# taz.de -- Bürgerbündnis pro Asyl in Hoyerswerda: Hoyerswerda zeigt Herz

> Ihre Stadt steht seit den Ausschreitungen von 1991 für Ausländerhetze.
> Steffen Apel und Grit Maroske setzen sich für ein anderes Hoyerswerda
> ein.
HOYERSWERDA taz | An diesem Mittwoch ist Steffen Apel um 17.15 Uhr mit
einigen Asylbewerbern vor dem Heim verabredet. Es ist das erste Mal, dass
er die jungen Männer die drei Kilometer Fußweg zum Platz des FC Lausitz
begleiten will. Sie sind neu in der 35.000-Einwohner-Stadt, sie sprechen
kaum Deutsch, und sie können Unterstützung gebrauchen.

Aber Hoyerswerda hat Herz, zeigt Herz und „Hoyerswerda hilft mit Herz“ – so
heißt das Bürgerbündnis, das Steffen Apel mitgegründet hat. Und deswegen
steht er jetzt frierend hier, neben sich seine Frau und eine weitere
Unterstützerin, bis sich die Gruppe, etwa ein Dutzend junger Männer aus
Syrien, Libanon und Pakistan, endlich in Marsch setzen kann. Sie brauchen
Bewegung, der örtliche Fußballverein stellt ihnen den Platz und auch die
Sportkleidung zur Verfügung.

„O Gott, sind wir dafür schon bereit?“ – Steffen Apel erinnert sich an
seinen spontanen Ausruf, als er im Sommer 2013 von den Plänen des
Landkreises hört, in Hoyerswerda wieder ein Heim einzurichten. Die Stadt
hätte eine dezentrale Unterbringung bevorzugt, aber der Kreis Bautzen hat
schon die Umbaupläne für die ehemalige Förderschule in Hoyerswerda in
Angriff genommen. Mitte Februar sind die ersten Flüchtlinge dort
eingezogen; mittlerweile ist das Heim fast voll belegt. Etwa 120 Menschen
warten hier darauf, bis über ihr Asylverfahren entschieden ist.

Ob man will oder nicht – die ausländerfeindlichen Ausschreitungen von 1991
sitzen wie ein kollektives Trauma im Bewusstsein der Hoyerswerdaer fest.
Tagelang belagerten im September 1991 an die 500 Menschen ein
Vertragsarbeiterheim und eine Asylbewerberunterkunft in der Stadt. 230
Mosambikaner und Vietnamesen mussten evakuiert werden, seither hat es in
Hoyerswerda keine Flüchtlingsunterkunft mehr gegeben.

## Ein Gefühl von Mitschuld

Steffen Apel und seine Frau wohnten damals nicht weit vom Ort des
Geschehens entfernt. Sie haben nicht eingriffen, erlebten diese Tage mit
einem Gefühl der Ohnmacht. „Ich fühle mich zu einem gewissen Teil
mitschuldig“, sagt Steffen Apel heute. Die Stimmung gegen die Ausländer sei
auch deshalb eskaliert, weil sich niemand um diese Gruppen gekümmert habe.
Jetzt gehört er zu den Kümmerern. Neben Apel sitzt am Abend eine Frau in
der Kneipe am Markt, die sich heute dazwischenwerfen würde, wie sie sagt.
Grit Maroske ließ sich von ihrem Mann scheiden, weil er sich an den
Ausschreitungen beteiligt hatte. Auf sie und den evangelischen Pfarrer Jörg
Michel geht die Bürgerinitiative, die sich im Herbst 2013 gegründet hat, im
Wesentlichen zurück. Steffen Apel ist im November dazugestoßen.

„Wir können das Geschehen von 1991 nicht wieder gutmachen, aber wir können
es besser machen“, sagt der 51-Jährige in einem entschiedenen Duktus, der
einerseits den Lehrer verrät, andererseits im wortreichen Lausitzer
Plauderton schwingt. Dieses Engagement solle aber bitte nicht nach einer
„zweiten Chance für Hoyerswerda“ aussehen, betonen Apel und Maroske.

Beim Bürgerbündnis sind sie nicht gut auf die Medien zu sprechen, die ganz
Hoyerswerda hartnäckig in die rechte Ecke rücken würden. Die kollektive
Stigmatisierung sei völlig unangemessen. Schließlich habe es die jahrelange
Arbeit der sächsischen Opferberatung RAA und der Kulturfabrik Hoyerswerda
gegeben, es gab die Ausstellung „20 Jahre nach den Ausschreitungen“ und es
gab die öffentliche Entschuldigung von Oberbürgermeister Stefan Skora (CDU)
im selben Jahr 2011. Die rechtsextreme Szene, etwa 35 Personen, nimmt sich
im Vergleich zu anderen Städten eher bescheiden aus. Der Prozess im Januar
gegen acht Neonazis, die 2012 ein junges Paar bedroht und aus der Stadt
vertrieben hatten, hat die Bemühungen der beherzten Hoyerswerdaer
allerdings nicht gerade erleichtert.

## Früher war er Sonderschullehrer

Steffen Apel ist ein äußerlich robuster Mann, der auch einen weichen Kern
offenbart, der mit „Heimatliebe“ nicht zu pathetisch beschrieben ist. Und
die verlangt einfach den Einsatz für das Vertraute, für eine in vielerlei
Hinsicht gebeutelte Stadt. Aus dem Bekenntnis zu Hoyerswerda folgt schlicht
der Wunsch, dass auch andere sich hier wohlfühlen mögen.

Aus Schwarzheide stammt er, das liegt nur 35 Kilometer entfernt an der A13
und war zu DDR-Zeiten ein Zentrum der Chemie. Dorthin wäre er nach dem
Studium in Cottbus als Lehrer für Sport, Deutsch und Mathe wohl auch
zurückgekehrt, einem Hang zum Bodenständigen folgend. Aber im Studium kam
zur Heimatliebe auch noch eine andere hinzu, eine, die bis heute
fortbesteht, weswegen Apel nach der Hochzeit seiner Frau nach Hoyerswerda
folgte, ohne Aussicht auf sofortige Anstellung.

Der damals gefundene Kompromiss prägt sein Berufsleben bis heute, hat sogar
den Boden für sein Engagement in der Bürgerinitiative bereitet. Steffen
Apel sattelte um, studierte noch einmal zwei Jahre Sonderschulpädagogik und
begann an der damals als vorbildlich geltenden Friedrich-Wolff-Schule für
Behinderte als Lehrer und Erzieher.

Diese „Arbeit mit Menschengruppen, die nicht im Fokus der Gesellschaft
stehen“, zieht sich wie ein Leitfaden durch sein Leben. Sie führte ihn 1989
in den Strafvollzug, zunächst nach Spremberg und dann in eine Cottbuser
JVA. Apel ist kein Typ für einen sturen Dienst nach Vorschrift. Schon in
der DDR amtierte er als 1. Kreisvorsitzender des
Schwerbehindertenverbandes. Später, in dem als „miefig und piefig“
empfundenen Strafvollzug, war er nach der Wende der erste Lehrer, der in
einem brandenburgischen Knast mit Computern arbeitete. Er schrieb gemeinsam
mit einem inhaftierten Kollegen Lehrprogramme, begann mit einem
deutsch-polnischen Ingenieurbüro Computerrecycling, entwickelte eine
Sprach-CD, organisierte ein Hilfsprojekt von deutschen Gefangenen für
polnische Häftlinge, betreute Aussteigerprojekte.

## Eine sozialistische Musterstadt

Dieses „Hoywoj“, wie die Stadt unter Einbeziehung des sorbischen Ortsnamens
„Wojerecy“ oft abgekürzt wird, ähnelt auch einem behinderten Kind. Einem
besonders liebebedürftigen also. „Ich habe die Neustadt noch wachsen sehen“
– in diesem Satz Apels steckt ihre gesamte Nachkriegsgeschichte. Die Kohle,
vor allem das benachbarte Energiekombinat „Schwarze Pumpe“, verzehnfachte
in der DDR die Einwohnerzahl des 7.000-Seelen-Städtchens. Eine
widerspruchsvolle Expansion der sozialistischen Musterstadt. „Kann man in
Hoyerswerda küssen?“, fragte in den 70er Jahren die zur Legende gewordene
Schriftstellerin Brigitte Reimann.

Wie in einem Schmelztiegel begegneten hier die Zugezogenen aus den
verschiedensten Regionen einander und entwickelten eine neue Kultur des
Miteinander. Steffen Apel stand auf der Internierungsliste der Stasi für
den Krisenfall. Aber bei der Erinnerung an die Blütezeit der Stadt gerät er
ins Schwärmen. Infrastruktur, Kultur, Feste, die moderne Lausitzhalle, eine
dank der zahlreichen Ingenieure wachsende bildungsbürgerliche Schicht, der
Energiearbeiterstolz. „Wenn Hoywoj nicht wollte, war es in der Republik
dunkel“, sagt er lächelnd.

Gerade hier musste das Ende der DDR wie ein schroffer Bruch, wie ein
massiver Verlust wirken. „Hast du noch Arbeit?“ und „Wohnst du noch da?“,
lauteten nach 1990 die depressiven Standardfragen. Der Plattenbau, in dem
die Apels lebten, ist inzwischen abgerissen, die Einwohnerzahl der Stadt
hat sich halbiert. Die Familie verwarf den Gedanken an einen Fortzug. „Es
ist ja nun wirklich nicht so, dass es in Hoyerswerda gar nichts oder nur
Nazis gäbe“, bekräftigen die Eheleute. „Wir wollen im Bündnis das Gefühl
weitervermitteln, dass die Stadt für jeden Heimat werden kann!“

Die 120 Mitglieder von „Hoyerswerda hilft mit Herz“ haben drei
Arbeitsfelder eröffnet: die direkte Unterstützung der Asylbewerber im Heim,
Begleitung außerhalb des Heimes durch die „Alltagslotsen“ und öffentliche
Werbung um Akzeptanz.

## Nur 25 kamen zur NPD-Demo

Diese Akzeptanz scheint gewachsen zu sein, auch wenn noch immer einige
Einwohner über die ungewohnten „vielen Ausländer“ murren. Zwar hat im
Februar ein stadtbekannter Vorbestrafter einen Marokkaner auf dem
Marktplatz geohrfeigt, als aber am letzten Donnerstag die Neonazis zu einer
Demonstration gegen das Asylbewerberheim aufriefen, kamen nur 25 Leute.
Reibungsvoller gestaltet sich eher noch die Zusammenarbeit des
Bürgerbündnisses mit dem Heimbetreiber European Homecare. Das Personal
fürchte wohl, etwas falsch zu machen, und sei deshalb sehr unflexibel,
berichtet Grit Maroske.

Steffen Apel hat die Halbwüchsigen und jungen Männer als seine Zielgruppe
entdeckt. Mit seinen Modellflugzeugen bedient er ihr technisches Interesse.
Ein stadttaugliches Fahrrad bedeutet für sie eine Attraktion. Apel fand
eines in seinem Keller, organisiert weitere. Und unterstützt nach Kräften
die Kommunikation im Heim wie auch beispielsweise auf dem Fußballplatz, wo
beiderseits noch viel Unsicherheit herrscht.

„Die Asylbewerber wissen genau, wo sie hier sind“, sagt er. Ein junger
Algerier bestätigt das: „Stadt is very very good“, hangelt er sich durch
drei Fremdsprachen. „But people – un peu – not so good.“ Ausgenommen Leute
wie die Apels. „Très bien“, bedankt er sich bei ihnen.

24 Mar 2014

## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Asylpolitik
Pro Asyl
Hoyerswerda
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Hoyerswerda
Bundeswehr
NPD
Pogrom
Rechtsextremismus
Rechte
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rechtsextreme Gewalt in Ostdeutschland: Generation Hoyerswerda
Vor 30 Jahren begann eine Welle rassistischer Pogrome. Rohe Gewalt ist
inzwischen weniger geworden – die Demütigungen im Alltag sind es nicht.
Denkmal zum Pogrom von Hoyerswerda: Lieber nicht provozieren
Endlich zeugt ein Denkmal von den rassistischen Pogromen im Jahr 1991. Doch
Kritikern ist das Bauwerk aus Basalt zu wohlgefällig.
Neonazis in Hoyerswerda: Nachts schleichen sie um das Heim
Erstmals seit dem Pogrom von 1991 hat Hoyerswerda wieder ein
Asylbewerberheim. Doch nach dem jüngsten Angriff haben die Bewohner Angst.
Von der rechten in die linke Szene: Ein Hardcore-Leben
Er trug Glatze und Bomberjacke: Mo Büttner war früher in der rechten Szene
unterwegs. Bei der Bundeswehr wandelte er sich – zum Linken.
NPD kämpft gegen Verbotsantrag: Diesmal eher keine groben Schnitzer
Die Neonazi-Partei fordert eine Einstellung ihres Verbotsverfahren –
mithilfe des Whistleblowers Edward Snowden.
Neues Asylbewerberheim in Hoyerswerda: „Wir können es besser machen“
Vor 22 Jahren gab es in Hoyerswerda heftige Pogrome gegen Vertragsarbeiter
und Flüchtlinge. Nun wurde erstmals wieder ein Flüchtlingsheim eröffnet.
Kommentar Neonazis aus Hoyerswerda: Das Urteil ist nicht das Problem
Die Bewährungsstrafe für die tyrannisierenden Neonazis ist durchaus hart.
Was in der Stadt Hoyerswerda passiert, ist hingegen eine Kapitulation.
Mutmaßliche Neonazis vor Gericht: Nicht mehr als eine Geldstrafe
Acht Rechtsradikale, die ein Paar aus Hoyerswerda vertrieben, sind nur
wegen Bedrohung und Beleidigung angeklagt. Die Polizei griff kaum ein.
21 Jahre Pogrom in Hoyerswerda: Nazis greifen Kulturprojekt an
In Hoyerswerda wurde am Samstag an die ausländerfeindlichen Pogrome
gedacht. Rechte stören die Demo und greifen abends eine alternative Party
an.