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Die Straße nach Eiserfey schlängelt sich durch eine Idylle saftig grüner
Wiesen und sauber abgeernteter Felder, darüber ein blitzblauer Himmel. Das
Haus des Künstlers Peter Ratz finde ich sofort, in dem stattlichen
Fachwerkhaus saß einst ein Bürgermeister der französischen Besatzer. Das
Tor steht sperrangelweit offen. Über der Einfahrt balanciert ein dickes
Mädchen, Erdferkel Elise hält mir ein Protestplakat, ein Spion eine
Spendenbüchse entgegen. Es sind drei der zahlreichen Metallskulpturen, die
Peter Ratz ’ Hof bevölkern. Aus der Werkstatt dringt laute Musik.
taz: Herr Ratz, Sind Sie schon lange auf den Beinen?
Peter Ratz: Ja, seit sechs. Als junger Mensch hätte ich das nicht geglaubt,
aber ich brauche leider das Gefühl, was zu schaffen. Hab ich wohl von
meinen Eltern. Morgens erledige ich Papierkram und Aufträge. Wenn ich dann
was „geschafft“ habe, mach ich, worauf ich Lust hab.
taz: Sie sind im Rheinland geboren, aber in Hessen aufgewachsen, haben
lange in Frankfurt am Main gelebt. Wann sind Sie in die Eifel
übergesiedelt, und vor allem: wieso?
Ratz: 2002 war das. Kurz zuvor war es zum Bruch mit meinem Kompagnon
gekommen. Kurioserweise hat dann auch noch die Klinik im Taunus zugemacht,
bei der meine Frau arbeitete. Es gab zwei Oberarztstellen, in der Stadt
Brandenburg und hier in Mechernich. Aber Brandenburg, uuuuh, mit den ganzen
Nazi-Schmierereien an verwahrlosten Gebäuden … die Altstadt war total
kaputt. Dann gab es die neuen schicken Dinger, wo die Wessis gelebt haben,
und noch so eine Art ausgestorbene Trabantenstadt. Alles schön getrennt.
Das gefiel uns nicht. Mechernich ist zwar auch nicht die schönste Perle der
Eifel. Aber es ist hier ländlich, und man ist trotzdem nah an Köln. Das
Internet ist schnell, man kann alles leicht bestellen. Hier konnte ich
bezahlbare, große Flächen bekommen. Das geht nicht mehr in der Stadt.
Peter Ratz führt mich durch die ausgebaute Scheune. Sie dient als Werkstatt
und Ausstellungsraum.
taz: Ich verstehe jetzt, warum Sie so viel Platz brauchen …
Ratz: Ja, ich baue gerne groß. Mit Anfang 20 hab ich die ersten Objekte
gebaut. Ich arbeite am Liebsten mit dünnem Blech aus Edelstahl und seit 10
Jahren auch mit Schrott.
taz: … der hier in großer Zahl in Regalen lagert.
Ratz: Das ist meine Schatzkammer. Oft bringen mir Leute alte Sachen …
manchmal ist es toll, manchmal grausam. Aber sie meinen es gut.
Ein großer Metalldrache mit einer Monstergestalt auf dem Rücken erhebt sich
hoch über uns – darunter ist eine Theke.
Ratz: Damit hat alles angefangen.
taz: Anfang der Neunziger, in Frankfurt.
Ratz: Eigentlich komme ich aus einem Vorort von Offenbach, Dietzenbach. Da
hab ich mich mit einem Freund zusammengetan. Der war ein paar Jahre älter
und hatte schon eine Metallwerkstatt, fand ich ganz toll. Mit einem dritten
Freund haben wir da zusammen rumgesponnen und gebastelt. Und dabei ist „Der
apokalyptische Reiter“ entstanden, den haben wir auf einer Ausstellung
gezeigt. Harry Owens hat ihn gesehen und gefragt, ob wir den auf dem
Museumsuferfest in Frankfurt ausstellen wollen. Wenn wir eine Bar drunter
bauen dürfen, würden wir das machen, haben wir gesagt. Und das fand er
okay. Wir haben Sangria als „Drachenblut“ verkauft, die Leute waren
begeistert. Einer ist auf zu uns gekommen, er würde das gerne auf einer
Messe ausstellen. Und mein Kumpel so aus Spaß: Für 10.000 stellen wir ihn
hin und holen ihn wieder ab. Der Typ war einverstanden!
taz: Sie sind quasi aus dem Stand ins große Kunstgewerbe gelangt.
Ratz: In den Neunzigern war das der Knaller mit den Metallskulpturen, so
was gab es vorher nicht. Wir haben uns „Die Krauts“ genannt, das mochten
wir, weil es nicht so nach Art-Design-Gruppe klingt, sondern etwas
ruppiger, selbstironisch irgendwie. Mit dem „Apokalyptischen Reiter“ sind
wir quer durch Europa gereist. Wir haben noch andere Großobjekte vermietet.
Sehr gut sind auch die Schaufensterpuppen angekommen. Die hatten statt
Köpfe Fernseher, mit verschiedenen Gesichtern drauf. Nach der ersten Messe
haben wir Aufträge aus der ganzen Welt bekommen.
taz: Sie hatten ja in Frankfurt auch eine sehr gute Plattform …
Ratz: Stimmt. Mitte der Neunziger gab es diesen Bauunternehmer Jürgen
Schneider, der hat für ein paar Milliarden die [1][Zeil-Galerie] gebaut,
mit Hunderten Läden drin, und ist Pleite gegangen. Das gehörte dann der
Deutschen Bank, und die fanden es blöd, dass das leer steht, und haben uns
gefragt, ob wir die Räume füllen wollen. Das war natürlich toll für uns:
100 Mark für 400 Quadratmeter Gewerbefläche, zentral in Frankfurt.
Andererseits war es schon teuer, eine Person reinzustellen, das war die
Auflage. Wir haben dann so Kleinigkeiten entwickelt, Aschenbecher,
Öllampen, Kerzenständer – Sachen, die die Leute bezahlen können. Dabei sind
ganz kuriose Objekte entstanden, wie diese Adventskrake zum Beispiel.
taz: Sehen Sie sich mehr als Künstler oder Kunsthandwerker?
Ratz: Hm … Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich bin ich Künstler. Mein Ding
ist „piff, paff, puff“, das muss einfach zack, zack gehen, und dann ist es
fertig. Ein Handwerker macht sich vorher einen genauen Plan. Ich beginne
dagegen oft mit einer Idee und dann wird etwas ganz anderes draus. Bei
meinen Auftragsarbeiten musste ich mir das allerdings abgewöhnen.
taz: War das immer Ihr Plan, Kunst zu machen?
Ratz: Nein. Nach der Schule hab ich eine Ausbildung im Blumengroßmarkt
gemacht, ich hab einen grünen Daumen, das hat mir immer Spaß gemacht.
Außerdem konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich was mit Holz oder Glas
machen möchte, mit dem Architekturstudium in Frankfurt hat es auch nicht
geklappt, und so dachte ich, hast du nochmal 2 Jahre Aufschub. Als es dann
losgegangen ist mit den Objekten, hat das meinen Ehrgeiz angespornt, ich
wollte ja nicht mein Leben lang Blumentöpfe verkaufen. Ich habe dann
Bauingenieurswesen studiert. Das war oft sehr dröge, die nehmen jeden
Werkstoff auseinander, ziehen und drücken den und gucken, was danach heraus
kommt. Aber für mich war das sehr hilfreich, über Mechanik,
Widerstandsmomente und so Bescheid zu wissen. Fertig gemacht hab ich das
Studium aber nicht.
taz: Handwerklich ist das hier aber nicht ohne, oder?
Ratz: Ja, manchmal kommen Schlossermeister zu mir, die sind ganz
begeistert. Und die Handwerkskammer fragt, ob ich eine Ausstellung machen
kann. Das ist schon skurril, denn eigentlich habe ich das ja gar nicht
gelernt. Aber das ist alles kein Zauberwerk. Das musste ich auch erst mal
verstehen.
taz: Wieso haben Sie sich von den „Krauts“ getrennt?
Ratz: Je älter man wird, desto eigener sind die Köpfe … Wir hatten andere
Vorstellungen und dann auch junge Familien. Am Anfang bin ich noch aus der
Eifel nach Offenbach gependelt, da hatten wir uns eine alte Möbelfabrik
umgebaut. Wir haben praktisch dasselbe gemacht, in getrennten Räumen unter
demselben Dach, das ging nicht gut. Zum Glück hab ich dann diesen Hof hier
gefunden.
Peter Ratz führt mich durch den Garten. Unter den glänzenden
Stahlskulpturen ist auch die Figur des Bischoffs Woelki, der gegen den Wind
ankämpft. An einem Kreuz hängt ein Jesus aus Elektroschrott. Und das nur
wenige Meter von der Dorfkirche entfernt.
taz: Wie reagiert das katholische Eifelvolk auf Ihre Kunst?
Ratz: Na ja, der Pfarrer hat das Kreuz jetzt nicht gesegnet. (lacht) Ich
hab ihm die alte Science-Fiction-Geschichte dahinter erzählt – von dem
Roboter, der die Leute immer zugebabbelt hat, wie sie sich verhalten
sollen, bis sie es nicht mehr ertragen konnten und ihn ans Kreuz genagelt
haben. Der Pfarrer hat darüber geschmunzelt. Wir haben auch schon
zusammengearbeitet, die Katholische Jugend hat eine Fahrradwerkstatt und
mir für meine „Klimagalere“ ein paar alte Räder verkauft.
taz: Das ist das Riesenkunstwerk, das Sie nach der Flut 2021 geschaffen
haben. Ein alter Transporter, zu einem Schiff umgebaut. Angetrieben wird es
durch 6 Fahrräder.
Ratz: Oben ist jemand, der lenkt, ein Trommler treibt die Radfahrer unten
an. Zusammen singen alle ein Lied. Schön ist, dass die Fahrräder alle eine
Gangschaltung haben. Jeder kann also selbst entscheiden, wie viel Kraft er
aufwendet …
taz: … wenn es heißt, den Karren gemeinsam aus dem Dreck zu fahren.
Ratz: Genau. Ich fand es sehr eindrucksvoll, wie die Leute [2][nach der
Flut] zusammen gehalten haben. Dass da wer aus dem Nachbardorf hilft, okay,
aber dass da extra Leute aus Hamburg kommen und hier 2 Wochen Urlaub
machen, um zu helfen, das hat mich sehr beeindruckt. Das war ein besonderes
Gemeinschaftsgefühl.
taz: Die Performance um dieses Kunstwerk haben Sie hier auf einem Festival
präsentiert. Waren die Leute aus dem Dorf dabei?
Ratz: Von den Leuten aus dem Dorf sind eher wenige an Kunst interessiert.
Das ist ja auch in der Stadt nicht anders – ich habe mal gehört, dass sich
nur jeder Hundertste für moderne Kunst interessiert. Aber es sind Leute aus
dem Landkreis gekommen, auch aus Bonn und Köln.
taz: Wie ist sonst der Kontakt zu den Dörflern?
Ratz: Na ja, wir dachten am Anfang, das wird schwer, da kommen die reichen
Städter, kaufen hier die feinste Immobilie auf und setzen sich dahin. Das
ist ein schlechtes Standing. Aber die Leute waren sehr offen. Die haben
auch gesehen, dass ich hier am Haus alles selber mache. Das finden sie
schön. Wenn ich an größeren Objekten arbeite, hilft mir ein Nachbar gern
aus, der hat eine Autowerkstatt und einen großen Fuhrpark. Und wir
engagieren uns auch im Dorf.
taz: Inwiefern?
Ratz: Sankt Martin ist bei uns auf dem Hof. Da kommt das ganze Dorf. Es
gibt eine Tombola, die Kinder kriegen Martinswecken und die Alten Würstchen
und Glühwein. Wir machen ein kleines Feuer – flacker, flacker – und dann
gehen alle wieder nach Haus. (lacht) Wenn du von draußen in ein kleines
Dorf ziehst, ist klar, dass du dich öffnen musst.
taz: Sie meinen, es wird von Ihnen erwartet, dass Sie sich ins
Dorfgeschehen einbringen?
Ratz: Na ja, es ist schon witzig – meist sind es die Zugezogenen, die sich
engagieren. Zum Beispiel, wenn der Weihnachtsbaum gegenüber der Kirche
aufgestellt werden muss. Danach kommen die unten aus der Kneipe, und es
gibt ein Schnäpschen.
taz: Schnaps ist ein altbewährtes Mittel, um miteinander in Kontakt zu
kommen. Fußball ein anderes. Spielen Sie hier im Verein?
Ratz: Nein, ich hab nur ein bisschen bei den Alt-Herren mitgespielt. Aber
unsere Töchter haben wir in den Karnevalsverein gesteckt. Die waren beide
Funkemariechen.
taz: Besser kann man sich im Rheinland ja gar nicht integrieren!
Ratz: Das stimmt. Mit kleinen Kindern kommt man aber eh schnell in Kontakt
mit anderen Familien. Ich habe bei uns auch ein Volleyballnetz aufgestellt
und die Nachbarn gefragt, ob sie mitmachen wollen. 12 Jahre haben wir jeden
Sonntag Volleyball gespielt. Das war eine riesige Gaudi.
taz: Sie haben dem Dorf auch Kunst geschenkt. In der Dorfmitte steht das
Denkmal des Sagenhelden Kakus, der hier in einer Höhle gehaust haben soll.
Ratz: Ja, ich zeige Kakus vor seinem letzten Kampf, wie er ein Selfie von
sich macht. Die Dörfler mochten es. So wie die Hollywood-artige Schrift
„Eiserfey“, die ich auf dem Hügel da angebracht habe. Die hatte
ursprünglich meine Tochter mit einer Freundin gemacht, das war ein
Schulprojekt, zum Girls Day. Eigentlich waren die Buchstaben aus Holz, das
hat aber auf Dauer nicht gehalten. Die Leute aus dem Dorf haben mich
gebeten, das neu zu machen. Jetzt ist die Schrift aus Edelstahl.
taz: In [3][dem offiziellen Youtube-Video zu Eiserfey] kommt Ihre Kunst gar
nicht vor. Die alte Bürgermeisterei wird zwar gezeigt, aber der Schwenk
beginnt genau oberhalb der Figurengruppe vor Ihrem Haus (eine wütende Oma,
die einen Anlageberater jagt).
Ratz: Ach, das wusste ich gar nicht. Mit der Stadt war ich nur einmal in
Kontakt. Ich wollte die „Gülle-Rakete“ oben auf den Berg stellen, so wie
die in Spanien oft Stiere am Ortseingang haben, aber das wollte die Stadt
nicht. Nicht mal vor der Müllverbrennungsanlage wollte man sie haben, dabei
hätte sie da gut hingepasst. Die Rakete thematisiert ja das Problem mit der
Gülle. Keiner weiß, wohin damit. Als die in den Niederlanden die Mengen
eingeschränkt haben, haben sie die Gülle zu uns rüber gebracht.
taz: Traditionellerweise ist diese Gegend tiefschwarz. Ihren Werken ist
aber eine andere politische Richtung abzulesen.
Ratz: Ja, ich bin ein „scheiß Grüner“ (lacht) – so sagt man hier. Ich lass
das nicht so raushängen. Meine Kunst ist zwar oft politisch, aber ich mach
das nicht mit dem Hammer, sondern mehr so auf die witzige Art. So kriegt
man die Menschen eh viel besser.
taz: Bei den letzten Wahlen hat auch die AfD kräftig zugelegt, 14 Prozent
hat sie bei der Europawahl geholt, doppelt so viel wie bei den Wahlen
davor.
Ratz: Das ist eine ziemlich schmerzhafte Sache.
taz: Über die Sie nicht reden wollen?
Ratz: Wissen Sie, das ist ein kleines Dorf. Ich möchte nicht, dass sich die
Fronten verhärten. Auch wenn ich vieles anders sehe und nicht verstehe –
ich habe Respekt für andere Standpunkte.
taz: Haben Sie eine Idee, woher die Sympathie für die AfD kommt? Ist es die
Wut gegen die Berliner Politik der „scheiß Grünen“?
Ratz: Es gibt einige, die wirklich zu knabbern haben und sagen, wie sollen
wir so eine Wärmepumpe bezahlen. Das hat schon Angst ausgelöst. Obwohl
viele Sachen nicht realisiert worden sind, ist das tief in den Köpfen. Aber
es sind jetzt auch nicht nur die armen Schweine, die hier AfD wählen, den
meisten geht es gut. Da ist diese Nostalgie, eine Verklärung der alten
Zeit. Ich kann damit wenig anfangen. Klar, vieles ist nicht perfekt, meine
Töchter haben sich auch über den Busverkehr beschwert. Und jetzt machen
einige Notaufnahmen in der Eifel dicht, da muss man teilweise eine Stunde
bis zur nächsten Klinik fahren. Trotzdem – verstehen kann ich das nicht.
taz: Gibt es etwas, was Sie vermissen?
Ratz: Meine Freunde. Das ist schon was anderes, wenn man gleich alt und
zusammen aufgewachsen ist, zusammen Spaß gehabt hat. Ich habe in Frankfurt
20 Jahre in einer WG gelebt. Das war eine gute Art zu leben. Zurück nach
Hessen möchte ich nicht, dafür habe ich mir hier zu viel aufgebaut. Aber
ich träume von einer Art Alters-WG. Vielleicht in verschiedenen Wohnungen,
aber unter einem Dach.
taz: An Ihrem Hof und Garten ist nicht mehr viel zu tun, Platz für
Skulpturen gibt es auch kaum mehr – steht bald was Neues an?
Ratz: Ich habe schon einen neuen Spielplatz. (lacht) Aber darüber möchte
ich noch nicht reden. Diesen Mann, der hier auf der Sonnenliege eingenickt
ist, hab ich dafür schon gemacht. „Loslassen“ heißt die Figur – sie ist so
entspannt, dass ihr Becher und Handy fast aus der Hand fallen.
taz: Sehnen Sie sich auch manchmal danach, mal richtig loszulassen?
Ratz: Nein, ich muss immer etwas tun. Stillstand mag ich nicht.
15 Oct 2024
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