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Berlin/Paris taz | Für [1][Verkehrsminister Volker Wissing] (FDP) dürfte
die Nachricht aus Frankreich hochwillkommen gewesen sein: Der französische
Verkehrsminister Clément Beaune plant die Einführung eines landesweit
geltenden Abonnements für den Nahverkehr (pass rail) nach deutschem
Vorbild. Der Preis soll mit dem für das 4[2][9-Euro-Ticket] vergleichbar
sein, die Fahrkarte in Intercity- und Regionalexpresszügen, der Metro,
Bussen und Straßenbahnen gelten. Der Minister ist bereits im Gespräch mit
den Regionen.
Wissing sprach denn auch von einem „großen Signal für den ÖPNV“. Er könne
sich vorstellen, die beiden Tickets künftig grenzüberschreitend
anzuerkennen. Perspektivisch träumt der deutsche Verkehrsminister von einem
„Deutschlandticket“ für ganz Europa. Das 49-Euro-Ticket kann schon jetzt
vereinzelt an Grenzbahnhöfen in Österreich, Frankreich und den Niederlanden
genutzt werden.
Fragt man in Landesverkehrsministerien nach, begrüßen diese deshalb die
französischen Überlegungen und die Idee, die Fahrkarten wechselseitig
anzuerkennen. Das saarländische Mobilitätsministerium redet bereits seit
Jahren nicht nur mit den Nachbarn in Frankreich, sondern auch mit denen in
Luxemburg darüber, wie das grenzüberschreitende Ticketing im ÖPNV
vereinfacht werden könnte. Ministerpräsidentin Anke Rehlinger hat dem Bund
sogar Gespräche und das Saarland als Pilotprojekt angeboten.
Allerdings sind das bislang vor allem Wunschgedanken der Sozialdemokratin.
Denn bevor „die durchaus wünschenswerte Ausweitung der Idee des
Deutschlandtickets weiterverfolgt wird und die rechtlichen und finanziellen
Rahmenbedingungen für eine wechselseitige Anerkennung diskutiert werden
können, [3][muss der Bund seine Hausaufgaben erledigen]“, heißt es aus dem
Ministerium.
## Verkehrsunternehmen finanziell am Abgrund
Dem pflichtet auch Oliver Krischer (Grüne), Verkehrsminister in
Nordrhein-Westfalen bei: „Der gleiche Bundesverkehrsminister, der gerne und
oft über alle möglichen neuen Ideen für das Ticket sinniert, tut gerade
nichts dafür, dass die Finanzierung für 2024 und darüber hinaus gesichert
wird“, sagt er. Viele Verkehrsunternehmen stünden finanziell am Abgrund.
Wenn der Bund nicht bald eindeutige Zusagen mache, „haben wir am Ende ein
tolles Ticket, aber keine Züge mehr, mit denen man es benutzen kann“.
Aktuell unterstützen Bund und Länder bis 2025 Verkehrsunternehmen bei der
Umsetzung des 49-Euro-Tickets, indem sie jeweils 1,5 Milliarden Euro in das
ÖPNV-Angebot investieren. Darüber hinausgehende Mehrkosten werden geteilt –
allerdings vorerst nur bis Ende des Jahres. Eine Anhebung des Ticketpreises
für mehr finanziellen Spielraum hält Krischer für den falschen Weg. „Die
Menschen im Land brauchen Verlässlichkeit. Der Einführungspreis von 49 Euro
muss auch im nächsten Jahr bleiben.“
Dirk Flege von der Allianz pro Schiene fordert zudem ein Sozialticket,
damit auch Menschen mit geringen Einkommen davon profitieren, sowie eine
bundeseinheitliche Lösung für Familien mit Kindern. In Österreich und der
Schweiz sind solche Abovarianten längst Standard. All diese Fragen sollen
auf einer Sonderkonferenz der Verkehrsminister besprochen werden, die für
Donnerstag geplant ist.
Was gibt es sonst für Möglichkeiten, und wie machen andere Länder das? Das
wollte die taz wissen und hat die Verkehrsministerien der Nachbarstaaten
angefragt. Außer Polen haben alle angefragten Verkehrsministerien
geantwortet.
## Andere Nachbarstaaten weniger interessiert
Einzig der belgische Mobilitätsminister Georges Gilkinet (Grüne) hält das
Deutschlandticket auch als grenzübergreifendes Modell für eine
„interessante Idee“. Er sei „offen für alle Lösungen, die mehr Menschen
davon überzeugen, kollektive, umweltfreundliche und nachhaltige
Verkehrsmittel dem individuellen und umweltschädlichen Verkehr
vorzuziehen“. Für Belgien hat der Minister eine Sanierungsoffensive der
nationalen Bahninfrastruktur 2022 in Gang gesetzt und arbeitet derzeit an
einem neuen und flexibleren Ticketing der Staatsbahnen.
Als Modell für ein mögliches landesweites Ticket nennt Gilkinet den
Brupass. Die Fahrkarte kann in Zügen, Bussen und U-Bahnen der
Hauptstadt(region) unabhängig vom Verkehrsunternehmen genutzt werden. Für
die nächste Legislaturperiode plädiert der Minister für ein kostenloses,
landesweit gültiges ÖPNV-Angebot für Menschen bis 26, wie es bereits in
Brüssel und der Wallonie existiert. Um mehr Angebote im ÖPNV zu
finanzieren, bringt Gilkinet die Streichung der Subvention von Firmenwägen
ins Spiel.
Das wäre ein großer finanzieller Hebel, nicht nur in Belgien: Das Forum
Ökologisch-soziale Marktwirtschaft hat in einer Studie errechnet, dass der
Bund das Dienstwagenprivileg in Deutschland mit bis zu 5,5 Milliarden Euro
subventioniert. Das 49-Euro-Ticket bezuschusst der Bund aktuell nur mit 1,5
Milliarden Euro.
Für die deutschsprachigen Nachbarländer – Schweiz, Österreich und Luxemburg
– ist das deutsche 49-Euro-Ticket nicht interessant – sie sind schon
weiter. In Luxemburg ist der ÖPNV seit 2020 gebührenfrei. Langfristig
erwartet die Regierung, dass die Abschaffung des Fahrkartenverkaufs die
spontane Nutzung fördert und somit die Entdeckung des starken öffentlichen
Verkehrsangebots in Luxemburg beschleunigt.
## Hohe Nachfrage nach „KlimaTicket“ in Österreich
In der Schweiz setzt man seit 1898 auf das Generalabonnement (GA), das eher
vergleichbar mit der Bahncard 100 ist und freie Fahrt in fast allen
öffentlichen Verkehrsmitteln in der Schweiz inkludiert. Das GA 2. Klasse
kostet 3.860 Schweizer Franken (umgerechnet 4.038 Euro) und liegt damit
unter den 4.339 Euro für eine Bahncard 100.
Das Angebot hatte zuletzt 431.000 Nutzer:innen, die mit der Bahncard 50
vergleichbare Halbtax wird von fast 3 Millionen Menschen genutzt. Das
zeigt, wie sehr der öffentliche Verkehr im Alltag der Menschen integriert
ist. Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation sieht
dementsprechend keinen dringenden Bedarf für ein zusätzliches
subventioniertes Nahverkehrsticket.
Österreich hat unter dem Motto „Eins für alle“ 2021 das „KlimaTicket“
eingeführt. Es kostet mit 1.095 Euro für Erwachsene nur einen Bruchteil der
Bahncard 100. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) löste damit
ein zentrales Versprechen der aktuellen Regierung ein. Insgesamt wurden
bislang 248.000 landesweite Tickets (Stand August 2023) verkauft und die
Prognosen bei weitem übertroffen.
Bahnexperte Flege sieht die Vorbildwirkung des KlimaTickets nicht nur bei
der Befriedigung sämtlicher Verkehrsbedürfnisse, er unterstreicht auch den
nennenswerten Beitrag zur Verkehrsverlagerung: 57 Prozent der
Nutzer:innen gaben in einer Umfrage des VCÖ an, nun Strecken mit der
Bahn zu fahren, die sie früher mit dem Auto gefahren sind.
27 Sep 2023
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