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Zhao Gang (*1961) hat seine „China Stories“ auf Seide gemalt. Das
traditionelle Rollbild der aufeinander folgenden Szenarien hat er dann aber
zerschnitten und die einzelnen Szenen eher beiläufig um insgesamt zehn
quadratische Keilrahmen gewickelt. Sie schweben nun wie gelblich leuchtende
Lampions unter der Decke der Galerie Nagel Draxler. Das sieht lustig und
auch ein bisschen verwegen aus. Und ein verwegener Charakter soll auch der
Maler selbst sein, von dem es heißt, er pflege eine Bad Boy Attitüde und
sei ein Bewunderer von Martin Kippenberger.
Zhao Gang spielt in seinem Werk mit Rollen. Mal ist er der
Kriegsberichterstatter, der heroische Schlachtenszenen malt, dann wieder
ist er der akademische Maler, der den Akt zur Parodie hochjazzt, und nun
sieht er sich in der Rolle des traditionellen chinesischen
Geschichtenerzählers, dessen Erzählungen aus der altchinesischen Mythologie
allerdings reichlich krauß und damit weder wirklich antik noch
mythologisch, wenn auch chinesisch beeinflusst sind. Eher zitieren seine
Figuren – wie etwa die menschenköpfigen Schafe auf der Einladungskarte –
die Heraldik und Bestiarien des europäischen Mittelalters, wozu auch der
Eindruck beiträgt, dass der Seidenstoff seiner Keilrahmen-Lampions wie
Pergament wirkt, auf das die Tintenzeichnungen gemalt wurden.
Oft treten seine Protagonisten auch satirisch auf wie der kopflose Mensch
mit der Zeichnung auf dem Bauch, der an Honoré Daumiers Traum vom Mann mit
der Riesenbirne auf dem Bauch erinnern mag. Dann meint man tanzende
Leoparden zu sehen, fliegende Fische sowieso, auch eine Schildkröte kreuzt
den Weg, und überall schlängeln sich Schlangen, vor allem, weil der
Seidenstoff leicht transparent ist und sich die Zeichnungen mit ihren
vielköpfigen Schlangen, oder reptilienartigen Meerjungfrauen dadurch
überlagern.
Zhao Gangs Angriff auf die politische Rhetorik solcher mythologischer
Monster ist offensichtlich. Tatsächlich gehört der Künstler zu den Gründern
der ersten avantgardistischen Künstlergruppe Chinas, der Stars Gruppe.
Aufgrund der politisch dissidentischen Kunstpraxis sah er sich 1983
gezwungen nach Holland zu emigrieren. Dort studierte er in Maastricht an
der Kunstakademie, bevor er nach New York weiterzog, wo er als Banker,
Verleger, Filmemacher und Künstler arbeitete. Sein Angriff auf die
politische Rhetorik ist ein künstlerisch-malerischer, weshalb er in China
auch als Pate des „Bad Painting“, der „schlechten Malerei“, gilt.
## The It-Girl is Present
Einer realen, gleichwohl mythologischen Figur begegnet man in der Person
Kate Moss. Recherchiert man ihren Namen in der taz, findet man nur einen
einzigen Artikel, der sich ausschließlich mit der Model-Ikone schlechthin
befasst. Gleichzeitig gibt es hunderte von Artikeln, in denen auf sie
erwähnt wird, sehr viele davon im Bereich Popmusik und Lifestyle, und dann
ist sie auch noch ein gern gesehener Kolumnengast. Einer ihrer
Kolumnenschreiberfans fragt sich denn auch verzweifelt: „Hat Kate Moss
eigentlich wirklich nie einen Fehler gemacht?“
Oh doch, hat sie. Obwohl sie Interviews meidet und auch sonst nicht gerne
spricht, hat sie mit dem einen Satz, [1][„nothing tastes as good as skinny
feels“] für nachhaltige Empörung gesorgt. Kein wirklicher Fehler war, dass
sie mit Koks erwischt wurde. Das war nur eine gute Gelegenheit für die
anderen Kokser wie Journalisten, Staatsanwälte und Modeleute, sich ein
bisschen aufzuspielen. Und wie Martin Reichert in seinem wunderbaren Text
[2][„Moss das sein?“] richtig feststellt: „Sie war nie dafür bekannt, ein
braves Mauerblümchen zu sein, das abends mit einer Tasse Jasmintee vor dem
Fernseher sitzt. Anders als bei den mittlerweile oft gefälschten Labels,
für die sie geworben hat, gilt: Wo Kate Moss draufsteht, ist auch Kate Moss
drin.“
Das gilt auch für die Ausstellung die ihr [3][Camera Work] jetzt zu ihrem
50. Geburtstag ausgerichtet hat. Albert Watson, der offizielle Hoffotograf
von König Mohammed VI. von Marokko, hat eben dort die Anfängerin an ihren
19. Geburtstag fotografiert, nackt und unbeschwert am Strand wie zwei
winzige Original-Polaroids zeigen. Bei Ellen von Unwerths „Kate Moss in
Bath“ (1995) und Dominique Issermanns „Kate Moss, Paris“ (2004) gibt sie
interessanterweise eine überzeugende Coco Chanel. Wo doch ihr Image in
dieser Zeit ein ganz anderes war, nämlich das des It-Girls mit langen
wilden Haaren, das sich auf Partys herumtreibt und mit coolen Typen
abhängt, so wie es Ellen von Unwerth in „David Bowie and Kate Moss, New
York“ (2003) vermarktet.
Es sind durchweg großartige, Moss' Wandlungsfähigkeit wie totale Präsenz
bezeugende Fotos, die bei Camera Work zu sehen sind. Weil die Ausstellung
aber ausschließlich mit Aufnahmen der von der Fotogalerie vertretenen
Fotografen bestritten wird, muss man sich darauf einstellen, dass man
einige der großartigsten Moss-Fotos, die man immer noch erinnert, seien sie
von Corinne Day, Juergen Teller, Terry Richardson oder Mario Testino, dort
nicht sieht. Vor allem aber fehlen die schönen Paparazzi-Fotos von ihr in
Gummistiefeln auf dem Glastonbury-Festival mit Pete Doherty.
## Von Resistance und Tanzkust
Nach ihren ersten Auftritten als Tänzerin hieß es, sie sei zu klein und zu
dünn, um Karriere zu machen. Kate Moss kann ein Lied von diesem Vorwurf
singen. Ist es nicht peinlich, dass sich ein so unoriginelles Argument so
lange hält? Der Vorwurf wurde nämlich vor rund hundert Jahren gegen
Josephine Baker erhoben, die die [4][Neue Nationalgalerie] in einer
großartig gestalteten Ausstellung von bescheidenen Ausmaßen feiert.
Baker wird als „Icon in Motion“ vorgestellt und so stehen Filmaufnahmen
ihrer Auftritte als Tänzerin, Sängerin und Entertainerin, aber auch als
Mitglied der Resistance im Zweiten Weltkrieg und als Rednerin an der Seite
von Martin Luther King am 28. August 1963 beim Marsch auf Washington (sie
wurde danach, genau wie er, vom FBI unter Edgar Hoover bespitzelt) im
Zentrum der Schau.
In Bewegung war sie auch als Mutter der „Regenbogenfamilie“, wie sie die
zwölf Waisenkinder aus aller Welt nannte, die sie zusammen mit ihrem Mann,
dem Bandleader Jo Boullion, adoptiert hatte. Als sie ihr Schloss in der
Dordogne finanziell nicht mehr halten konnte und die Zwangsräumung drohte,
startete Brigitte Bardot spontan einen Spendenaufruf, wie ein berührender
Clip zeigt. Sie sei Josephine Baker niemals begegnet, finde aber, dass man
sie unterstützen müsse, weil sie in ihrem Leben sehr viel Mut bewiesen habe
und immer sehr großzügig gewesen sei.
Bardot, das zeigt die Ausstellung, steht mit ihrer Faszination für Baker in
einer Reihe mit Le Corbusier und Paul Klee, die sie einmal 1929 und einmal
1927 zeichnen, mit Harry Graf Kessler, der für sie ein Ballett schreibt,
oder Adolf Loos, der für sie ein Haus entwirft. Alexander Calder verewigt
sie 1928 in einem wunderbaren Mobile und Karl Hagenauer und Sébastien
Tamari, halten die Tänzerin einmal 1930 und einmal 1936 in modernistischen
Skulpturen fest. Und auch Henri Matisse widmet ihr 1952 eine Hommage, mit
einem großformatigen Scherenschnitt an der Wand seines Hauses in Nizza.
Die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie bindet nun den Auftritt dieser
Ikone und Muse der künstlerischen (und übrigens auch sexuellen) Avantgarde
zu Beginn des 20. Jahrhundert in Paris und Berlin in einen historischen
Diskurs über „Race & Gender“ ein. Die koloniale Vergangenheit und der
Rassismus der Gesellschaft sollen endlich nicht mehr, wie bislang gerne
praktiziert, unter den Teppich gekehrt werden. Dabei passiert es jedoch
leider, dass die in den Bildern gefeierten Performances Bakers und ihr
Tanzstil in den Texten verkannt und ausschließlich als Ausdruck eines
modischen Hypes um Schwarze „Hypersexualität“ abgetan werden, die den
damals weit verbreiteten Primitivismus bedienten.
Tatsächlich zitierte Josephine Baker in ihren Auftritten exotisierende und
rassistische Klischees, die beim weißen Publikum im Umlauf waren, wie
Bananenröckchen etc. Sie benutzte sie aber auch, um sie durch Komik und
tänzerische Körperakrobatik zu dekonstruieren. Josephine Baker fällt nicht
auf, weil sie nackt ist, das sind alle Protagonistinnen der Tanz-Avantgarde
in Paris und Berlin. Sie fällt auf, weil sie komisch ist, niemand kann so
mit den Augen rollen und schielen und die Beine schlenkern wie sie. Sie ist
die dadaistische Tanzkünstlerin par excellence und mit ihrem knabenhaften
Körper unbedingt die erste moderne, man möchte fast sagen, neusachliche
Nackte. Ihr Auftritt ist nicht erotisch, sondern sexy.
Und hier fällt auf, dass „Icon in Motion“ auf Bakers Rolle als Darling der
Schwulen und Lesben nicht eingeht – obwohl die Ausstellung doch auf der
Höhe der Zeit argumentieren will. Die Bilder erzählen davon, etwa Karl
Vollmoellers Aufnahmen von Josephine Baker, die in Berlin eine Affäre mit
dessen Frau Ruth Landshoff hatte, oder die Szenen mit dem Männerballett in
Leder und Nieten bei Bakers letztem großen Auftritt im Pariser
Bobino-Theater 1975, als Diana Ross, Liza Minelli, Sophia Loren und Mick
Jagger zu den Premierengästen zählten.
11 Feb 2024
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