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Stuttgart/Bochum/Berlin taz | Nach dem angekündigten Rücktritt der
Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour fallen immer wieder
vier Namen von möglichen Nachfolgekandidat:innen. Im Rennen sein
sollen demnach Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin im
Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz; der einstige
NRW-Landesvorsitzende Felix Banaszak, der Berliner Bundestagsabgeordneten
Andreas Audretsch; und der einstige hessische Wirtschaftsminister Tarek
Al-Wazir.
Al-Wazir jedoch [1][sagte der taz], dass er nicht Bundesvorsitzender werden
wolle: „Das ist nichts, worüber ich nachdenke.“
Aber wer sind die anderen drei?
## Franziska Brantner: Superreala mit internationaler Erfahrung
Es war der 5. Februar 2020. Wenige Stunden vorher hatte sich FDP-Mann
[2][Thomas Kemmerich] mit Stimmen der AfD [3][zum Ministerpräsidenten von
Thüringen Wählen lassen]. Da knöpfte sich Franziska Brantner Wolfgang
Kubicki (FDP) bei einem Empfang im Bundestag vor laufenden Kameras vor:
„Wenn mein Ministerpräsident von der AfD gewählt worden wäre, dann würde
ich mich zugrunde schämen, da würde ich heulen“, wetterte die Grüne,
Kubicki konnte nur Floskeln entgegenhalten.
Es ist ein eher untypischer Auftritt für Franziska Brantner, heute 45,
Südwestgrüne vom Realoflügel, die sonst fast immer kontrolliert und
rational, aber durchaus energisch auftritt. Dabei zeigt der Ausbruch von
damals: Brantner kann auch emotional. Das könnte ihr helfen, auch das Herz
ihrer Grünen Partei zu erreichen, falls wahr wird, was das politische
Berlin gerade tuschelt: dass sie eine von zwei grünen Parteivorsitzenden
werden könnte.
2022 liebäugelte Brantner schon einmal mit dem Amt, ließ dann aber der
parteilinken Baden-Württembergerin Ricarda Lang den Vortritt und ging als
parlamentarische Staatssekretärin in das Wirtschaftsministerium von Robert
Habeck. Dort gilt sie als Aktivposten, die das unbedingte Vertrauen des
Ministers hat.
Sie nutzt ihre internationale Erfahrung als frühere EU-Abgeordnete, [4][um
Ceta, das Handelsabkommen mit Kanada, zu retten] und weltweit für die
Deutschland Rohstoffe zu sichern. Gleichzeitig kann sie auch kundige Fragen
bei Start-ups zu Informationssicherheit oder Quantencomputern stellen und
das in gleich drei Sprachen. Französisch und Englisch perfektionierte sie
im Studium in Paris und New York. Spanisch lernte sie dagegen, als ihr kurz
vor der Promotion alles zu viel wurde und sie ein paar Monate zum
Tangotanzen nach Buenos Aires in Argentinien ging, wie sie erzählt.
Brantner ist bei den Grünen bundesweit und kommunal gut vernetzt. Auf dem
letzten Bundesparteitag zog sie im Hintergrund die Fäden, damit ein
pragmatischer Parteitagsbeschluss zur Flüchtlingspolitik möglich wurde. Als
Superreala lässt sie keinen Zweifel dran, dass sie für klare Restriktionen
an der Grenze ist und ihre Partei endlich mit dem Ideal der offenen Grenzen
für nahezu alle brechen muss – und ist damit voll auf der Linie eines
anderen Realos: Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Bis 2013 war Brantner mit Boris Palmer liiert, die beiden haben zusammen
eine Tochter im Teenageralter. Deshalb hat sie sich bisher aller Kommentare
[5][zu Palmers Streit mit der eigenen Partei] enthalten. Inzwischen hat der
bisweilen aufsässige Tübinger Oberbürgermeister die Partei verlassen. Auch
das könnte Brantner die Entscheidung für eine Kandidatur erleichtern.
## Felix Banaszak: ein Parteilinker aus NRW
Als ein möglicher Kandidat der Parteilinken für den grünen
Bundesparteivorsitz wird Felix Banaszak gehandelt. Denn der Duisburger
Bundestagsabgeordnete hat das erreicht, wonach sich die Grünen gerade am
meisten sehnen: Erfolg.
Zusammen mit der heutigen stellvertretenden NRW-Ministerpräsidentin Mona
Neubaur führte Banaszak die Grünen 2018 als Co-Landeschef. Gemeinsam fuhren
die beiden mit 18,2 Prozent das beste Landtagswahlergebnis ein, das die
Grünen an Rhein und Ruhr jemals erreicht haben.
Zuvor hatte der heute 34-Jährige bereits eine lange Parteikarriere
hingelegt: 2009, im Jahr seines Abiturs, wurde er Grünen-Mitglied. Schon
während seines mit einem Bachelor abgeschlossenen Studiums von Sozial- und
Kulturanthropologie und Politikwissenschaft in Berlin arbeitete Banaszak
für den späteren Berliner Justizsenator Dirk Behrendt. 2011 wurde er
Beisitzer, 2012 politischer Geschäftsführer der Grünen Jugend – und 2013
dann deren Bundesvorsitzender.
Nach seiner Rückkehr nach NRW leitete er das Büro der Europaabgeordneten
Terry Reintke und Sven Giegold, wurde 2016 Sprecher des grünen
Kreisverbands seiner Heimatstadt Duisburg. Zwar scheiterte er bei der
Bundestagswahl 2017. Doch 2018 wählten die NRW-Grünen ihn zu ihrem
Landeschef – Banaszak blieb dies bis 2022.
Bereits 2021 war dem verheirateten Vater einer Tochter über Platz 6 der
Landesliste der Sprung ins Bundesparlament gelungen. Banaszak, der „in
Duisburg und Berlin“ lebt, ist damit auf allen Ebenen der Partei bestens
vernetzt. In der grünen Bundestagsfraktion betreut der Rennradfahrer,
dessen Unterlippenpiercing in den vergangenen Jahren verloren ging und der
immer öfter Jackett statt T-Shirt trägt, die Themen Industriepolitik und
Energiewirtschaft – und kämpft deshalb leidenschaftlich für die Umstellung
der Duisburger Stahlwerke von Thyssenkrupp auf klimaneutralen Wasserstoff.
Doch Banaszak denkt längst auch strategisch über die Grundlagen eines
grünen Erfolgs bei den nächsten Bundestagswahlen nach. Wie Vizekanzler
Robert Habeck, dessen Wirtschaftsministerium er für seine Fraktion im
Bundestagshaushaltsausschuss betreut, empfiehlt er seiner Partei, in die
„Merkel-Lücke“ zu stoßen, die CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz mit seinem
Rechtsruck für Wähler:innen der Union gerissen habe.
Merz wirke wie „wie die fleischgewordene Bonner Republik“, stehe für „die
Konzepte der 1990er Jahre“, schrieb Banaszak erst in der vergangenen Woche
in seinem Newsletter, den er mehrmals im Monat an Parteifreund:innen
und Journalist:innen verschickt.
Die Bundesrepublik brauche keine Verengung aller „Herausforderungen unserer
Zeit auf ein Thema – die Migration“, analysierte der Parteilinke darin. Das
Land müsse vielmehr „darüber sprechen, wie es in Zeiten grundlegender
geopolitischer und geostrategischer Verschiebungen wirtschaftliche
Resilienz schaffen und sich außen- wie sicherheitspolitisch robust
aufstellen“ könne.
Nötig sei außerdem eine „ökologisch ambitioniertere“, aber „sozial gerecht
und ökonomisch pragmatisch ausgestaltete“ Klimapolitik, wirb Banaszak – und
macht seinen im Umfragetief steckenden Parteifreund:innen mit Blick auf
die im kommenden Jahr anstehende Bundestagswahl Mut: „Zu all diesen Fragen
sind Friedrich Merz und seine Union weitgehend blank“, findet er – und wenn
das so bleibe, „können und sollten wir die Leerstelle füllen, die die
Nach-Merkel-Union lässt“.
## Andreas Audretsch: ein Linker aus Neukölln
Im Gespräch für den Vorsitz ist laut Spiegel auch der Berliner
Grünen-Abgeordnete und Vize-Fraktionschef Andreas Audretsch. Er wird
ebenfalls dem linken Parteiflügel zugerechnet.
Audretsch ist wie Banaszak erst 34 Jahre alt. Und er stammt wie Franziska
Brantner aus Baden-Württemberg. In Stuttgart geboren, zog er schon als
Student nach eine Zwischenstation in Münster nach Berlin – genauer gesagt
in den Stadtteil Neukölln, wo er sich seit 2011 im Kreisverband der Grünen
engagierte.
Er arbeitet zunächst als Hörfunkjournalist, dann als Sprecher für
verschiedene Bundesministerien und das Bundespräsidialamt.
Bei der Bundestagswahl 2021 kam er als Wahlkreiskandidat in Neukölln zwar
nur auf Platz 2, zog aber über die Landesliste ins Parlament ein. Dort
vertritt er seine Partei vor allem im Ausschuss für Arbeit und Soziales.
Seit 2022 ist er einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden.
Er engagiert sich vor allem für [6][mehr Klimaschutz, etwa durch den Ausbau
der Solarindustrie], oder [7][soziale Gerechtigkeit, zum Beispiel durch die
Kindergrundsicherung].
25 Sep 2024
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