# taz.de -- Fotobuch über EU-Büros: Singende Sirenen in Brüssel

> Vorzimmerdämmerung: Suzanne Schols, einst EU-Lobbyistin, hat ein Fotobuch
> über die Nicht-Äshtetik von EU-Bürolandschaften veröffentlicht.
Geschätzt 30.000 Europa-Lobbyisten kommen in Brüssel auf 751 Abgeordnete
des EU-Parlaments oder auf deren Mitarbeiter:innenstab sowie den der
EU-Kommission. Die Lobby, von der die Lobbyisten ihren Namen haben, galt
einst als Vorzimmer, wo Politik und Bevölkerung zusammentrafen.

Nun scheint es vielmehr das Antichambre zu einem Geflecht aus Büros, Fluren
und Kammern zu sein, zu undurchsichtigen Informationen und – wie es 2022
der Qatargate-Skandal vorführte – auch Korruption. Natürlich möchte in
Brüssel niemand „Lobbyist“ geschimpft werden.

Die [1][konzeptuelle Fotografin] Suzanne Schols wünscht im Vorfeld der
Europa-Wahl etwas mehr Transparenz. Für ihren Bildband „Lobby. Between
Green Deals and Ideals“ sucht sie Orte auf, an denen maßgebliche
EU-Influencer arbeiten, und findet funktionstriste Realität.

## Visuelle Entdeckungsreise

Die aus den Niederlanden kommende Schols, Jahrgang 1986, hatte selbst als
Referentin bei der Europäischen Kommission gearbeitet und wechselte erst
später die Seiten: „Als ehemalige Lobbyistin, die zur bildenden Künstlerin
wurde, wollte ich eine visuelle Entdeckungsreise durch die Brüsseler Welt
des Lobbyismus machen, wie ich sie kenne.“

Das erste Bild ihres Buches zeigt das Büro [2][von Frans Timmermans, bis
2023 Exekutiv-Vizepräsident] der Europäischen Kommission und Leiter des
European Green Deal. Am Ende eines spiegelnden Konferenztisches hängt ein
Foto mit Hochhaus-Hotelfensterblick. Was spielt sich hier und was jenseits
des Buches in der Lobby des Hotels ab?

Welche Deals ergeben sich zwischen Büros und nicht abgebildeter
Spitzengastronomie? Und welche Sirenengesänge zwischen Verlockung, Offerte
und Nachdruck senden die Pressure Groups aus? Schols' zweites Bild zeigt
eine mit Flaggen und rotem Teppich ausgestattete Vorhalle im Gebäude des
Europäischen Rates. Hier, auf einem Terrain, das 450 Millionen
Europäer:innen repräsentieren soll, müssten die 30.000
Europa-Lobbyisten doch ständig durchlaufen, aber das gesamte Buch ist
menschenleer.

## Zwischen Eingang und Verwaltung

Den Kern der Publikation bildet die schier endlose Abfolge von Büros der
Lobbyorganisationen selbst. Generische Vorzimmer zwischen Eingang und
Administration sind mit [3][halbwegs bequemen Sitzmöbeln ausgestattet].
Monochrome Teppichböden und pseudotransparente Glaswände dämpfen den
Schall.

Logos, Poster und Broschüren werben in geduldiger Rhetorik für die
jeweilige Sache. Hier sieht es aus wie in einem dieser Möbelhäuser für den
mittleren Geschmack. Aber auch das Beklemmende vom Wartezimmer beim
Zahnarzt schleicht sich ein.

Schols' Projekt ist nach den Kategorien des EU-Transparenzregisters
gegliedert. Hier sind Organisationen aufgeführt, die Einfluss auf Gesetze
der Politik der EU-Organe nehmen. Sie reichen von Beratungsunternehmen,
Anwaltskanzleien und Handelsverbänden bis hin zu NGOs, religiösen
Organisationen oder Denkfabriken.

## Hervorgehobene Merksätze

„Transparenz und Rechenschaftspflicht sind unerlässlich, um das Vertrauen
der Unionsbürger in die Legitimität der politischen, legislativen und
administrativen Prozesse der Union zu erhalten“, lautet ein mit Textmarker
hervorgehobener Merksatz, den Schols aus einem offiziellen Amtsblatt der EU
in ihrem Buch abdruckt.

Die Realität sieht aber anders aus. 31 der 122 angefragten Organisationen,
die vier oder mehr Mal auf den öffentlich zugänglichen Sitzungslisten
auftauchten und über ein Büro in Brüssel verfügen, haben ihr den Zugang
verweigert. Sie werden durch leere Seiten markiert. Darunter befinden sich
etwa Airlines for Europe, Plastics Europe, Swedish Forest Industries
Federation, ArcelorMittal, BASF SE.

In einer geradezu anschmeichelnden Pedanterie listet Schols alle 31 Firmen
auf, immer wieder mit dem gleichen „Access denied“ oder „Multiple requests
received no response“ versehen – die Verweigerung einiger Lobbyisten lässt
sie nicht einfach so durchgehen. „Gibt es eine visuelle Form, die ihre
vielen Schichten befragen kann?“, fragt sich die Künstlerin und sucht
Transparenz in abgedruckten Listen, Timelines oder entlang indexialischer
Fotografien.

Ihr Bildessay untersucht so die Räume, weniger den Lobbyismus, was man
kritisieren kann. Mit ihrer unangenehm nüchternen, visuellen Auflistung
spiegelt Schols ein stereotypes Bild „der“ EU und vermittelt zugleich ihren
unerbittlich schnöden Alltag.

Bertold Brecht bezweifelte 1931 in [4][„Die Dreigroschenoper“,] dass von
der Fotografie eines Gebäudes Rückschlüsse auf die Produktion darin möglich
seien: „Die eigentliche Realität ist in das Funktionale gerutscht.“ So
betrachtet, kann Suzanne Schols' Versuch nur scheitern, in der Ablichtung
von Lobbys auch dem Lobbyismus auf die Spur zu kommen. Doch entlang der
Buchseiten lässt sich trotzdem erkennen, wie „zwischen Green Deals und
Idealen“ kaum ein gesellschaftlicher Raum besteht.

31 May 2024

## LINKS
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## AUTOREN
Jochen Becker
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