# taz.de -- Oympiastadion mit NS-Vergangenheit: Das kann so nicht stehen bleiben

> 100 Jahre nach dem Propagandaspektakel sollen wieder Olympische Spiele in
> das Berliner Stadion. Dabei gibt es noch nicht einmal Infotafeln am
> NS-Ensemble.
Berlin taz | Achtung, Groundhopper. An euch, ihr Stadionsammler, sind die
folgenden Zeilen nicht gerichtet. Ihr kennt das [1][Berliner
Olympiastadion] natürlich, und sei es nur von den kurzen [2][Ausflügen der
Köpenicker Kicker von Union Berlin in die große weite Fußballwelt]. Aber
natürlich dürft ihr an dieser Stelle auch weiterlesen. Das Oly, wie es die
Heimfans von Hertha BSC nennen, ist schließlich mehr als ein Stadion. Das
macht die Sache freilich nicht besser.

Nehmen wir einmal die monumentalen [3][Skulpturen aus Muschelkalk von Karl
Albiker]: Sie sind sechs Meter hoch und tragen die Titel „Diskuswerfer“ und
„Staffelläufer“. Beide gehören – wie auch „Zehnkämpfer“ und „Siegerin“ von
Arno Breker – zu einem ganzen Skulpturenensemble, das um das riesige
Stadionrund verteilt ist.

Stadion und Skulpturen wiederum sind, wie das 150 Fußballfelder große
Maifeld, Teil des zu den Olympischen Sommerspielen am 1. August 1936
eingeweihten Reichssportfelds.

Manche nennen das Ensemble um das Stadion das bis heute am besten erhaltene
NS-Gesamtkunstwerk, andere sprechen vom einem „Dark-Heritage“. Wiederum
andere sind mindestens irritiert, wenn sie vor dem Stadionbesuch Zeit
haben, sich auf dem Gelände mit seinem 75 Meter hohen Glockenturm etwas
umzuschauen.

Denn nur wenig dort ist kontextualisiert. Tafeln an den Skulpturen?
Fehlanzeige. Eine Einordnung am Osttor mit den Olympischen Ringen, über das
die Zuschauerinnen und Zuschauer, die mit der U-Bahn anreisen, den Weg ins
Olympiastadion finden? Gibt es nicht.

Stattdessen findet sich unterhalb des Glockenturms in der Langemarckhalle
der von den Nazis in Stein gemeißelte Opferspruch Hölderlins: „Lebe droben
o Vaterland / und zähle nicht die Toten / Dir ist, Liebes, / nicht einer zu
viel gefallen.“

## Memorandum of Understanding

Eigentlich keine guten Voraussetzungen für eine Berliner Olympiabewerbung.
Doch genau das hat der schwarz-rote Senat in Berlin getan. Am 14. November
unterzeichneten CDU und SPD ein entsprechendes „Memorandum of
Unterstanding“. Ob es tatsächlich zu einer deutschen Bewerbung um die
Spiele 2036 oder 2040 kommt, entscheidet der Deutsche Olympische Sportbund
auf einer Sitzung am 2. Dezember.

Wie bitte? Hundert Jahre nach dem Nazispektakel wieder Fackellauf im
Berliner Olympiastation? Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU)
versucht die Gemüter zu beruhigen. Als „bunte, vielfältige, diverse, offene
Metropole“ werde sich Berlin präsentieren. Wenn die israelische Mannschaft
2036 ins Berliner Olympiastadion einziehen würde, so Wegner, wäre das zudem
„ein zweiter Sieg über Nazideutschland“.

Echt jetzt? Denken die Besucherinnen und Besucher, die das Olympiastadion
2036 zum ersten Mal besuchen, an Offenheit und Vielfalt, wenn sie vor dem
„Diskuswerfer“ oder der „Siegerin“ stehen?

Vielleicht sollte sich Kai Wegner einmal mit Peter Strieder unterhalten.
Dem Ex-SPD-Stadtentwicklungssenator war schon 2020 der Kragen geplatzt. In
einem [4][Rant in der Zeit] hatte er gefordert: „Weg mit diesen
Skulpturen!“ Zur Begründung schrieb er: „Eine grundsätzliche
Auseinandersetzung mit dem Erbe des Faschismus – auch dem baulichen – wurde
versäumt.“

Doch die Verantwortlichen tun sich schwer mit dem Nazierbe rund ums
Olympiastadion. Nix mit Abräumen, entgegnete die Senatsverwaltung für
Kultur 2021 in einem Gutachten zum Denkmalwert des Geländes. Man gehe „vom
Aussagewert der überlieferten Sachzeugnisse aus“. Soll wohl heißen: Jeder
sieht selbst, wes Geistes Kind das Ganze ist.

## Aktive politische Aufklärung

Man kann getrost davon ausgehen, dass die neuerliche Olympiabewerbung auch
eine neue Debatte über den Umgang mit dem Nazierbe im Olympiapark auslösen
wird, wie das Reichssportfeld inzwischen heißt. Eine Forderung, die der
Architekt Volkwin Marg schon vor zwei Jahren erhob, lautet: Baut endlich
ein Besucherzentrum! „Weil heute wieder aus altem Nazi-Sumpf üble Blasen
aufsteigen“, [5][schrieb Marg in der Zeit], sei es „dringend geboten“,
nicht irgendwelche Skulpturen zu beseitigen, sondern endlich „aktive
politische Aufklärung“ zu leisten und ein Dokumentationszentrum
einzurichten. Die von den Nazis erbaute Langemarckhalle sei dafür der
richtige Ort.

Eine Kontextualisierung im großen Maßstab also, wie sie Bayern mit der
Eröffnung der [6][Ausstellung „Idyll und Verbrechen“] auf dem Obersalzberg
im September vormachte. Im Zusammenhang mit der Berliner Bewerbung war
davon freilich keine Rede.

Vielleicht kommt aber alles auch anders, und da seid ihr wieder im Spiel,
liebe Groundhopper. Vielleicht darf Hertha auf dem ehemaligen
Reichssportfeld ein neues Stadion bauen. Das wäre dann eine maximale
Gegenirritierung zu den irritierenden Skulpturen.

Vorausgesetzt, der Denkmalschutz spielt mit.

25 Nov 2023

## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Olympiastadion_Berlin
[2] https://www.fc-union-berlin.de/de/fussball/profis/uefa-champions-league/
[3] https://berlingeschichte.de/lexikon/chawi/s/skulpturen_am_olympiastadion.htm
[4] https://www.zeit.de/2020/21/ns-architektur-propaganda-kunst-olympiagelaende/komplettansicht
[5] https://www.zeit.de/2020/23/nazi-architektur-olympiastadion-berlin-gelaende-skulpturen/komplettansicht
[6] https://obersalzberg.de/
## AUTOREN
Uwe Rada
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