|
Wer sich um die [1][Zukunft deutscher Innenstädte] sorgt, sollte einen
Blick in die Stuttgarter Eberhardstraße werfen. Nur wenige Meter vom
Rathaus entfernt steht dort eine etwas in die Jahre gekommene
Galeria-Kaufhof-Filiale. Ein typischer Bau der Nachkriegsmoderne: dunkles
Glas, angelaufener Beton und die mit wabenartigen Horten-Kacheln verzierte
Fassade.
Immobilien wie in der Eberhardstraße gibt es in Deutschland in fast jeder
größeren Stadt. Zentral gelegen, architektonisch unattraktiv und immer
weniger frequentiert. Und, ebenfalls nicht ungewöhnlich für Warenhäuser,
oft Eigentum des österreichischen Immobilienunternehmens Signa und
damit akut vom Abriss bedroht.
Signa ist mittlerweile einer der größten Player auf dem deutschen
Immobilienmarkt. Ihr Gründer, der österreichische Self-Made-Milliardär René
Benko, hat mit der Signa Holding innerhalb von etwas mehr als zwei
Jahrzehnten ein ganzes Immobilienimperium geschaffen.
Zum Portfolio des undurchsichtigen Firmengeflechts gehören nicht nur
prestigeträchtige Immobilien wie das KaDeWe in Berlin, die Alsterarkaden in
Hamburg oder die Alte Akademie in München, sondern auch zahlreiche
Kaufhausimmobilien, die Benko mit der Übernahme der Warenhauskonzerne
Galeria-Kaufhof und Karstadt erworben hat. Wie Deutschlands Städte
gestaltet werden, bestimmt Immobilienmogul Benko mittlerweile maßgeblich
mit.
In der Eberhardstraße schien das Ende des Warenhausstandorts schon lange
vor der [2][Bekanntgabe der Schließung im März] besiegelt. Der Anbau
mitsamt Verbindungssteg auf der gegenüberliegenden Straße wurde bereits vor
zwei Jahren abgerissen. „Man hatte das Gefühl, der Laden läuft seit Jahren
auf Schmalspurbetrieb“, sagt Hannes Rockenbauch. Der Stadtplaner und
Architekt ist Fraktionsvorsitzender in der linken Sammelfraktion im
Stuttgarter Gemeinderat und sieht Signas Treiben in Stuttgart seit Langem
kritisch. Bereits 2020 diskutierte Signa mit der Stadt über einen Abriss
des Gebäudes. Wenig später war klar: Signa will einen Büroneubau, in den
die Bundesbank als Hauptmieter einziehen soll.
Die Aufwertung von Immobilien ist das eigentliche Kerngeschäft Signas, wie
eine 2021 von dem britischen Wirtschaftsmagazin Bloomberg veröffentlichte
Analyse nahelegt. Dabei geht der Konzern immer nach demselben Schema vor:
Immobilien in zentralen Lagen kaufen und ihren Wert deutlich steigern. Für
die maximale Wertsteigerung führt an einem kompletten Abriss und Neubau oft
kein Weg vorbei; höchstens das Betonskelett bleibt bei einigen Bauprojekten
noch erhalten.
Trotz des immensen Aufwands und der damit verbundenen Kosten, die bei
Signas Projekten nicht selten in dreistelliger Millionenhöhe liegen, ist
die Methode der Aufwertung höchst profitabel. Der Gewinn ergibt sich dabei
weniger aus den höheren Mieteinnahmen, die in den Neubauten verlangt werden
können – bis sich die Investitionskosten amortisiert haben, kann es
Jahrzehnte dauern –, sondern durch die gestiegene Immobilienbewertung, mit
der sich schon jetzt neues Kapital anlocken lässt.
Externe, aber meist vom Unternehmen bezahlte Gutachter errechnen den Wert
einer Immobilie unter anderem auf Grundlage der zu erwartenden
Mieteinnahmen, die in den nächsten Jahrzehnten mit der Immobilie erzielt
werden können. Diese sind wiederum abhängig von der Lage, Geschossfläche,
Attraktivität der Architektur und der Marktentwicklung. Reißt Signa also
das Kaufhaus ab und baut stattdessen schicke Büros, die sich deutlich
teurer vermieten lassen, steigt die Immobilienbewertung. Und das, bevor
überhaupt ein Stein bewegt worden ist.
Zu Geld gemacht wird der Bewertungsgewinn nicht nur, wenn die Immobilie zu
dem gestiegenen Preis verkauft wird, sondern auch wenn er als Hypothek für
einen neuen Kredit dient. Mit diesem lassen sich sowohl die alten Kredite
ablösen als auch neues Kapital generieren. „In der Branche wird kaum
getilgt, sondern nur refinanziert“, erklärt Leonhard Dobusch,
Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Innsbruck.
Nach internationalen Rechnungslegungsstandards könne diese Wertsteigerung
als Gewinn ausgewiesen werden, weil auch die Vermögenswerte des
Unternehmens gestiegen sind, sagt Dobusch. Dadurch lasse sich die
Ausschüttung hoher Dividenden an die Investor:innen rechtfertigen. „Die
Ausschüttungen locken wiederum neue Investor:innen an, die nach
profitablen Anlagemöglichkeiten suchen.“
## Frisches Geld für neue Immobilien
Mit dem frischen Geld kauft Signa wieder neue Immobilien und Grundstücke,
mit denen sich ähnliche Wertsteigerungen erzielen lassen. Um möglichst hohe
Gewinne zu erzielen, plant Signa die Projekte so groß und monumental wie
möglich.
Am Berliner Hermannplatz will Signa das im Krieg zerstörte
[3][Karstadt-Gebäude von 1929 rekonstruieren], das mit seinen zwei Türmen
und der Art-déco-Fassade deutlich spektakulärer wäre als der aktuelle Bau
der Nachkriegsmoderne. In Hamburg will Signa mit dem Elbtower nicht
weniger als ein neues Wahrzeichen der Stadt errichten. Bestens gelegen im
Osten der Hafencity, mit einer Höhe von 245 Metern und einem
Investitionsvolumen von voraussichtlich 960 Millionen Euro.
Es ist kaum verwunderlich, dass Signa angesichts der oft
überdimensionierten Vorhaben in innerstädtischen Lagen auf politischen
Widerstand stößt. Dabei gilt: Jedes Hindernis, das Benko aus dem Weg
schafft, bedeutet Profit in Form von höherer Bewertung.
„Projektentwicklung ist in guten Teilen ein Lobbyistengeschäft“, erklärt
Christoph Trautvetter. Der wissenschaftliche Referent des Netzwerks
Steuergerechtigkeit ist ein Kenner der von Finanzkapital getriebenen
Immobilienbranche. Vor allem ginge es darum, bei den
Bebauungsplanverhandlungen möglichst viel herauszuschlagen. „Dieses
Geschäft hat Benko perfektioniert.“
Auch in der Eberhardstraße stießen Signas Pläne anfangs auf Gegenwehr. Die
Stadt sah mehr Potenzial für das zentral gelegene Grundstück, als noch
einen weiteren Bürostandort zu schaffen. So suchte sie schon seit Längerem
nach einem Standort für ein „Haus der Kulturen“, das Raum für
zivilgesellschaftliche Gruppen bietet. Als Signa die Immobilie 2020
innerhalb ihres Firmengeflechts verkaufte, zog der damalige Bürgermeister
Fritz Kuhn (Grüne) das Vorkaufsrecht, um das Grundstück für die Stadt zu
erwerben.
Doch so einfach gab Signa nicht auf. Das Immobilienunternehmen klagte gegen
das Vorkaufsrecht, drohte mit jahrelangem Rechtsstreit, machte
Alternativangebote, Versprechungen, lobbyierte, wo es ging. Entscheidend
war die Unterstützung von Kuhns Nachfolger, CDU-Mann Frank Nopper, der
Signa deutlich wohler gesinnt war: „Es gab kaum zu einem Thema so viele
Ausschusssitzungen wie zur Eberhardstraße“, erinnert sich Rockenbauch.
Jedes Mal habe der Oberbürgermeister auf einen Kompromiss gedrängt.
Letztendlich knickte der Gemeinderat im vergangenen Oktober ein und segnete
eine Vereinbarung mit Signa ab: Die Stadt verzichtete auf das
Vorkaufsrecht, im Gegenzug musste das Immobilienunternehmen versprechen, 75
Wohnungen in der Umgebung zu schaffen. Als im Februar dann noch die
Commerzbank ankündigte, das Gebäude kaufen zu wollen, schien der Deal für
Benko perfekt.
Eine Vorstellung davon, wie groß der Gewinn sein kann, den Signa durch ihre
Lobbyarbeit einfährt, liefert ein vergleichbarer Fall in Berlin. Neben dem
Hermannplatz plant Benko, noch zwei weitere Galeria-Filialen in zentraler
Lage umzubauen. Am Alexanderplatz reißt das Unternehmen einen Teil der
Filiale ab, um es durch ein 130 Meter hohes Hochhaus zu ersetzen. Das
Galeria-Gebäude am Kurfürstendamm soll gleich komplett durch einen Neubau
mit mehreren Hochhaustürmen ersetzt werden.
Gegen die Vorhaben gab es seitens der Verwaltungen zahlreiche Bedenken, die
vor allem mit dem monumentalen Ausmaß von Signas Planungen zusammenhingen.
Die Karstadt-Rekonstruktion am Hermannplatz drohte sogar komplett zu
scheitern, weil sich der zuständige Bezirk dagegen sperrte.
Als Galeria-Karstadt-Kaufhof im Zuge der Coronapandemie im April 2020 das
erste Mal Insolvenz anmeldete, nutzte Signa eine mögliche Schließung der
Berliner Galeria-Filialen als Druckmittel, um die drei ins Stocken
geratenen Projekte voranzubringen. Durch eine „[4][Letter of Intent“
genannte Absichtserklärung] mit dem Berliner Senat sicherte das Unternehmen
mehrjährige Bestandsgarantien für vier Galeria-Standorte zu. Im Gegenzug
machte der Senat den Weg frei für die drei umstrittenen Bauprojekte. „Signa
versucht die Politik schon seit Langem mit dem drohenden Tod der
Fußgängerzonen und dem Verlust von Arbeitsplätzen unter Druck zu setzen“,
kritisiert Trautvetter.
Allein am Berliner Alexanderplatz erhöhte sich der Immobilienwert von 2020
bis 2021, also kurz vor und kurz nach dem Letter of Intent, von 462,2
Millionen auf rund 1,1 Milliarden Euro, wie aus den Jahresberichten eines
Commerzbank-Fonds hervorgeht, der in das Haus investiert hat.
## Gewinne und Staatshilfen
Die astronomischen Gewinne, die Signa durch die Wertsteigerung ihrer
Immobiliensparte einfährt, sind besonders brisant vor dem Hintergrund der
Staatshilfen, die das Unternehmen im selben Zeitraum erhalten hat.
Insgesamt 680 Millionen Euro an Krediten gewährte der Bund der
Signa-Tochter Galeria, auf deren Rückzahlung im Zuge des zweiten, im März
gestarteten Insolvenzverfahrens größtenteils verzichtet wurde.
Währenddessen schüttete die Immobiliensparte Signas weiter
Millionendividenden aus.
Das Geschäft mit der Wertsteigerung hat aber eine entscheidende
Schwachstelle: Es läuft nur dann gut, wenn auch die Immobilienpreise
steigen. Doch die Branche befindet sich derzeit in einer Krise, die auch
nicht an Signa spurlos vorbeigehen wird. Nach Jahrzehnten des Wachstums
sinken erstmals die Preise für Wohn- und Gewerbeimmobilien, während die
Baukosten explodieren. Gleichzeitig steigen die Kreditzinsen kräftig an.
All diese Faktoren haben auch Einfluss auf die Immobilienbewertung. Steigen
zum Beispiel die Zinsen, sinken somit auch die zu erwartenden Gewinne und
somit die Bewertung des Gebäudes. Mit sinkender Bewertung wird wiederum die
Refinanzierung der Kredite erschwert, für die es im schlimmsten Falle keine
ausreichenden Sicherheiten gibt. „Die Marktsituation setzt ein
Immobiliengeflecht wie die Signa unter enormen Druck“, sagt
Wirtschaftswissenschaftler Dobusch. „Es kommen schwierige Zeiten auf Herrn
Benko zu.“
Verschärfend dürfte hinzukommen, dass Signa die Mieteinnahmen ihrer
Immobilien trotz angespannter Marktlage sehr optimistisch kalkuliere. So
zitiert der Spiegel aus einer internen Präsentation des Konzerns für
Investor:innen über die Finanzierung des Elbtowers, dass die für die
das geplante Hotel veranschlagten Übernachtungspreise von durchschnittlich
336 Euro selbst für die Gegend dort „sehr ambitioniert“ seien.
Viele Projekte des Unternehmens befinden sich noch im Bau oder sind noch in
der Planungsphase. Nicht wenige Kritiker:innen fürchten, Signa könnte
dasselbe Schicksal ereilen wie den kriselnden Immobilienkonzern Adler, der
zahlreiche Bauruinen in deutschen Großstädten hinterlässt. So herrscht auf
dem Hamburger Holstenareal seit fast vier Jahren Stillstand.
Dass auch für Benko derzeit nicht alles gut läuft, zeigt sich in der
Stuttgarter Eberhardstraße. Ende März zog sich die Bundesbank als Mieter
überraschend zurück. Laut Medienberichten begründete die Behörde ihren
Schritt damit, dass der Bedarf an mehr Bürofläche nach der Coronapandemie
nicht mehr gegeben sei. Auch die Commerzbank sagte daraufhin den Kauf der
Immobilie ab.
Nach dem geplatzten Deal überließ Signa dann doch der Stadt das Gebäude.
Dass sich das Unternehmen nicht zutraute, auch ohne die Bundesbank
Mieter:innen für einen Neubau zu finden, zeigt, wie angespannt die
Marktsituation sein muss.
Hannes Rockenbauch sieht darin einen Glücksfall. Es müssen endlich
Gegenentwürfe zu den kommerziellen Räumen in der Stadt geschaffen werden.
„Wir brauchen Orte, die die Bürger:innen sich aneignen können.“ Statt
eines klimaschädlichen Abrisses solle die Stadt den Kaufhof erhalten und
mit einer gemeinwohlorientierten Nutzung umbauen.
16 Apr 2023
## LINKS
|