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Berlin taz | Als sich kürzlich die Nachricht verbreitete, dass ein
gelähmter Patient durch eine implantierte Gehirn-Rückenmarks-Schnittstelle
[1][wieder einige Schritte gehen kann], war die Begeisterung groß. Dass
Menschen mit Querschnittslähmung wieder laufen können – ist das nicht einer
der alten Träume der Medizin? Und bei diesem Patienten klappte es nicht mit
Hilfe eines Exoskeletts, einer Art außen am Körper anliegendem Gehroboter,
der die Bewegung übernimmt. Stattdessen konnte dieser Patient mit Hilfe der
Schnittstelle tatsächlich die [2][Bewegungssignale aus dem Gehirn an seine
Beine weitergeben]. Das Forschungsteam aus Lausanne geht davon aus, dass
die Technologie auch anderen Menschen in der gleichen Situation helfen
kann. Zumal der Patient die Schnittstelle auch selbstständig zu Hause
nutzte.
Rainer Abel, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Querschnittsgelähmte am
Klinikum Bayreuth, ist dennoch vorsichtig. Zwar handele es sich um einen
„großen Fortschritt“ bei der Technologie. Aber es komme auf die Details an.
Der Patient habe keine wesentlichen Begleiterkrankungen, sei diszipliniert
und auch risikobereit. „Wir haben beispielsweise schon bei vielen
Brain-Computer-Interfaces gesehen, dass sich Narben um die Elektroden
bilden, die die Funktionsweise beeinträchtigen können“, sagt Abel. Und
nicht jede und jeder sei bereit, sich unter anderem Teile der Schädeldecke
mit Implantaten ersetzen zu lassen und eine lange Zeit mit entsprechenden
Trainings zuzubringen, ohne dass ein Therapieerfolg garantiert werden
könne.
Manche Forscher:innen denken derweil bereits über Implantate oder
Prothesen als Ersatz für nicht mehr vorhandene Körperteile oder -funktionen
hinaus: Warum sollten Prothesen nicht auch Körperteile sein können, die
Menschen bislang nicht haben? So arbeitet beispielsweise eine Forscherin im
[3][Plasticity Lab der University of Cambridge] an einem Projekt, bei dem
Proband:innen einen dritten Daumen bekommen. Testpersonen haben schnell
gelernt, damit umzugehen – und konnten nach kurzer Zeit etwa ein Glas oder
ein Ei halten, Bausteine greifen oder Brillenbügel zuklappen. Eine
Operation ist dafür nicht nötig, der Daumen wird mit einer Art Manschette
am Handgelenk befestigt und über Drucksensoren an den Füßen gesteuert. Die
Forschung könnte Menschen mit anspruchsvollen händischen Tätigkeiten wie
Fabrikarbeitern oder Chirurginnen eines Tages helfen, präziser zu arbeiten
und die anderen Finger zu entlasten.
## Prothesen werfen ethische Fragen auf
Doch je mehr Implantate und Prothesen in der Medizin und medizinischen
Forschung verwendet werden, desto mehr Fragen stellen sich auch. Zum
Beispiel: Wem gehört das Implantat, das jemand im Körper trägt? So musste
beispielsweise eine Patientin mit Epilepsie ein Implantat, das sie vor
bevorstehenden Anfällen warnte und ihr so ermöglichte, rechtzeitig mit
Medikamenten gegenzusteuern, wieder abgeben.
Der Hersteller war pleitegegangen. „Ich hätte alles getan, um es zu
behalten“, wird die Patientin in einem im Mai veröffentlichten
Forschungspapier zitiert. Die Autoren beschreiben die Verbindung zwischen
Schnittstelle und Patientin darin als „symbiotisch“. Die Entfernung des
Implantats könne eine Verletzung des Rechts auf geistige Unversehrtheit
sein – und damit ein möglicher Verstoß gegen die Menschenrechte.
23 Jun 2023
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