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Die Gelegenheit derzeit bei [1][Max Hetzler] noch einmal frühe Arbeiten von
Thomas Struth zu sehen, sollte man sich nicht entgehen lassen. „Unbewusste
Orte/Unconscious Places 1978 – 2022“ zeigt neben zwei aktuellen
Farbgroßformaten mit technischen Anlagen aus der Werkgruppe „Nature &
Politics“ vor allem jene Schwarz-Weiß-Aufnahmen menschenleerer Straßenzüge
in Manhattan, Chicago, Rom, Tokio oder Berlin, die ihn berühmt machten.
Unter diese Fotografien aus der Zeit von 1978 bis 2005 mischen sich aber
auch einige reizvolle Farbaufnahmen aus den frühen 2000er Jahren und auch
die strenge Zentralperspektive, die Struth anfangs grundsätzlich einnahm,
weicht im Lauf der Zeit anderen Blickpunkten.
Wie der Name der Werkgruppe besagt, will der Fotograf das atmosphärisch
Wahrnehmbare im Bild bannen, nicht einfach nur das materiell Gegebene. Er
sucht der jeweiligen urbanen Gemütslage auf die Spur zukommen, die sich als
individueller Stil noch in den drögesten Nachkriegsstraßenzügen deutscher
Mittelstädte zeigt. Bei Hetzler sind jetzt freilich die Nachkriegsstraßen
in Japan, etwa in Yamaguchi zu sehen oder die Straßen der Upper Westside in
Manhattan.
Dazu kommen überraschend sonnige Ansichten von Lima, Peru, St. Petersburg
oder eine Aufnahme der Al-Shuhada Street 1, in Hebron. Üblicherweise
fotografierte Struth die Straßen und Plätze ja gerne im kühlen Morgenlicht
des Tagesbeginns, wenn sie noch menschenleer sind. Wahrscheinlich meint man
deshalb noch das Traumgesicht der Stadt in ihnen zu sehen; so wie sie,
obwohl in einem distinkten Moment aufgenommen, zeitlos uns vor Augen
liegen.
## Philosophie des Raums
Den distinkten Moment der fotografischen Aufnahme negiert auch Robert
Berghoff. Er ordnet dazu zwei Bilder, die meist, aber nicht immer zu
unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten und Situationen
entstanden sind, einander zu. Der Fotograf und Kameramann (u. a. bei Danni
Lowinski) nimmt mit „zwei“ wie die Ausstellung in seinem [2][„jetzt &
dann“-Atelier] heißt, am Europäischen Monat der Fotografie teil. Seine
Schau gehört zu jenen ebenso kostbaren wie luxuriösen Seitenblicken, die
der EMOP auf das fotografische Geschehen in Berlin jenseits der bekannten
Positionen und Ausstellungsorte wirft und die seinen Ruf als lohnens- wie
lobenswerte Einrichtung rechtfertigen.
Berghoff hat rund 32 Bildpaare den Atelierwänden entlang gehängt. Stets im
gleichen Passepartout von 30 mal 40 Zentimeter gefasst, ist die
konzeptuelle Zusammengehörigkeit beider Bildelemente unbestreitbar, wie
sie aber ansonsten zusammenhängen, ist offen und damit den Assoziationen
und Interpretationen der Besucher und Betrachterinnen anheimgestellt.
Da ist das kleine Hochformat, in dem zwei Männer vor Chez Albert sitzen,
einer kleinen Bar, vielleicht in Südfrankreich, und dazu gesellt sich das
kleine, etwas überbelichtete Querformat eines Freiluftimbisses in den USA,
worauf außer der Flagge die annoncierten Shrimp und Lobster hindeuten. Auch
davor sitzen zwei Personen. Handelt es sich womöglich um die gleichen
Leute? Geht es um ihre Geschichte? Oder geht es um das Motiv? Den
Fotoklassiker? Zwei Leute an der Bar? Die situative Ähnlichkeit,
gleichgültig, an welchem Ort der Welt? Wir dürfen es uns aussuchen, es ist
ein Spiel, sagt Berghoff, kein Rätsel, das es zu lösen gilt.
Es ist eine Philosophie des Raums, die sich in den Fotografien eröffnet,
als Feld von Handlungen und Situationen, sagt der Literaturwissenschaftler
Georg Witte in seinem Essay zur Ausstellung. Ein Raum denkbarer Ereignisse,
ein Raum für die Neugierde. Und wir bekommen reichlich Dinge zu sehen, die
uns die Geschichte konstruieren lassen, die die beiden Fotos unserer
Sichtweise nach erzählen.
Da sind reichlich Momente, die uns auf die formale Ästhetik der Fotos
verweisen, die Korrespondenz von Hell und Dunkel, von Licht und Schatten,
die Farbe: das Rot des Treppenläufers auf der einen und auf der anderen das
rote Karo der Decke, auf der der Mann sitzt, wobei sein gelber Pullover so
überraschend mit dem Ton des Treppenholzes harmoniert …. Und dann gibt es
auch die Zusammenstellung, wo wir sagen, da sind zwei Bilder, die wir
einfach nicht zusammenbringen.
## Alltag in künstlerischer Größe
Frühe Arbeiten stellt auch [3][Contemporary Fine Arts] aus. Arbeiten die
wesentlich für Christa Dichgans’ (1940-2018) Entwicklung zur Grande Dame
der deutschen Pop Art waren. Noch lässt sie in diesen Arbeiten dem
Pinselstrich freien Lauf, die entschiedene und klare Linie ihrer
Pop-Sprache zeigt sich erst später. „Robert“, von dem die Ausstellung ihren
Titel hat, ist der Sohn, den die Künstlerin noch während ihres Studiums an
der UdK zur Welt bringt.
Wenig verwunderlich prägt das Leben mit dem Kleinkind ihre Bildwelt, die
nun von roten Dreirädern, gelben Lastenkippern aus Plastik, blauen
aufblasbaren Schwimmreifen mit gelbem Katzengesichtern, Kuscheltieren,
bunten Bällen und Bauklötzen beherrscht wird, wie bei „Robert mit Dreirad“,
1965, zu sehen. Das Format ist 133 x 98 cm beachtlich, Dichgans scheut sich
nicht, ihrem häuslichen Alltagsleben die gleiche künstlerische Größe und
Würde zu geben die ihre Malerkollegen für ihre davon weit entfernten Motive
für ganz selbstverständlich halten.
Noch zeigen die Bilder eine räumliche Anordnung. Das Zimmer in der
Fasanenstraße, in dem sie arbeitet, sich vor allem aber um Robert kümmert,
ist in der lustigen Blumentapete präsent wie das großartige, fast
abstrahierte Stillleben „Keilrahmen und Kinderbett“, 1964, zeigt. Ein
Jahrzehnt später wird der Hintergrund vor dem sich dann die
Spielzeugteddybären in einem einzigen großen Haufen knäulen, monochrom
sein. Dichgans nimmt damit eine Bildsprache vorweg wie sie in den 1990er
Jahren in den Plüschtierhaufen von Mike Kelly oder in Jeff Koons Gummi- und
Ballontieren populär wird.
Noch ist es aber das Kind, das die Künstlerin beschäftigt, wie etwa die
pausbäckige, Puppen spielende kleine Dame namens „Trina“, 1965. Noch ist
der Überfluss der Dinge eine spielerische Herausforderung an das Kind, das
darin seine konstruktiven Ideen genauso ausagiert wie seine
zerstörerischen. Auf der knapp 100 x 100 cm messende Leinwand „Robert mit
Spielkiste“, 1965, ist ein hochkonzentrierter Junge zu beobachten, wie er
sorgsam die Auswahl und den Gebrauch reflektiert, den er von den vielen
Sachen zu machen gedenkt.
Erst später werden die Spielzeuge dann für die Malerin wichtiger sein als
das Porträt. Und der Überfluss wird zur intellektuelle Herausforderung an
die Menschen der Konsumgesellschaft.
1 Apr 2023
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