibt stabil. Das Regime ist deswegen in der
Lage, die Militärproduktion sicherzustellen und für ausreichend Soldaten zu
sorgen. Putin braucht nicht unbedingt eine Mobilmachung, denn neue Rekruten
werden durch großzügige finanzielle Anreize angelockt (was wiederum nur
geht, weil die Wirtschaft läuft). Der Westen kann die Ukraine zwar mit
militärischer Ausrüstung und Geld unterstützen, aber das Problem knapper
personeller Ressourcen kann er nicht lösen.

Von Anfang an bestanden keine Zweifel, dass der Krieg irgendwann mit einem
Verhandlungsfrieden abgeschlossen wird. Die Frage war immer nur, ob gerade
jetzt schon der richtige Moment dafür ist, oder ob man die Ukraine durch
weitere Unterstützung in eine bessere Verhandlungsposition bringen kann.
Falls man aber weder erwartet, dass ihre Lage besser wird, noch dass Putins
Regime (oder die Wirtschaft) kollabieren, ergibt es keinen Sinn, darauf zu
hoffen, dass die Bedingungen des Friedens in der Zukunft besser werden.

Das gilt umso mehr, weil es gerade für die Ukraine Chancen eröffnet, den
Krieg einzufrieren. Ob die Ukraine der Nato beitreten wird, ist unklar.
Aber in jedem Fall würde der Westen dem Land dabei helfen, sein
militärisches und wirtschaftliches Potenzial wieder aufzubauen. Trump wäre
dabei wohl besonders aktiv, um lukrative Geschäfte für US-Konzerne zu
sichern. Man würde die Grenze zu den besetzten Territorien militärisch
gegen eine eventuelle neue Aggression sichern. Die Geflüchteten kämen
zurück, und man könnte die Energieinfrastruktur aufbauen. Freilich könnte
auch Russland die Zeit nutzen, um sich militärisch zu stärken, aber gerade
jetzt sieht es danach aus, dass die Vorteile einer Atempause für die
Ukraine größer werden. Falls Trump dazu noch die Ölförderung in den USA
stärken würde (was er beabsichtigt) und die Rohstoffpreise weltweit fallen,
würde das die russische Wirtschaft hart treffen. Für Putin könnte eine
solche Entwicklung gefährlich werden.

## Russland nimmt den Deal nicht an

Aus den genannten Gründen erscheint es plausibel, dass Putin an einem Deal
gerade jetzt eigentlich kein Interesse hat. Aus seiner Sicht kann es
attraktiver sein, weiteren Druck auf die Ukraine auszuüben, um irgendwann
doch sein strategisches Ziel (ein ihm untergeordnetes Regime in Kyiw) zu
erreichen. Aktuell kann er den Krieg weiterführen und sich
verhandlungsbereit präsentieren, mit dem Verweis, dass vom Westen keine
Angebote kommen. Falls Trump so ein Angebot machen würde, stünde Putin
jedoch vor großen Problemen.

Erstens würden die USA die militärische Unterstützung der Ukraine massiv
erhöhen, wenn Putin das Angebot ablehnt. Trump hat den alleinigen Vorteil
unter allen westlichen Staatsoberhäuptern, dass er glaubwürdig
unvorhersehbar ist – der Kreml müsste also sogar die radikalsten Drohungen
Trumps ernst nehmen. Diesen Trumpf hat Trump bereits während seiner ersten
Präsidentschaft sehr erfolgreich gegen Nordkorea ausgespielt. Zweitens wäre
eine Weigerung Putins, auf einen Deal einzugehen, sehr wahrscheinlich ein
enormes Problem in den Augen des Globalen Südens und eventuell auch Chinas.
Und drittens würde die Entscheidung, das Angebot nicht anzunehmen, für die
russischen Eliten und die Bevölkerung bedeuten, dass ein dauerhafter Krieg
die einzige Option bleibt. Denn außer Trump scheint heute niemand im Westen
bereit zu sein, Angebote an Putin zu machen, und man würde die allerletzte
Chance ablehnen, einen Exit zu finden. Putin mag zu jahrelangem Krieg
bereit sein – ob das auch auf die Eliten zutrifft, ist unklar.

## Die Ukraine nimmt den Deal nicht an

Auch dieses Szenario ist nicht ganz ausgeschlossen. Für Selenskyj wäre ein
Deal politisch gefährlich. Er hat seinem Volk versprochen, den russischen
Angriff ohne Zugeständnisse an den Aggressor abzuwehren. Unmittelbar nach
einem Waffenstillstand würden Präsidentschaftswahlen stattfinden, weil das
Kriegsrecht dann nicht mehr gilt. Für Selenskyi könnte ein solches Szenario
auch deshalb unvorteilhaft sein, weil es in der ukrainischen Elite und
Bevölkerung noch immer Stimmen gibt, die auch ohne amerikanische
Unterstützung weiterkämpfen wollen. Doch auch wenn die Ukraine den Kampf
ohne die USA fortsetzen würde, bleibt unklar, ob sie dabei noch
Erfolgschancen hätte. Die europäischen Verbündeten müssten dann überlegen,
ob sie die ausfallende amerikanische Hilfe ersetzen können – was zumindest
schwierig zu sein scheint.

## Trump schlägt keinen Deal vor

Auch dieses Szenario darf man nicht ausschließen. Es kann sein, dass Trumps
Berater*innen – oder die der Ukraine –ihn dazu bringen, Russland gar
keine Angebote zu unterbreiten. Zum Beispiel könnte Trump die Möglichkeit
attraktiv finden, einen privilegierten Zugang zu ukrainischen Ressourcen zu
erhalten. Oder es kann sein, dass sich Trumps Aufmerksamkeit auf andere
Themen konzentriert und er gar keine Zeit findet, sich um die Ukraine zu
kümmern.

Diese vier Szenarien sind natürlich extrem vereinfacht. Auch wenn der Deal
kommt, sind seine Bedingungen völlig unklar. Und keines der Szenarien
bedeutet, dass es zu dauerhafter Stabilität im östlichen Europa kommt. Sie
sind alle lediglich als Vorbereitungsphase auf einen sehr langen neuen
Kalten Krieg zu sehen, mit dem die EU und Deutschland zu leben haben
werden.

Alexander Libman ist Professor für Politikwissenschaften mit Schwerpunkt
Osteuropa und Russland an der FU Berlin.

16 Nov 2024

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## AUTOREN
Alexander Libman
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