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Berlin taz | Rund fünfeinhalb Millionen Muslim*innen leben in
Deutschland. Sie sind hier geboren oder zugewandert, konservativ oder
liberal, sehr oder sehr wenig religiös. Um ihre Belange geht es auf der
Deutschen Islamkonferenz (DIK), bei der seit 2006 regelmäßig
Vertreter*innen von Staat und muslimischer Gemeinschaft zusammenkommen.
Am Mittwoch [1][eröffnete Bundesinnenministerin Nancy Faeser die fünfte
Phase der DIK]. Die drei aktuellen Schwerpunkte: der Kampf gegen
Muslimfeindlichkeit, die Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe von
Muslim*innen sowie ihrer Gemeinden und Fortschritte bei der Ausbildung
von Imam*innen in Deutschland.
Es sei ihr dabei „sehr wichtig, die Vielfalt des muslimischen Lebens
abzubilden“, sagte Faeser. Dieses sei „in den vergangenen Jahren bunter
geworden“. Ein Satz, den Deniz Nergiz so nicht ganz stehenlassen will.
„Diese Vielfalt ist nicht in den letzten Jahren entstanden, sie ist nur
jetzt erst sichtbarer geworden“, sagt die Geschäftsführerin des
Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI).
Sie begrüßt, dass bei der Auftaktveranstaltung betont wurde, man wolle
konkret junge Muslim*innen und Frauen in ihrem Engagement fördern. „Ich
bin aber gespannt, wie das dann in der Praxis aussieht – ob diese Gruppen
und ihre Themen dann auch wirklich in den entsprechenden Runden mit am
Tisch sitzen.“ Denn bisher seien sie dort deutlich unterrepräsentiert.
## Abkehr von Seehofer
Faeser hatte am Montag immer wieder betont, wie wichtig ehrenamtliches
Engagement von Muslim*innen sei – für die Integration vor Ort, aber auch
für die Gesellschaft als Ganzes. „Wir brauchen Sie und Ihr Engagement für
die partizipative, pluralistische Demokratie und den Zusammenhalt aller
Bürger“, so die Innenministerin.
„Es ist sehr gut, dass die Bundesinnenministerin im [2][Gegensatz zu ihrem
Vorgänger Horst Seehofer] die Zugehörigkeit des Islams und der
Muslim*innen zu Deutschland nicht mehr in Frage stellt“, sagt Saba-Nur
Cheema. Die Politologin ist Mitglied des von der Bundesregierung
[3][eingesetzten unabhängigen Expert*innenkreises zu
Muslimfeindlichkeit], der im kommenden Sommer seine Ergebnisse und klare
Handlungsempfehlungen vorstellen soll. Die Aufforderung an die Gemeinschaft
aber sieht Cheema auch kritisch.
Einerseits gäbe es dieses Engagement längst, sei es in der Stadtteilarbeit
oder bei der Unterstützung Geflüchteter. „Und andererseits schwingt da
immer dieses alte Narrativ mit: Muslim*innen sind erst mal nicht Teil
der Gesellschaft, und wenn sie sich engagieren, kommen sie rein.“ Auch
dürfe es in Fragen Empowerment nicht bei Floskeln bleiben. Stattdessen
müsse man sich intensiv mit dem Aufbau von Strukturen beschäftigen.
Zum Beispiel beim Thema Imame: Zwar werden in den vergangenen Jahren mehr
und mehr islamische Geistliche in Deutschland ausgebildet. Trotzdem aber
kommt der Großteil der praktizierenden Imame aus dem Ausland. Im Fall des
größten Verbands Ditib, zu dem in Deutschland beinahe 1.000
Moscheegemeinden gehören, wird der Großteil der Imame gar direkt vom
türkischen Staat entsandt – und auch bezahlt. Das wolle man nun nach und
nach reduzieren und schließlich beenden, hatte beim DIK-Auftakt Juliane
Seifert erklärt, Staatssekretärin im Innenministerium.
## Imame werden gebraucht
„Zu sagen, das soll ein Ende haben, ist nicht neu, dass Imame jetzt hier
ausgebildet werden auch nicht“, sagt Cheema. Auch Faesers Vorgänger Horst
Seehofer hatte das Thema zum Schwerpunkt der Islamkonferenz gemacht. „Aber
wie sieht die Alternative aus?“ Viele Gemeinden hätten schlicht [4][nicht
die finanziellen Mittel, ihr geistliches Personal angemessen zu bezahlen].
Der Bedarf aber sei klar und werde noch wachsen. „Die Zahl der Musliminnen
und Muslime in Deutschland wächst. Und Moscheen sind keineswegs nur für die
Religiösen unter ihnen wichtig“, so Cheema. „Sie sind auch für viele
säkular lebende Muslim*innen ein wichtiger sozialer und kultureller Raum
– zum Beispiel, wenn sie heiraten.“
„Nancy Faeser hat in ihrer Grundsatzrede einige sehr wichtige Stichworte
genannt“, sagt Eren Güvercin, Mitbegründer der Alhambra-Gesellschaft. „Dass
Muslimfeindlichkeit auf der Agenda sein wird, war eine klare Erwartung der
muslimischen Community, sowohl aus den Verbänden als auch
verbandsunabhängig.“ Ein aus seiner Sicht wichtiges Thema habe aber beim
Auftakt der Islamkonferenz gefehlt.
„Nächstes Jahr wird in der Türkei gewählt – und seit zwei Monaten reisen
AKP-Abgeordnete durch die Ditib-Moscheen in Deutschland und machen
nationalistischen Wahlkampf“, sagt Güvercin. „Am Mittwoch saß ein
Ditib-Funktionär beim Auftakt der Islamkonferenz auf dem Podium, kritische
Fragen dazu gab es aber nur aus dem Publikum.“
## Gezielter Wahlkampf
Güvercin und auch der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck
hatten bei der Veranstaltung entsprechende Fragen an Eyüp Kalyon gestellt,
Sprecher des Koordinationsrats der Muslime – und Verantwortlicher für die
Imamausbildung beim Ditib-Bundesverband. Dieser hatte geantwortet,
Abgeordnete aller Parteien seien bei Ditib willkommen. „Wahlkampf und
Parteipolitik sind aber in unseren Moscheen nicht erlaubt.“
In Deutschland leben rund 1,4 Millionen Menschen, die in der Türkei
wahlberechtigt sind. Schon seit September gibt es [5][Medienberichte über
Besuche von Abgeordneten] der Regierungspartei AKP sowie der rechtsextremen
MHP in Moscheen der Ditib und der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş
(IGMG). Auch wirbt Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan offenbar [6][mit
einem Brief] gezielt in Moscheegemeinden und türkischen Vereinen in
Deutschland.
Was Wahlkampf in Moscheen angehe, habe die Bundesregierung klare Regeln,
hatte beim DIK-Auftakt Staatssekretärin Juliane Seifert. Seit 2017 gilt:
Ausländische Vertreter*innen dürfen [7][in den drei Monaten vor einer
Abstimmung nicht hier werben]. „Bei meinem Besuch in Ankara habe ich darauf
auch hingewiesen“, sagte Seifert. Sie war vorige Woche in der Türkei, um
über den künftigen Umgang mit der Imamentsendung zu sprechen.
9 Dec 2022
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