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Der Vorstand des Berliner CSD e.V. ist sauer. „Wir hatten ein Ultimatum
gestellt und auf ein deutliches Signal gehofft, dass wir in der Sache ein
ordentliches Stück weiterkommen“, sagte Marcel Voges auf der
Pressekonferenz im Vorfeld des 46. Christopher Street Day mit Nachdruck in
der Stimme.
Doch Ultimatum und langes Warten nutzten am Ende nichts. Kai Wegner (CDU)
hat nicht geliefert. Deshalb wird der Regierende Bürgermeister von Berlin
nicht – wie noch im Jahr zuvor und ohnehin üblich – am Samstag die
Eröffnungsrede für den CSD, den Berlin Pride, halten ([1][taz berichtete]).
Aber der Reihe nach und ein notwendiger Blick zurück: Vor einem Jahr hatte
Wegner den Berliner CSD zum Anlass genommen, um vollmundig eine
Bundesratsinitiative zur Reform des Grundgesetz-Artikels 3 zum Schutz
queerer Menschen zu versprechen. Er wollte eine entsprechende Initiative
dazu in der Länderkammer starten.
Genau das ist eine der sechs Kernforderungen – ein „Sechs-Punkte-Plan für
die Community“ – des Berliner CSD e.V. zum diesjährigen Pride: „Auf Worte
müssen nun Taten folgen“, fordert der Verein. „Auf Bundesebene blockiert
insbesondere die CDU das Vorhaben. Wir fordern daher eine schnelle
Bundesrats- und Kommunikationsinitiative des Berliner Bürgermeisters, um
den Druck in der eigenen Partei zu erhöhen.“ Für eine solche
Grundgesetzänderung braucht es eine Zweidrittelmehrheit – und dafür müssten
Wegners Parteikollegen von der CDU mit ins Boot geholt werden.
Doch daraus wird erst einmal nichts, jedenfalls nicht vor dem CSD am
Samstag. Auch ein Gespräch mit Wegner in der Woche vor dem Großereignis
(angemeldet sind 500.000 Menschen) brachte keinen Fortschritt. Fazit: Er
wird keine Rede halten, aber wohl am CSD teilnehmen.
Immerhin gibt es einen vagen Hoffnungsschimmer: Die angekündigte
Bundesratsinitiative befinde sich schon in einer „senatsinternen
Abstimmung“, wie Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) dieser Tage
verlauten ließ. „Das Papier könne frühestens in zwei Wochen bei der
nächsten Senatssitzung beschlossen werden“, so das [2][Nachrichtenportal
queer.de] (mit dem der Berliner CSD e.V. kooperiert). „Allerdings sei
unklar, ob ein Entwurf bis dahin vorliegt, dem auch die Union zustimmen
kann.“
## Kai Wegner war vorgewarnt
Der CSD-Verein hatte schon im Mai dieses Jahres damit gedroht, den
Regierenden Bürgermeister nicht mehr als Eröffnungsredner zu akzeptieren,
sollte er nicht endlich sein Versprechen aus dem Vorjahr wahrmachen. Kai
Wegner und mit ihm der gesamte Senat waren also vorgewarnt.
Diese Ankündigung hatte vor zwei Monaten auch den Queerbeauftragten des
Senates, [3][Alfonso Pantisano] (SPD), auf den Plan gerufen, der den
Berliner CSD-Verein via Facebook wissen ließ: „Die Ergänzung des
Grundgesetzes ist eine berechtigte Forderung. Das schaffen wir durch Dialog
und ein konstruktives Miteinander aller demokratischen Kräfte. Der Berlin
CSD darf diesen Dialog nicht durch eine unüberlegte Erpressung gefährden –
denn das schadet am Ende der gesamten Community.“
Von einer „unüberlegten Erpressung“ zu sprechen, ist dabei ein starkes
Stück. „Unüberlegt“ ist angesichts des Zeitraums von einem Jahr hier
ohnehin falsch am Platz. Und „Erpressung“ sowieso. Denn dem Berliner CSD
e.V. als dem veranstaltenden, organisierenden und durchführenden Verein
(der das nur dank vieler ehrenamtlich arbeitender Leute schafft) obliegt es
ganz allein, sich auszusuchen, wer die Eröffnungsrede der Pride-Parade
hält.
Das muss kein Regierender Bürgermeister sein. Das ist ein Nice-to-have,
kein Muss, Tradition hin oder her. Nicht wenigen queeren Menschen dürfte
ohnehin egal sein, ob Kai Wegner eine Rede hält oder nicht. Der hat in
letzter Zeit immer wieder von der Regenbogen-Hauptstadt und Stadt der
Vielfalt fantasiert. Reine Lippenbekenntnisse, heißt es von verschiedenen
Seiten. Wegner muss liefern, will er ernst genommen werden.
## Klaus Lederer teilt aus
„Einfach mal machen“, sagt dazu auch Klaus Lederer. Der queerpolitische
Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus [4][bedauert], dass
der Senat in seiner Sitzung in dieser Woche „die letzte Gelegenheit
verstreichen ließ, noch vor dem Berliner CSD eine Bundesratsinitiative des
Landes zur Ergänzung des Artikel 3 des Grundgesetzes um den expliziten
Schutz queerer Menschen zu beschließen“.
Vor einem Jahr habe Wegner viel Lob für seine Bekundung erhalten, sich auf
Bundesebene für eine Grundgesetzänderung starkzumachen. Ein Jahr später
aber stünde fest: „Mit dieser weiteren seiner inzwischen gewohnt
vollmundigen Ankündigungen war der Regierende auf schnellen Beifall aus. Es
folgten keine ernsthaften Bemühungen Wegners, die Initiative zügig auf den
Weg zu bringen.“ Es genüge eben nicht, hin und wieder mit Beschwörungen der
„Regenbogen-Hauptstadt“ symbolisch pathetisch zu werden.
Und nun? Der 46. CSD Berlin/Berlin Pride wird am Samstag ab 11.30 Uhr an
der Leipziger Straße/Ecke Charlottenstraße eröffnet. Die Rede zum
Paradenstart findet traditionell auf dem Vorstandstruck mit der Nummer Eins
statt – und nun wird sie von einer Aktivistin kommen, das ist ein guter
Schachzug: Sophie Koch vom LAG Queeres Netzwerk Sachsen wird die
Eröffnungsansprache halten. Wer braucht da schon Kai Wegner?
Die Politik ist dennoch vertreten: Bundesfamilienministerin Lisa Paus
(Grüne) wird ein Grußwort sprechen, auch darin soll es um Artikel 3 gehen.
Dann ist der CSD-Vorstand mit seinen Eröffnungsreden dran. Aber mal
ehrlich: Warum verzichtet der Verein nicht ganz auf Politiker:innen
und ihre wohlfeilen Reden? An ihren Worten kann man sie kaum messen – wohl
aber an ihren Taten.
Das Motto des diesjährigen großen Berlins CSD lautet „Nur gemeinsam stark –
Für Demokratie und Vielfalt“. Wie hatte doch Vorstand Marcel Voges auf der
Pressekonferenz des CSD-Vereins gesagt: „Es geht darum, den Zusammenhalt in
der Community zu stärken“, und darum, „die Demokratie zu festigen, weil wir
gerade einen gesellschaftlichen Rollback erleben.“ In diesem Sinne: Auf die
Straßen! Und Happy Pride!
26 Jul 2024
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