# taz.de -- Festival für Internationale Neue Dramatik: Den Menschen zuschauen

> Beklemmung im Kammerspiel: Das Festival Internationaler Neuer Dramatik an
> der Schaubühne Berlin begann mit Stücken, in denen die Welt begrenzt ist.
Das Genre Kammerspiel erhält in der Inszenierung „Fortress of Smiles“ des
japanischen Regisseurs Kuro Tanino eine sehr wortgetreue Bedeutung.
Tatsächlich schaut man zwei Stunden lang in zwei heimelig ausgeleuchtete
Kammern, hyperrealistisch eingerichtet, in denen gequatscht, gekocht,
gegessen, verdaut und geschlafen wird.

Dem Leben da zuschauen, wo es unspektakulär ist, ohne zu dramatisieren, und
doch seine Tragik zu erfassen: So könnte man den Ansatz von Kuro Taninos
Stück beschreiben, der mit „Fortress of Smiles“ nach Berlin gekommen ist,
[1][eingeladen von der Schaubühne zu ihrem Festival Internationaler Neuer
Dramatik], kurz FIND.

So neu scheint Taninos Zugriff freilich nicht, erinnert seine Erzählung
über den Feierabend einiger Fischer in der einen Wohnung, und den
Angestellten, der seine demente Mutter pflegen will, in der Nachbarwohnung
doch an Franz Xaver Kroetz' „Wunschkonzert“, die textlose Beobachtung einer
alleinstehenden Frau, 1973 uraufgeführt und vor zwanzig Jahren auch von
Thomas Ostermeier, dem Intendanten der Schaubühne, inszeniert.

Vielleicht hat auch das zur Einladung geführt. Jahrzehnte später, und noch
immer gilt es, von der Einsamkeit des Menschen zu erzählen. Sein Unglück
scheint existentiell und ist doch menschengemacht.

## Bekommt den Blick nicht vom Handy hoch

In „Fortress of Smiles“ haben die Leute nicht viel, mit dem sie den sozial
eng begrenzten Raum ihres Alltags überwinden könnten. Die Gespräche drehen
sich ums Kochen, ums Aufräumen, die neuen Nachbarn. Die drei Fischer, die
dem Alkohol zusprechen, frotzeln sich und reden über Frauen mit reichlich
Projektionen und wenig Erfahrung.

Der Mann, der seine Mutter pflegt, versucht, alles richtig zu machen und
verschwindet dabei fast zwischen den hin und hergeräumten Kisten. Seine
unglückliche Tochter bekommt den Blick nicht vom Handy hoch. In einer
langen Szene in der Nacht sitzt der pflegende Sohn bei seiner Mutter und
liest ein Buch, um später seiner Tochter zu gestehen, dass er von „Der alte
Mann und das Meer“ nichts verstanden habe.

In der Wohnung nebendran schaut der alte Fischer, der nicht mehr
hinausfahren will, in derselben Nacht einen Western und redet dann lange
über die Einsamkeit des Westernhelden beim Ritt durch die Wüste. Beide
Männer erzählen im Blick auf eine ihnen ferne und unverständliche Kultur
mehr über sich, als ihnen bewusst ist.

## Eine Stepptanzschule in der Provinz

Das Unterlaufen von dramatischer Spannung, das sich Verhakeln im Kleinklein
des Alltags, verbindet das Stück aus Japan mit „House of Dance“,
geschrieben und an der Schaubühne inszeniert von der New Yorker Autorin und
Regisseurin Tina Sattler. Sie zeigte bei FIND im vergangenen Jahr „Is this
a room“, ein dokumentarisches Stück, angelehnt an das Protokoll eines
FBI-Verhörs mit [2][der Whistleblowerin Reality Winner].

Dass die Schaubühne das Festival nutzt, internationale Kontakte zu knüpfen
und Künstler:innen dann auch einzuladen, an ihrem Haus zu inszenieren,
ist eine bereichernde Strategie. Doch die Entscheidung für Sattlers Stück
„House of Dance“, mit dem FIND diesmal eröffnete, ist trotzdem etwas
rätselhaft.

Schauplatz ist eine Stepptanzschule irgendwo in der Provinz. Hier ist jede
Stunde mit dem Traum vom Aufbruch verbunden. Für die Anfängerin, die sich
auf einen lokalen Wettbewerb vorbereiten will, ebenso wie für ihren Lehrer,
der in alten Kostümen wühlend seinen vergangenen Träumen begegnet.
Eigentlich ist das eine schöne Vorlage für Skizzen über Sehnsucht, Träume
und ihr allmähliches Verblassen.

Nur hat die Inszenierung es kaum vermocht, ihren Figuren fassbare Konturen
zu geben. Die Stepptanzübungen geben der Erzählung eigentlich einen
Rhythmus vor, teils lehnen sich die Episoden auch an an den Versuch, mit
Tanzschritten eine Geschichte zu bauen. Aber am Ende hat man als Zuschauer
das Gefühl, mit ebenso leeren Händen herauszukommen wie Schülerin und
Tanzlehrer.

## Sie sind wohl Fans von Quentin Tarantino

Es kommen noch spannend klingende Projekte zum diesjährigen Festival,
darunter ein Stück aus Teheran, das in einer privaten Mädchenschule spielt.
Eine Rückschau ist der New Yorker Wooster Group gewidmet.

Die Stücke der ersten Festivaltage aber waren eher seltsam. Wie „Burnt
Toast“ von Susi Wang, einer Theatergruppe aus Oslo, mutmaßlich Fans von
Quentin Tarantino, Splatter- und Horrorfilmen, aber auch belesen in den
Mythen der Antike, deren Götter und Helden ja gelegentlich auch ihre
eigenen Kinder verspeisen.

## Suspense mit minimalen Mitteln

Ja. Jetzt bekommt man wohlmöglich schon eine Ahnung, dass es irgendwann
ziemlich blutig und ziemlich gruselig in „Burnt Toast“ zugeht. Aber alles
ist inszeniert in einer exquisiten Langsamkeit, und wie die ersten Dialoge
zwischen einem Hotelgast und der Rezeptionistin zelebriert werden, ihre
professionelle Freundlichkeit in einer kommerziellen Wellness-Welt, ist
auch sehr komisch.

Der Gast, der Probleme hat, seinen Namen verständlich zu nennen, muss ihn
schließlich buchstabieren, „I W A S“, was sich auch wie „Ich war“
übersetzen lässt. Da dämmert es einem schon, dass man es möglicherweise mit
einem Zombie oder Vampir zu tun hat.

Auf jeden Fall hat diese Inszenierung den Zuschauer im Griff, erzeugt
Suspense mit minimalen Mitteln, nutzt den Sound schlürfender Geräusche für
wachsendes Entsetzen. Die Rollen von Mutter und Sohn werden ordentlich
umgekrempelt – Norman Bates aus „Psycho“ lässt grüßen.

## Widersprüchliche Emotionen triggern

Das Hinterhältige – oder auch Raffinierte des Erzählstils ist, dass er
widersprüchliche Emotionen triggert, dass die grausamen Handlungen auch als
die Anbahnung einer Liebesgeschichte gesehen werden können. Gelegentlich
streifen die Dialoge Verschwörungstheorien oder Diskurse wie den über
toxische Männlichkeit, aber das bleibt eher nebensächlich.

Lust auf mehr Theater? Die zu entzünden ist den ersten Tagen des Festivals,
das bis 30. April geht, nicht so recht gelungen. Dabei ist FIND in seinen
guten Ausgaben ein Festival, das ein Fenster in unvertraute Szenen öffnet,
gerne viele Geschichten erzählt, aber auch mal befremdliche Ästhetiken
einlädt. Und damit auch ein diverses Publikum anzieht. Es hilft einer
Ausweitung des Blicks. Selbst wenn die Schauplätze, wie in den ersten
Stücken, in sehr engen Grenzen spielen.

24 Apr 2023

## LINKS
[1] https://www.schaubuehne.de/de/seiten/find-23.html
[2] /Aufgeflogene-Whistleblower/!5815670
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Theater
Kammerspiel
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Kultur in Berlin
Theater
Einsamkeit
Theater
Lesestück Interview
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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