| # taz.de -- Übergewinnsteuer und die FDP: Hermetisch abgeriegelte Sekte
> Die Kriegsfolgen verschärfen die soziale Ungleichheit im Land. Aber eine
> Verteilungsdebatte wird mit der Ampel nicht zu machen sein – wegen der
> FDP.
Unerwartete Worte von der FDP: „Das Recht auf freie Verfügung des Einzelnen
über sein Eigentum und auf seinen persönlichen oder beruflichen Gebrauch
muss … da seine Grenze finden, wo dies zu unangemessenen und
unverhältnismäßigen Einschränkungen der Freiheit anderer oder zu einer
Beeinträchtigung des Wohles der Allgemeinheit führt.“
Das könnte eine ziemlich treffende aktuelle Analyse sein: Reiche, die ihr
Kapital in Fonds sogenannter Vermögensverwalter wie Blackrock anlegen,
freuen sich derzeit über immens steigende Aktienkurse und hohe
Ausschüttungen. Denn Blackrock und Co. halten große Anteile an Ölkonzernen
wie [1][Shell] und BP, die derzeit noch höhere Gewinne als sonst einfahren.
Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die nicht nur unter steigenden
Energiepreisen zu leiden haben: Menschen, die vor dem Krieg höchstens eine
Null am Monatsende auf dem Konto stehen hatten und jetzt noch weniger.
Nein, natürlich ist das Zitat schon über 50 Jahre alt; es stammt aus den
[2][Freiburger Thesen von 1971], dem damaligen linksliberalen
Grundsatzprogramm der Partei. Es war die Zeit, als FDP-Vordenker Ralf
Dahrendorf (einer seiner Buchtitel: „[3][Soziale Klassen und
Klassengesellschaft in der Industriegesellschaft“]) mit Rudi Dutschke am
Rand eines Parteitags diskutierte und in der FDP der Begriff Freiheit mehr
als seine hyperindividuelle Vulgärform bedeutete.
Heute ist die FDP die Lindner-FDP. Damit ist sie natürlich gegen [4][eine
derzeit diskutierte Übergewinnsteuer], die kriegsbedingte Gewinne von
Ölunternehmen abschöpfen könnte, um Entlastungen für diejenigen zu
finanzieren, die es nötig haben. Nebenbei: Lindners Argument, dass das
Steuerrecht Gewinne gleichbehandeln muss, stimmt nicht – Unternehmen müssen
zusätzlich Gewerbesteuer zahlen, Einzelpersonen nicht, und der Bundestag
hat bei Steuern einen sehr weiten Gestaltungsspielraum. Sondersteuern
müssen, das ist die Bedingung, [5][„sachlich begründet“ sein, wie es in der
Fachsprache heißt].
Mit Wucht ist durch den Krieg die Koalition mit der Umverteilungsfrage
konfrontiert, aber sie ist wegen der FDP blockiert (wichtige Teile von SPD
und Grüne können sich die Übergewinnsteuer vorstellen). Christian Lindner
muss seine Klientel bei Laune halten. Das sind keineswegs nur die
klischeehaften Porschefahrer. Es sind, so zeigen Wahlanalysen,
überdurchschnittlich häufig junge Männer, die an den Börsenkapitalismus
glauben: jene, die auf Lindners Aktienrente hoffen und ihr Aktiendepot
schnell umschichten, wenn woanders gerade Gewinne locken.
Über die Widersprüche der FDP-Mantras kann man mit ihnen gar nicht erst
diskutieren: Dass in diesem Land Reichtum allermeistens nicht durch
Leistung entsteht (angeblich ein FDP-Wert), sondern durch Spekulation an
der Börse oder durch Erbschaften. Dass Steuern nicht etwas Böses sind,
sondern der Staat durch sie Krisen wie die Coronapandemie, die
Klimaerhitzung oder eben Kriegsfolgen besser bewältigen kann.
Sinnlos ist in diesem Milieu die zaghafte Frage, ob die Gewinner der Krise
nicht auch an den Kosten beteiligt werden sollten. Lindners Jünger sind die
Kinder der neoliberalen Revolution, die seit den achtziger Jahren in die
Gesellschaft eingesickert ist.
## Geburtsfehler der Ampel
Die FDP ist eine intellektuell verkümmerte, soziologisch verengte Partei,
eine hermetisch abgeriegelte Sekte mit einem Anführer an der Spitze, der
seine hehren marktwirtschaftlichen Prinzipien nur dann umwirft, wenn es
populistisch nützlich ist, [6][wie etwa beim Tankrabatt].
Der Steuerstreit zeigt einen zentralen Geburtsfehler der Ampel: Diese
Koalition kann Cannabis legalisieren und mehr Windräder aufstellen. Sogar
ein höherer Mindestlohn ist möglich, weil die FDP weiß, dass er nur ein
Trostpflaster für die Marginalisierten ist und die verteilungspolitische
Machtfrage nicht stellt. Aber eine echte Verteilungsdebatte, die mehr
umfasst als eine Übergewinnsteuer, wird mit dieser Koalition nicht zu
machen sein.
Lindner sagte nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen 2017 bekanntlich:
Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Heute scheint es
umgekehrt zu sein: Es ist besser, falsch zu regieren, als gar nicht zu
regieren.
10 Jun 2022
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