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Berlin taz | Ob im Park, im Klassenzimmer, auf der Arbeit oder bei der
Wohnungssuche: Muslim:innen müssen rassistische Angriffe fürchten – und
zwar täglich. 898 Übergriffe, also mehr als zwei am Tag, verzeichnet das am
Montag vorgestellte [1][Lagebild zu antimuslimischem Rassismus] für 2022.
„Die Zahlen sind erdrückend! Umso wichtiger, dass wir uns dem Thema
zuwenden“, sagt Cihan Sinanoğlu vom deutschen Zentrum für Integrations- und
Migrationsforschung. Den Bericht verantworten fünf zivilgesellschaftliche
Organisationen unter Federführung von CLAIM – Allianz gegen Islam- und
Muslimfeindlichkeit. Gefördert hat den Report das Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die gezählten Vorfälle betreffen alle
Muslim:innen sowie Menschen, denen der Islam zugeschrieben wird.
Ein Viertel der gemeldeten Übergriffe passierte im öffentlichen Raum.
Besonders Frauen erfahren hier Beleidigungen und auch körperliche Angriffe,
teils auch in Begleitung ihrer Kinder. Ein Mann griff etwa eine Schwangere
im Bus an, rammte ihr das Knie in den Bauch, beschimpfte sie und riss ihr
das Kopftuch herunter.
Insbesondere Lehrkräfte diskriminieren
Darüber hinaus erleben Muslim:innen in Bildungseinrichtungen von Kita
bis Universität Diskriminierung – vor allem durch Lehrkräfte. Insgesamt ein
Fünftel aller gemeldeten Vorfälle ereignete sich an Bildungseinrichtungen.
13,5 Prozent entfielen auf die Arbeitswelt. Die dokumentierten verbalen
Attacken umfassen insbesondere Volksverhetzung und Beleidigung, aber auch
Bedrohungen und Nötigungen.
Betroffene berichteten in der Folge von starken psychischen Belastungen,
sagten, sie mieden bestimmte Orte und Aktivitäten oder zögen gar an einen
neuen Wohnort.
Auch Drohbriefe an Moscheen mit „exzessiven Gewalt- und Morddrohungen“
dokumentiert der Bericht. Diese seien oft mit Verweisen auf das NS-Regime
gespickt und folgten auf vorherige Taten gegen die muslimische Gemeinde.
Elisabeth Walser von CLAIM sagt, man dürfe nicht vergessen, dass jede Zahl
für eine Person steht. Und: „Jeder Übergriff ist auch ein Angriff auf
unsere Gesellschaft, weil sie die Menschenwürde infrage stellt“, sagt
Walser.
Das Dunkelfeld ist groß
Das Lagebild zeigt dabei nur einen Ausschnitt. Die Organisationen gehen von
einer hohen Dunkelziffer aus. Denn vielen Betroffenen fehle Zugang zu
Beratungs- und Meldestrukturen. Dort mangele es zudem oft an Expertise zu
antimuslimischem Rassismus. Betroffene misstrauten außerdem Behörden, weil
sie [2][fürchten, dort erneut diskriminiert zu werden oder ihre Erfahrungen
abgesprochen zu bekommen.]
Die Organisationen betonen daher: Antimuslimischer Rassismus ist kein
Randphänomen. [3][Studien zeigten, dass Ressentiments und auch Gewalt
zunähmen.] Grassierende Einstellungen bereiteten den Boden für Taten.
„Gerahmt und befeuert wird das von den aktuellen Debatten um Migration“,
sagt Rima Hanano von CLAIM. Antimuslimischer Rassismus treibe die Menschen
in die Arme von Rechten. Der gesellschaftliche Diskurs sei nach rechts
gerückt. Das zeigten auch die Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz über
vermeintlichen „Sozialtourismus“ und „Paschas“. „Die Brandmauer nach rechts
wird schächer“, so Hanano.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums (BMI) schreibt auf Anfrage, die
Bundesregierung beobachte Muslimfeindlichkeit mit Sorge und habe in den
letzten Jahren die Maßnahmen dagegen verstärkt. Insbesondere auch in
Reaktion auf rassistisch motivierte Anschläge wie in Hanau habe das BMI im
September 2020 den Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (UEM)
einberufen.
Der UEM habe den Auftrag, Erscheinungsformen von Muslimfeindlichkeit zu
analysieren, einen Bericht vorzulegen sowie Empfehlungen für den Kampf
gegen antimuslimischen Hass und Ausgrenzung zu erarbeiten. Der UEM werde am
kommenden Donnerstag seinen Bericht an das BMI übergeben.
Die Autor:innen des zivilgesellschaftlichen Lagebilds fordern indes, die
Politik müsse das Problem ernster angehen. Man habe alle demokratischen
Parteien kontaktiert, geantwortet habe nur eine. Hanano sagt: „Wir wünschen
uns von allen demokratischen Parteien eine klare Haltung, nicht bloß
Lippenbekenntnisse.“
27 Jun 2023
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