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Die DDR ist ein Promi. Zu Jahrestagen – aktuell können der 75. Geburtstag
oder die 35-jährige Wiederkehr des Mauerfalls gefeiert oder bedauert werden
– wird daher auch gern im Theater über die Verstorbene nachgedacht. Fester
Bestandteil der Auseinandersetzung mit der DDR ist mittlerweile
[1][Brigitte Reimanns] so opulenter wie unvollendeter Roman über das
Scheitern des Wohnungsbaus mit menschlichem Antlitz.
Vor fünf Jahren dramatisierte [2][Daniela Löffner] im Deutschen Theater in
Berlin bereits die Lebensbeichte der zerbrochenen Architekturidealistin
„Franziska Linkerhand“. Jetzt zieht das Gorki, ebenfalls in Berlin, nach.
Ein cleverer Zug ist, dass Baumgarten den Abend mit der Geburt der DDR aus
den Trümmern des sogenannten „Dritten Reichs“ beginnen lässt. Von weißen
und roten Fahnen, die 1945 schnell geschwenkt werden, ist die Rede. Erst
sei das Fahnenschwenken noch von Mut geprägt, konstatiert in bellendem
Stakkato die Dreifachbesetzung der jungen Franziska (Katja Riemann,
Alexandra Sinelnikova und Maria Simon).
Denn die SS macht auf den Straßen Jagd auf Deserteure und
Endsieg-Unwillige. Später werden die roten Fahnen vor allem aus
Opportunismus aus den Fenstern hängen, noch später, nach gut vier
Jahrzehnten, ändert sich erneut die Farbe im Textil, ergänzt man im Geiste.
Die Plattenbauten hängen da noch im Bühnenhimmel. Für Theaterzwecke
wurden die klassischen Module mit Fenster- und Türöffnung vom Büro des
Architekten Sam Chermayeff nachentworfen. Sie werden, wenn es dramatisch
werden soll, heruntergelassen und wieder in die Höhe gezogen – ein
Plattenbau- und Krantheater für die Bühnenpuppenstube.
## Ensemble im Angriffsmodus
Unverständlich ist, warum Baumgarten sein Ensemble auf
Artillerie-Angriffsmodus getrimmt hat. Grimmigen Gesichts tritt schon zu
Beginn die dreifache Linkerhand an die Rampe und schleudert ihre Sätze wie
Geschosse in die Sitzreihen. Differenzierung bleibt auf der Strecke. Auch
das andere Personal – ob Baustellenbelegschaft, Architektenkollegen oder
Vorgesetzte der jungen Architektin Linkerhand – schließt sich dem
Stakkato-Modus an. Das verzerrt die Figuren zu Klischees.
Gut, schon in der Romanvorlage sind viele Personen aus dem
Baustellenkontext stark typisiert. Auch ist es Merkmal von Funktionären,
abgeschliffen zu sein. Aber dass Baumgarten keinerlei Interesse zeigt, für
den Abschleifungs- und Anpassungsprozess eine szenische Umsetzung zu
finden, verblüfft doch. Schließlich ist der Widerstand der Titelheldin
gegen die allseitige Normierung und ihr Kampf gegen das Absinken in den
Morast von Ideal-Entsagung, Mattigkeit und Zynismus Thema des Romans.
Diesem Motiv feinsinniger nachzuspüren hätte sich doppelt gelohnt. Denn der
Desillusionierungsprozess war nicht nur typisch für Teile der alten
Funktionärskaste. Er betrifft ganz aktuell auch das mittlere Management in
Politik und Wirtschaft. Das muss zwar nicht Marxismus-Leninismus herbeten,
wird aber aufgerieben in diversen Sachzwängen wie Kostendruck und
Innovationszwang, verbunden mit Compliance-Treue, Nachhaltigkeit und
Diversität. Baumgarten, Enkel des früheren stellvertretenden
DDR-Kulturministers und Staatsopernintendanten Hans Pischner, lässt diesen
Aspekt aber unbearbeitet.
Eine Spur von Individualität darf sich immerhin Katja Riemann als
Linkerhand-Freundin Gertrud leisten; ein paar gespielte Promille weniger im
Blut dieser Desillusionierten hätten der Figur allerdings mehr Gewicht
verliehen.
## Als Hoyerswerda brannte
Natürlich kommt die Sonnenseite des mechanistischen Wohnungsbauprogramms
der DDR auch zur Sprache – Wohnungen für viele zu billigen Mieten. Ein noch
deutlicherer Ausblick ins Heute wird mit der Forderung nach nachhaltigem
Bauen und Verdichten geliefert.
Als kleine Provokation fürs eher linke und dem deutschen Nationalismus
nicht so zugeneigte Gorki-Publikum darf man werten, dass Baumgarten einen
wichtigen Slogan aus DDR-Zeiten in fetten Lettern an die Wand werfen lässt:
Architektur solle „dem Inhalt nach demokratisch, der Form nach national
sein“, heißt es da. Ausgerechnet im Gorki Theater Unter den Linden darauf
hinzuweisen, dass in der DDR das Nationale so positiv besetzt wurde, hat
Sprengkraft.
Die Aufführung endet mit dem Hinweis darauf, dass 1991 ein Plattenbau in
der [3][Linkerhand-Stadt Hoyerswerda] brannte, als Rechtsradikale dort –
unter dem Beifall benachbarter Plattenbau-Insassen – ein Wohnheim für
Geflüchtete mit Molotowcocktails, Steinen und Stahlkugeln angriffen. Da
zeigte sich das Nationale von seiner fürchterlichen Seite. „Linkerhand“
tippt viele Themen an, traut sich zumindest zur Premiere leider weder in
inhaltliche noch in emotionale Tiefen zu gehen.
21 Oct 2024
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