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Delitzsch taz | Dienstagabend, fünf Tage vor der Wahl. Die SPD in Sachsen
hat Blickkontakt mit der Fünf-Prozent-Hürde. Verändert das Attentat von
Solingen die Stimmung? Mathias Teuber, SPD-Mitglied, sitzt in einem
Veranstaltungsraum am Markt von Deltizsch, einer Kleinstadt in Nordsachsen,
„Solingen kostet uns Prozente“, sagt er. „Egal, was die SPD jetzt macht.“
Dabei brauche man Migration, Nordsachsen und Delitzsch seien doch seit
Jahren eine Abwanderungsregion.
Teuber wartet auf den [1][Kanzler Olaf Scholz] und die
SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping. Der Saal ist voll, mehr als 100 sind
gekommen. Scholz, sagt Teuber, müsse jetzt klarmachen, dass Deutschland ein
Einwanderungsland bleibt.
Die Erwartung wird nicht enttäuscht. Scholz gibt in Sachen Migration den
maßvollen Macher, einerseits und andererseits. Er appelliert, man dürfe
nicht zulassen, dass islamistische Terroristen den Zusammenhalt in
Deutschland kaputtmachen. Man werde auch das Asylrecht nicht aus dem
Grundgesetz streichen oder völkerrechtliche Verträge brechen, wie es der
CDU-Chef Friedrich Merz nahegelegt hatte. Einerseits.
Andererseits müssen man „illegale Migration zurückdrängen“. Scholz zählt
auf, was man alles schon getan habe. Den Abschiebegewahrsam von 10 auf 28
Tage verlängert. Er habe gedrängt, dass die Asylverfahren vier Monate
dauern und nicht 40. Der Kanzler hat am Morgen Friedrich Merz getroffen.
Merz funkt seitdem auf allen Kanälen. „Ich habe das Prinzip, aus
vertraulichen Gesprächen nicht zu berichten“, sagt der Kanzler mit diesem
leichten, doch unübersehbaren Scholz-Lächeln. Man hat den Eindruck, dass er
Friedrich Merz wirklich gut leiden kann.
Die Lage für die SPD ist mies, die Debatte hysterisch. Gerade deshalb ist
dies Scholz' Lieblingsrolle. Der Besonnene, Abwägende gegen den Brausekopf
Merz, dem heute dies und morgen das einfällt. „Egal, mit wie viel Schaum
vor dem Mund jemand spricht – ich gehe auf jeden [2][konstruktiven
Vorschlag] ein“, sagt er. Scholz hält Merz für seine Chance. Weil die Leute
am Ende lieber einen Langweiler wählen als einen Unberechenbaren, der
Affekte pusht, anstatt sie zu dämpfen. Aber vielleicht ist das beim Thema
illegale Migration anders.
## Den kenn ich von Tiktok
Warum gehen Menschen an einem Sommerabend in dieser sozialdemokratischen
Diaspora zu einer SPD-Veranstaltung? Levi, 16 Jahre, Schüler, ist mit
seinem Kumpel gekommen. Er wohnt um die Ecke, in Delitzsch ist echt nichts
los, sagt er. Deswegen ist er hier. Und er findet den Tiktok-Kanal von
Scholz „unterhaltsam“. Man könne sehen, wo der Kanzler wohnt.
Bei den meisten Fragen geht es um Schule, Bildung, Unterfinanzierung.
Kitas, die wegen Kindermangel geschlossen werden sollen, um Gymnasien, die
gut, Oberschulen, die mies ausgestattet sind. Petra Köpping sagt: „Wir sind
eine 7,7-Prozent Partei. Wir können nur einzelne Sachen durchsetzen.“ Die
SPD sei eine Partei für Bildung und Soziales.
Es sind auch ein paar da, denen die SPD bei der Migration zu weich ist.
Viel zu weich. Ein Rentner, der seit 70 Jahren in Delitzsch wohnt, wettert,
dass Deutsche Opfer von kriminellen Ausländern und Terroristen werden, wie
in Solingen. 70.000 Abgelehnte müssten ausreisen, aber es gebe nur 8.000
Rückführungen. Scholz rede nur und tue nichts.
Der Kanzler verzieht keine Miene und weist darauf hin, dass Sprüche machen
auch nicht helfe. Er doziert über Dublin und die Schwierigkeiten, eine
gemeinsame Asylpolitik in der EU zu etablieren. Das dauere, aber man sei
auf dem richtigen Weg. „Das hat schon etwas von Sisyphos“, sagt Scholz.
Scholz lobt kühl das eigene Wirken, das er komplex und immer etwas abstrakt
darlegt. Hier emotional niedertouriger Pragmatismus, dort grummelnde
Aufregung und ausgehärtetes Misstrauen. Nach der Veranstaltung steht der
Delitzscher Rentner in der warmen Sommernacht und sagt: Merz habe doch
recht. Man solle gar keine Syrer und Afghanen mehr nach Deutschland lassen.
Und: „Ich war früher ein typischer SPD-Wähler.“
28 Aug 2024
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