|
Görlitz taz | Ein paar hundert Meter vom Görlitzer Hauptbahnhof entfernt,
vorbei am modernisierten Filmpalast und einem verbarrikadierten ehemaligen
Getreidehandel, steht ein Gründerzeitbau, in dessen Hinterhof sich ein
Tonstudio befindet. „Aber wahrscheinlich nicht mehr lange“, sagt David
Teschner, als er hereinbittet. Denn demnächst zieht er mit Frau und Kindern
an den Stadtrand, in ein Reihenhaus. Da im Keller sei endlich Platz für all
sein Equipment. Werde auch Zeit, denn das Garagengebäude, in dem er für
wenig Miete an seiner Musik arbeiten kann, falle langsam in sich zusammen.
Ein Besenstiel hält für konstanten Luftstrom die Eingangstür auf –
„Wasserschaden“, sagt er. Innendrin hat er sich’s trotzdem nett gemacht:
große Bildschirme mit bunt leuchtender Tastatur, ein Mischpult, ein
ergonomischer Gamingstuhl, ein durchgesessenes Ledersofa und an der Wand
selbstgemalte Bilder seiner Kinder, ein ausgeschnittener Zeitungsbericht
über ihn, daneben groß gesprayt sein Künstlername: Flaiz.
Flaiz steht für Fleiß, eine Tugend, die er erst später im Leben für sich
entdeckte. David Teschner, 32 Jahre alt, hatte eine unstete Kindheit, zog
mit seiner Mutter und den Geschwistern innerhalb von Görlitz ständig um,
war in der Schule ein Rüpel, der immer dazwischenquatschte, fühlte sich die
meiste Zeit ohnmächtig, irgendwie ausgeliefert.
„Unterm Strich war ich ein Problem, statt ein Kind, das einfache keine
Zukunft sieht“, rappt er in „Geysir“, einem Song, der „eigentlich über
meine gesamte Vergangenheit erzählt“, sagt er. Darin geht es auch um
ignorante Lehrer, ums Sich-selbst-Abschotten und vergebliche Versuche, den
Frust „in grünem Nebel“ zu ersticken.
Zu den glücklicheren Erinnerungen seiner Kindheit gehören die sogenannten
Kinderclubs, die es damals in den Gegenden gab, wo er aufwuchs. Die hatten
immer offen, man konnte sich für 10 Cent einen Toast mit Ketchup schmieren
und dann an der Konsole zocken, Tischtennis oder Basketball spielen, mit
den anderen Kindern abhängen. „Als die zugemacht haben, war ich ziemlich
niedergeschlagen, das weiß ich noch.“
Dass das wütende Kind ein nicht ganz so wütender Jugendlicher wurde, hat
Teschner dem Hiphop zu verdanken. Durch seinen Onkel, einen
Drum-and-Bass-Musiker, entdeckt er Künstler wie Tupac, 50 Cent oder Eminem
und entwickelt ein Verständnis für die Subkultur. Als Teenager beschäftigt
er sich mit der afroamerikanischen Geschichte, lernt die Zusammenhänge von
Hiphop und Unterdrückung und dass es darum geht, „aus den Problemen, die
man hat, etwas Positives zu schaffen, etwas für die Ewigkeit“.
## Worte für den Unmut finden
Sich vielleicht ein bisschen unsterblich machen. Teschner trifft auf Maik
Leder, besser bekannt als MC Maik, Gründer des Görlitzer Labels Waia. Waia
sollte damals eine Plattform sein für Jugendliche, die sich ausprobieren
wollen. Für David Teschner wurde es zur „Struktur“, in der er sich „frei
entfalten“ konnte.
„Dort hab ich erst so richtig angefangen, diesen Unmut, diese
Ungerechtigkeit, die ich gefühlt habe, mal in Worte zu fassen“, sagt
Teschner. Maik Leder und seine Leute hätten ihm dabei geholfen, eine
Haltung zu entwickeln, aber nicht auf missionarische Weise, sondern eher
unterschwellig. Zum Beispiel, als er unbedingt mit ihnen einen Horrorfilm
schauen wollte und Maik Leder dann die damals gerade erschienene
[1][Schocker-Doku „Earthlings“] über Massentierhaltung anmachte. „Das sind
so Kleinigkeiten, aber die haben mir Stück für Stück ein Bewusstsein dafür
aufgebaut, was die eigenen Einflussmöglichkeiten sind.“ Teschner hat
seitdem kein Fleisch mehr angerührt. „Oder dass ich halt immer gegen Nazis
war und mir scheißegal war, was jemand für ’ne Hautfarbe hat. Aber nicht
gut artikulieren konnte, warum.“ Hiphop half. Auch gegen die Wut.
Teschner wirkt erst mal gar nicht wie jemand, der sich gerne mit anderen
anlegt. Entspannt sitzt er in einem schwarz-weiß karierten Holzfällerhemd
auf seinem Gamingstuhl, lacht viel und bekommt einen ganz sanften Blick,
wenn er über die beiden Söhne spricht. Der Große, den seine Frau mit in die
Beziehung brachte, ist jetzt ein Teenager, der Kleine bald ein Jahr alt.
Doch Teschner liebt Streit – zumindest als Kunstform.
Als Jugendlicher macht er mit den Leuten von Waia Battlerap auf dem
Görlitzer Marienplatz, „wirklich auf unterstem Niveau, aber es hat die
Menschen angezogen“. Teschner merkt, dass er als Flaiz so seinen ganzen
Ärger abbauen kann. Zum Beispiel über diesen Exzess und Überfluss, den er
manchmal im Fernsehen sieht. Oder darüber, dass er immer wieder versucht,
rauszukommen, eine Lehre zu machen, und ihm dann irgendwelche
bürokratischen Hürden in den Weg gestellt werden.
## Kreative Art der Beleidigung
In harten Texten voller Superlative und Selbstverherrlichung verpackt er
Emotionen, die er vorher nicht benennen konnte. Battlerap sei die
kreativste Art der Beleidigung, „es gibt Grenzen, aber man kann da auf
jeden Fall voll auf Mutter gehen, ’ne ganze Psychoanalyse des Gegenübers
machen“, sagt er. Teschner ist sich sicher: Hätte er dieses Ventil nicht
gehabt in seiner Jugend, er wäre mit Schaum vorm Mund rumgelaufen, mit Hass
auf alles. Völlig klar, wem er da in die Arme gerannt wäre. Doch es kam
anders: Teschner stellt auch heute noch in seiner Musik Personen an den
Pranger, nur sind es nicht mehr seine Teenie-Hiphop-Freunde aus dem
Jugendclub, sondern Neonazis, rechtsextreme Rapper und Görlitzer
AfD-Stadträte.
„Die Aussagen Bözemanns ein schlechter Witz, für solche Leute im Rapgame
schäm’ ich mich / Fick Nazi Feldmann, fick Nazi Sellner, fick jeden, der
Rap nutzt für seine fucking Hetzjagd“, rappt Flaiz beispielsweise in
„Fucking Racists“.
Bözemann, ein Stuttgarter Rapper, fiel in der Vergangenheit mit
Antisemitismus und Homophobie auf, Steven Feldmann ist ein bundesweit
bekannter Neonazi aus der militanten Dortmunder Szene, und der
österreichische [2][Rechtsextremist Martin Sellner] hielt auf dem Potsdamer
Geheimtreffen den viel zitierten „Remigrations-Vortrag“. Mit „fick jeden,
der Rap nutzt für seine fucking Hetzjagd“, meint Teschner insbesondere das
rechtsextremistische Rap-Label Neuer Deutscher Standard (NDS), ein Projekt
der Identitären Bewegung.
„Du fragst dich, warum mich dieser Scheiß tangiert, warum mach ich diese
Parts publik / in meiner Gegend sind Leute wie Jäschke im Stadtrat, damit
du vom Ausmaß ’ne Ahnung kriegst“, heißt es in „Fucking Racists“ weiter.
Der Antiquar Jens Jäschke hatte der [3][Holocaust-Leugnerin Ursula
Haverbeck] zur Entlassung aus dem Gefängnis gratuliert, flog dann aus der
AfD-Fraktion, um bei der Kommunalwahl im Juni wieder ganz oben auf der
Liste zu stehen. „Was muss noch passieren, bis es uns interessiert. Wenn
der Fremdenhass nicht endet in Deutschland, was beginnt dann hier?“, rappt
Teschner und wiederholt damit eine Line seines Hiphop-Kollegen Megaloh.
Wer Hiphop wirklich ernst nehme, müsse Antirassist sein, sagt David
Teschner. Er tritt regelmäßig bei allen möglichen Anti-rechts-Kundgebungen
im Landkreis auf; als vor ein paar Jahren in den USA George Floyd von einem
Polizisten ermordet wurde, organisierte er in Görlitz eine
Black-Lives-Matter-Demonstration. Hiphop sei ja aus diesem Ohnmachtsgefühl
entstanden, das Schwarze in den Vereinigten Staaten schon immer spürten,
„deswegen hab ich das auch als meine Pflicht gesehen, da was zu machen“.
Teschner versuchte, People of Color für Redebeiträge zu gewinnen, aber alle
sagten sie ihm, sie hätten „keine Lust auf den Spießrutenlauf im
Anschluss“. Manche kamen immerhin zur Demo, allerdings vermummt. Er sprach
stellvertretend für sie – was ihm dann die Identitären „aufs Tablett“
geholt habe. Über eine Woche lang verfolgten sie ihn nach Hause.
Während Teschner erzählt, klingelt sein Handy. Seit einigen Wochen hat er
einen neuen Job und könnte nicht glücklicher darüber sein. „David Teschner,
DGB“, meldet er sich, und es klingt, als würde er das immer schon so
machen. Noch vor ein paar Jahren arbeitete er als Leiharbeiter bei einem
großen Sandalenhersteller am Band, geriet dort eher zufällig in den
Betriebsrat und blühte dort auf. „Da hab ich erst wirklich begriffen, dass
ich Mitbestimmungsrechte habe, dass so ein Arbeitsvertrag nicht gottgegeben
ist, sondern dass man dafür mal geblutet und gekämpft hat.“ Er gräbt sich
ein in die Materie, hat zum ersten Mal das Gefühl, etwas Gutes zu machen.
Er wird „Vollblutgewerkschafter“ und „Straighter Metaller“, der DGB wird
auf ihn aufmerksam. Jetzt ist er dort zuständig für Demokratieprojekte in
Ostsachsen.
Auch wenn es Waia nicht mehr gibt und all die Menschen, die damals so
wichtig für ihn waren, längst aus Görlitz weggezogen sind, bleibt der
Hiphop weiter Teil von Teschners Identität. Bald kommt sein neues Album,
gerade auf die ruhigeren Tracks über die Liebe zu seinen Jungs ist er
stolz. Sowieso macht ihn der Hiphop-Nachwuchs zuversichtlich. Vor einer
Weile hat er mal einen Workshop gegeben für angehende Rapper:innen
zwischen 8 und 14 Jahren. Teschner war beeindruckt, wie gut die schon
ausdrücken konnten, was sie bewegt: Mobbing, Klimawandel, Schulstress,
Tierschutz und die AfD. Er habe das Gefühl, die Kinder und Jugendlichen
verstünden die Zusammenhänge sehr viel besser als er in ihrem Alter. „Die
haben schon so ein grundlegendes Verständnis für die Welt.“ Gegen Ohnmacht
helfe das allemal.
4 Aug 2024
## LINKS
|