# taz.de -- Kampf gegen Antisemitismus: Der 9. November und die Gegenwart

> Zum Jahrestag der Pogromnacht werden wieder viele mahnende Worte
> gesprochen werden. Doch im Kampf gegen Antisemitismus braucht es einen
> Aufschrei!
„Wenn die Sirenen erklangen, mit ihrem auf- und abschwellenden Heulton,
fühlte ich mich sicher. Wenn die anderen im Bunker verschwanden, rannte ich
hinaus. Für mich bedeuteten sie das Leben.“

Diese Worte sind von Hans Rosenthal, einem der größten Showmaster der alten
Bundesrepublik. Die Regisseurin Regina Schilling zitiert ihn in ihrem
wunderbaren [1][Dokumentarfilm „Kulenkampffs Schuhe]“.

Im Frühjahr 1943 versteckte sich Rosenthal nach Jahren der Zwangsarbeit bis
zum Kriegsende bei einer „arischen“ Frau in einer Kleingartenkolonie im
Stadtteil Lichtenberg. Berlin galt inzwischen als „judenrein“.

Ich liebte seine Quizshow „Dalli Dalli“ und erfuhr später, dass er und
seine Familie als Juden durch die Hölle des Naziterrors gegangen waren und
die meisten von ihnen diese Hölle nicht überlebten.

Was muss das für eine Zeit gewesen sein, in der das Flächenbombardement der
eigenen Heimatstadt – für viele der sichere Tod – für einen selbst das
Leben bedeutete? Welcher Hass muss einem begegnet sein, dass Bomben
Freiheit mit sich brachten, weil man unter dem Geheul der Sirenen mal kurz
rauskommen konnte? Und als die Bomben einschlugen, atmete man auf, während
sich andere duckten und zitternd in die Hosen machten.

## Zum ersten Mal der Opfer der Pogrome gedacht

Am 9. November 1978, vierzig Jahre später, wurde in der Bundesrepublik zum
ersten Mal der Opfer der Pogrome gedacht. Auf dieses Datum fiel die 75.
Ausgabe von „Dalli Dalli“. Rosenthal wollte das Jubiläum verschieben. Er
sei zu empfindsam, habe ihm der Sender gesagt, erzählt Schilling in ihrem
Film. Die Sendung fand wie geplant statt.

Zum diesjährigen Jahrestag der sogenannten Kristallnacht werden wieder
viele mahnende Worte gesprochen und Reden gehalten. Ich bin gespannt, wie
ganzheitlich die Empörung und Aufregung bezüglich der heutigen
Urheber:innen des Judenhasses ausfallen wird.

Zwei Beispiele nur aus dieser Woche: 

In Sachsen traf sich Ministerpräsident Kretschmer mit AfD-Chef Urban zu
einem vertraulichen Gespräch. Dessen Landesverband gilt als gesichert
rechtsextrem. Zu einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild gehört laut
Definition der Antisemitismus.

Sicherheitsbehörden hoben [2][eine rechtsextreme Terrorgruppe aus],
deren Mitglieder den sehr ernstzunehmenden Plan verfolgt hätten, durch ein
Blutbad und putschartige Handlungen Gebiete für die Errichtung eines
Staatsgebilds nach NS-Vorbild zu erobern.

Sollte es neben professioneller Berichterstattung einen Aufschrei gegeben
haben, ist er an mir vorbeigegangen. Was ich sagen will: Der Kampf gegen
Antisemitismus kann kein Cherry Picking sein. Entweder ich bekämpfe ihn
ganzheitlich mit derselben Lautstärke und Vehemenz, ganz egal von wem er
kommt. Oder ich habe ein Glaubwürdigkeitsproblem und muss mir vorhalten
lassen, dass es ein Showakt aus politischen Gründen ist und mich eine
wirkliche Bekämpfung des Antisemitismus eher wenig interessiert.

„Stellen wir uns […] vor, wie Menschen aus einer fernen Zukunft […] auf
unsere heutige Welt schauen; […] die wieder bedroht ist, das Gemeinwohl aus
dem Auge zu verlieren, weil sie Menschen aufgrund ihres Glaubens, ihrer
Herkunft, ihres Andersseins ausgrenzt […]. Wie also könnte (…) auf uns
heute geschaut werden, wo sich der Umgang miteinander auf vielen Ebenen
wieder deutlich verschärft? Wahrscheinlich mit völligem Unverständnis; und
vielleicht auch mit Bedauern für uns heute, dass wir immer noch und wieder
in der Gefahr stehen, schreckliche Fehler zu wiederholen und erfahren zu
müssen, wohin die Spaltungsversuche einiger weniger führen können.“
[3][Diese Worte sprach Angela Merkel] am 9. November 2018 anlässlich des
80. Jahrestags der Novemberpogrome. Dem ist nichts hinzuzufügen.

9 Nov 2024

## LINKS
[1] https://www.reginaschilling.de/kulenkampffs-schuhe.html
[2] /Festnahmen-von-Neonazis-in-Sachsen/!6046702
[3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-auf-der-zentralen-gedenkveranstaltung-zum-80-jahrestag-der-reichspogromnacht-am-9-november-2018-1548196
## AUTOREN
Bobby Rafiq
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