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Am Morgen des 28. September 2023, zwei Tage vor der slowakischen
Nationalratswahl, meldet sich Sergej Naryschkin, der Chef des ansonsten
eher verschwiegenen russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, zu Wort. Die
US-Regierung habe „in letzter Zeit ihre Einmischung in die Slowakei
intensiviert“, weiß Naryschkin.
Angesichts guter Umfragewerte für die Gegner „bedingungsloser“
US-Gefolgschaft fürchte Präsident Joe Biden einen [1][„weiteren national
orientierten Viktor Orbán in Europa“]. Und so versuche das
US-Außenministerium mit „Druck, Erpressung, Einschüchterung und Bestechung“
für einen Wahlsieg der Partei Progresívne Slovensko (Progressive Slowakei,
PS) zu sorgen, auf dass diese eine Washington gegenüber „völlig loyale“
Regierung bilde.
Um 10.43 Uhr verbreitet die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA
Novosti die Meldung. Es ist genau der Zeitpunkt, an dem in der Slowakei ein
48-Stunden-Moratorium bis zur Wahl beginnt. Medien dürfen in dieser Zeit
nicht über die Wahl berichten, Politiker nichts öffentlich
kommentieren.
Kurz zuvor, um 10.04 Uhr jenes Morgens, wird – so zeigen es später die
sogenannten Metadaten – ein kurzer Videoclip erstellt. Er ist 2:13 Minuten
lang, zu sehen sind zwei schlecht aufgelöste Fotos: Ein Bild der berühmten
slowakischen Investigativjournalistin Monika Tódová und eines von Michal
Šimečka, dem Spitzenkandidaten von PS. Tódová arbeitet bei dem
Enthüllungsportal Deník, sie ist seit Jahren für Berichte über Korruption
im Umfeld von Ministerpräsident Robert Fico bekannt. Šimečka ist einer der
populärsten prowestlichen Politiker des Landes.
In dem Clip bleiben die Fotos unbewegt, während die Tonspur läuft. Zu hören
ist, wie Šimečka vermeintlich schildert, dass er sich in Romadörfern
Stimmen gekauft habe – und wie viel Geld Tódová angeblich bekommen habe, um
Einfluss auf die Wahl zu nehmen.
„Es klang wie meine Stimme“, sagt Monika Tódová später der taz. Aber was
darin gesagt wird, stammt nicht von ihr – und auch nicht von Šimečka. Das
Gespräch ist ein Fake, digital erzeugt von einer künstlichen Intelligenz,
vermutlich trainiert mit im Netz verfügbaren Stimmproben. Es ist der erste
Audio-Deepfake dieser Art von einem Spitzenpolitiker in Europa.
## Stimmen-KI birgt „ernsthafte Risiken“
Wie groß das Problem potenziell ist, zeigte sich am vergangenen Karfreitag.
Selbst die „Tagesschau“ berichtete von der neuen Voice Engine der
US-Softwareschmiede OpenAI, der Weltmarktführerin in Sachen künstliche
Intelligenz. Das Programm könne die Stimme eines Menschen auf Basis eines
nur 15-sekündigen Audioschnipsels duplizieren.
[2][Man sei sich bewusst, dass dies „ernsthafte Risiken birgt“, die in
einem Wahljahr besonders zu beachten seien, so OpenAI.] Vorerst klone das
Programm deshalb nur Stimmen von Menschen, die dem „vorab ausdrücklich
zugestimmt“ hätten, versicherte das Unternehmen. Außerdem müsse Hörern
klargemacht werden, dass die Stimme KI-generiert sei.
Doch der Geist ist aus der Flasche. Andere Firmen haben vergleichbare
Software entwickelt – und weniger Skrupel, als OpenAI es von sich
behauptet. Fake News sind mittlerweile so verbreitet, dass
Forscher:innen von einer globalen „Informationskrise“ sprechen und
Desinformation als eines der größten Risiken für die Demokratien überhaupt
einstufen.
Was Stimmenklone da anrichten können, das zeigte sich in der Slowakei.
Gleich mehrere Deepfake-Audios wie jenes mit Tódová hatten sich in den
sozialen Medien des Landes verbreitet. Die künstlich erzeugten Tondokumente
sollten prowestliche und proukrainische Politiker diskreditieren. Sie
waren dabei nur eine Facette steter Desinformation aus dem Netz, die das
Vertrauen in Medien und Institutionen in dem Land unterhöhlt hat.
Dieser Vertrauensverlust ist einer der Gründe für die Wahl des
prorussischen Robert Fico zu seiner insgesamt vierten Amtszeit als
Ministerpräsident im vergangenen September. Zuletzt hatte er 2018 regiert.
Und Fico baut den Staat seither in seinem Sinne um: Korruptionsbekämpfung
wird erschwert, Medien werden staatlicher Kontrolle unterworfen und die
Ukrainehilfen eingestellt.
An diesem Samstag wählt die Slowakei nun auch einen neuen
Staatspräsidenten. Die Abstimmung könnte das osteuropäische Land endgültig
zum zweiten EU-Staat machen, der der bedrängten Ukraine die Unterstützung
entzieht, wie zuvor Ungarn. Die Sorge vor russischer Desinformation und
Wahlmanipulation in der Slowakei und darüber hinaus ist groß, auch mit
Blick auf die EU-Wahlen im Juni. Denn sehr klar wurde in der Slowakei
sichtbar, wie Russland in seinem Informationskrieg gegen den Westen
vorzugehen bereit ist – und wie es damit Erfolg haben kann.
## „Waffenlieferungen an das Bandera-Regime“
Um 12.05 Uhr an jenem Morgen des 28. September postet der ehemalige
slowakische Verfassungsrichter und Ex-Justizminister Štefan Harabin das
Tódová-Video auf seinem Kanal im Messenger-Dienst Telegram. Harabin ist
einer der bekanntesten kremlnahen Politiker der Slowakei. Er verteidigte
die Annexion der Krim, am Tag nach dem Überfall auf die Ukraine schrieb er
auf Facebook, er würde „genau das Gleiche tun wie Putin“.
Harabin leitet das Tódová-Video von einem mittlerweile gelöschten
Telegram-Kanal namens „Gabika Ha“ weiter – womöglich das Konto seiner Frau
Gabika Harabinová. Weiter zurückverfolgen lässt sich das Video nicht. In
den folgenden Stunden verbreitet es sich ungezählte Male auf Facebook,
Telegram, TikTok und über Mailinglisten.
Um 15.20 Uhr erhält Monika Tódová von einem Facebook-Nutzer einen Link zu
dem Video. Die Deník-Chefredaktion meldet es der Polizei. Um 15.58 Uhr
postet Deník, dass das Video ein Schwindel ist. Um 16.41 Uhr schreibt die
Polizei, dass sie „manipulative Videos und Tonaufnahmen“ im Zusammenhang
mit der Wahl „abgefangen“ habe. Das Video bleibt indes auf Telegram und
Facebook bis heute verfügbar. Facebook macht es als Fake kenntlich.
Am folgenden Abend strahlt der russische Staatssender Rossija 1 in seiner
Hauptnachrichtensendung ein Interview mit Harabin aus. Harabin sagt darin,
es gebe „viele Hinweise, dass die Wahlen gefälscht sind“. Das für den
Urnengang zuständige slowakische Statistikamt habe einen Vertrag mit der
IT-Securityfirma ESET – und die arbeite „offiziell mit der CIA zusammen“,
behauptet Harabin. Diese schon 2018 von Moskau aufgebrachte Anschuldigung
hat ESET zurückgewiesen.
„Mindestens 85 Prozent“ der slowakischen Bevölkerung, so Harabin weiter,
seien gegen die „Waffenlieferungen an das Bandera-Regime“ – gemeint ist die
Ukraine. Stepan Bandera war ein ukrainischer NS-Kollaborateur, er ist seit
65 Jahren tot.
## Fico änderte den Ukrainekurs seines Landes radikal
[3][Einen Tag später gewinnt Robert Fico mit 22,9 Prozent der Stimmen die
Wahl] und ändert den Ukrainekurs seines Landes radikal. Die
Vorgängerregierung hatte versichert, „unbegrenzt“ Flüchtlinge aus der
Ukraine aufzunehmen, sie gab dem überfallenen Nachbarn Flugabwehrraketen,
Kampfjets und Panzerhaubitzen, so viele, dass die Slowakei seither auf
Schutz durch Nato-Partner angewiesen ist.
Ficos Lager geißelt dies als „Hochverrat“ und droht mit Verfassungsklagen.
Nach seinem Wahlsieg stoppt Fico die Militärhilfe. Er behauptet, die
Ukraine stehe „vollständig unter dem Einfluss und der Kontrolle der USA“
und sei deshalb „kein unabhängiges und souveränes Land“.
An einem Dienstag im Januar sitzt Monika Tódová im siebten Stock eines
Hochhauses am Rande der Innenstadt von Bratislava. Die Deník-Redaktion hat
hier ihre Räume. Am Vortag hat die Staatsanwaltschaft Tódovás Antrag
abgelehnt, wegen des Videos ein Ermittlungsverfahren einzuleiten –
„angeblich ist kein Straftatbestand erkennbar“, sagt Tódová. Dass das
gefälschte Gespräch solche Verbreitung erfahren habe, könne sie immer noch
nicht glauben. „Das war so dumm, dass ich nur gelacht habe“, sagt sie.
Dass sie selbst als Opfer ausgewählt wurde, wundert Tódová indes nicht. Im
Jahr 2016 veröffentlichte sie eine große Geschichte über millionenschweren
Steuerbetrug aus dem persönlichen Umfeld Ficos.
Seither sei sie immer wieder angegriffen worden. „Sie haben in sozialen
Netzwerken behauptet, dass ich eine sehr große Wohnung habe, die ich mir
mit meinem Gehalt nicht leisten könne“, sagt Tódová. „Wenn Fico über
Journalisten sprach, nannte er immer meinen Namen: ‚Tódová und Leute wie
sie‘, oder die ‚reichste Journalistin der Slowakei‘.“ Sie schrieb immer
weiter über Korruption – und bekam „jeden zweiten Tag Drohungen per
E-Mail“.
## Nur wenige haben Vertrauen in etablierte Medien
Schon 2016 wurden Tódovás E-Mails gehackt und von dem Immobilienunternehmer
Marián Kočner veröffentlicht. Der Spiegel nannte Kočner die „Symbolfigur
für die Verquickung von organisierter Kriminalität und Politik“. [4][Er
verbüßt eine 19-jährige Haftstrafe und wird verdächtigt, mehrere Morde,
darunter jenen an dem Journalisten Ján Kuciak und dessen Verlobter Martina
Kušnírová in Auftrag gegeben zu haben.]
Auch Kuciak hatte zu Korruption im Regierungsapparat recherchiert. Er wurde
im Februar 2018 von Unbekannten erschossen. Fico hatte da bereits 12 Jahre
lang regiert. Die mafiöse Korruption im Staat war offensichtlich geworden –
vor allem durch Recherchen von Ján Kuciak und Deník.
„Wir haben viele Artikel über das System geschrieben, das sie geschaffen
haben“, sagt Tódová heute. Hunderte Menschen seien nach dem Kuciak-Mord von
Gerichten verurteilt worden. „Fast alle aus den staatlichen Behörden. Nach
dem Mord geschah hier etwas wirklich Großes, weil diese Untersuchung viele
andere Verbrechen aufdeckte, von Beamten und Politikern.“ Unter anderem
wanderten der Leiter der Antikorruptions-Sonderstaatsanwaltschaft und der
Leiter der Steuerbehörde ins Gefängnis.
Für Tódová und viele andere in der Slowakei ist klar, dass die mafiosen
Strukturen im Fico-Umfeld und die russische Einflussnahme nur zusammen zu
begreifen sind: Die Politiker wollen die Macht, um weiter korrupte
Geschäfte zu machen oder für diese nicht belangt zu werden. Und Russland
will sie an der Macht, um den Westen zu spalten. So gingen sie eine
Symbiose ein. „Das ist nicht zu trennen“, sagt Tódová.
Die Folgen sind gravierend. Fake-News-Schleudern im Netz kriegen immer mehr
Reichweite, seriöse Medien und demokratische Institutionen haben es schwer.
Nur 28 Prozent der Slowaken trauen laut einer Reuters-Untersuchung noch den
etablierten Medien, der niedrigste Wert der 46 untersuchten Länder. Nur 18
Prozent haben noch Vertrauen in staatliche Institutionen. Die Bevölkerung
der Slowakei hat in Osteuropa die höchste Neigung, Fake News zu glauben.
Ficos Partei Smer verlor 2020 die Nationalratswahl. Viele hofften auf einen
politischen Neuanfang. Doch das danach regierende Bündnis des Verlegers
Igor Matovič blieb glücklos. Matovič gilt heute vielen als Dilettant – und
Fico kam zurück.
## Die Sowjetzeit ist in der Slowakei positiv besetzt
Jetzt wird wieder gewählt in der Slowakei. [5][Die prowestliche Präsidentin
Zuzana Čaputová (PS) kündigte im Juni 2023 an, nicht wieder anzutreten.] Zu
heftig waren der populären Politikerin die Morddrohungen und Verleumdungen
aus dem prorussischen und rechtsextremen Lager geworden.
Die alte Regierung hatte dies schon früh als Problem erkannt. Als Tódovás
Zeitung Deník sich wegen des Fake Videos am Mittag des 28. September bei
den Behörden beschwerte, landete die Sache bei Daniel Milo. Er leitete im
damaligen Innenministerium das Zentrum für die Bekämpfung hybrider
Bedrohungen – und drängte die Social-Media-Plattformen, das Video zu
löschen oder zu markieren.
Das Zentrum suchte seit Anfang 2023 in den sozialen Medien nach
„Narrativen, die die Legitimität der Wahlen untergraben sollen“, sagt Milo.
„Das war das Muster, das sich überall auf der Welt wiederholt hat.“
Er stieß unter anderem auf Behauptungen, dass die Slowakei wegen der
Ukraine das Kriegsrecht verhängen und Wahlen absagen würde. „Es wurden alle
möglichen seltsamen Geschichten erzählt, um Zweifel zu säen und die
Glaubwürdigkeit des Wahlprozesses zu untergraben“, sagt Milo. „Es gab sogar
Versuche, ein paralleles System zur Stimmenauszählung zu schaffen, es gab
eine Website und Parteien, die dazu aufriefen, zu den lokalen Wahlkomitees
zu gehen und selbst zu zählen.“ Trump lässt grüßen.
Nach der Wahl im September warf Fico Milo raus. Der analysiert seither bei
dem Thinktank Globsec die Stimmungen im Land. Anders als Tschechien mit
seinen historisch nach Westen orientierten Intellektuellen war die Elite
der Slowakei eher an Moskau orientiert. Das wirkt nach. Die Sowjetzeit ist
hier noch positiv besetzt, prorussische Einstellungen sind weit verbreitet.
Weniger als 40 Prozent der Slowaken machen Russland für den Krieg in der
Ukraine verantwortlich. „Die meisten fielen auf Desinformationsnarrative
herein“, so eine Analyse von Globsec.
So scheint die Slowakei ein idealer Kandidat, um die Front der
Ukraineunterstützer innerhalb der EU aufzubrechen. Die Wiederwahl Ficos war
da für Putin ein klarer Erfolg. Tritt nun auch an die Staatsspitze ein
prorussischer Politiker, hat Putin das Land endgültig auf seiner Seite.
## In der Slowakei herrscht Kriegsangst
Neben dem klar prowestlichen Ivan Korčok und dem Fico nahestehenden Peter
Pellegrini trat unter anderem auch Štefan Harabin zur Präsidentschaftswahl
an – der ehemalige Richter, der das Fake Video Tódovás als Erster ins Netz
stellte und bis heute nicht sagt, woher er es hatte.
Am Abend des ersten Wahlgangs, es ist der 22. März – der Tag des
IS-Terroranschlags nahe Moskau – lädt Štefan Harabin in ein syrisches
Restaurant im Westen der Innenstadt von Bratislava ein. Holzvertäfelte
Wände, niedrige Decken, Gulasch, Sülze und Falafel stehen auf dem Buffet,
etwa 100 Menschen sind gekommen, die Frauen in Abendkleidern, die Männer im
Anzug, der harte Kern der slowakischen Russlandfreunde. Viele haben Harabin
ehrenamtlich geholfen, es wird mit Handys gestreamt, die sozialen Medien
sind hier wichtig.
„Ich hoffe, wir erleben eine freudige Nachricht“, sagt eine Dame, die
filmend umherläuft und um Botschaften für ihre Follower bittet. 2019 wollte
Harabin schon einmal Präsident werden, er bekam 14 Prozent der Stimmen. Die
verbreitete Kriegsangst im Land soll ihm diesmal ein besseres Ergebnis
bescheren, das hoffen alle hier. Andrej Danko, der Kandidat der
rechtsextremen Partei SNS, gab seine Kandidatur kurz vor der Wahl zugunsten
Harabins auf. Auch in der Slowakei stehen Moskaus Freunde und die extreme
Rechte sich nahe.
Ein älterer Mann nestelt an seinem Stativ herum. Er habe Harabins Wahlkampf
als Kameramann begleitet, sagt er. Für die sozialen Medien, unentgeltlich.
„Ich bin ein Patriot“, sagt er. Und wer patriotisch sei, der wolle den
Frieden für das Vaterland. „Ich will nicht, dass mir jemand ein Gewehr in
die Hand drückt und sagt, lauf und schieß!“ Harabin werde das verhindern.
Der Herausforderer Ivan Korčok hingegen, „der will den Krieg, der will,
dass junge Slowaken in den Krieg ziehen, um Russen zu töten oder selbst
getötet zu werden“.
## Die Ukraine soll „nicht einmal humanitäre Hilfe“ bekommen
Die Wahllokale haben bis 22 Uhr geöffnet, Harabin erscheint eine Stunde
früher auf der Wahlparty. Er dreht eine Runde, fast alle begrüßt er mit
Wangenkuss und dem Umschlingen der Hände. Er läuft so langsam wie er
spricht. Frieden, das ist das große Thema, mit dem Harabin punkten will.
Der Ukraine will er „nicht einmal humanitäre Hilfe“ schicken, hat er
kürzlich gesagt.
Seit einigen Tagen ist im Kreml nicht mehr von einer „militärischen
Spezialoperation in der Ukraine“ die Rede, sondern von „Krieg“. Harabins
Wahlkampfmanager Miroslav Jurena indes hält unbeirrt an der alten
Sprachregelung fest. Die „militärische Spezialoperation in der Ukraine“, so
sagt er der taz, könne „sicherlich nicht schwarz-weiß gesehen werden“. Man
müsse schauen, „wie es zu diesem Konflikt überhaupt kommen konnte“.
Allerdings sei es nun eben so, dass die Ostukraine von der Duma „quasi als
neue Provinzen der russischen Föderation akzeptiert wurde“. Da werde es
„sehr schwierig sein, dass Russland die beiden Republiken wieder
zurückgeben wird“, so Jurena. Aber je früher man sich an einen
Verhandlungstisch setzt, „desto besser, sicherlich auch für die Ukraine“.
Warum Harabin das gefakte Video von Tódová verbreitet hat? Das sei seine
„private Entscheidung“ gewesen, sagt Jurena. Erst sagt er ein Interview mit
Harabin zu, später sagt er es wieder ab.
Die Wahlberichterstattung im Fernsehen zieht sich hin. Es ist nach halb
elf, als die ersten Hochrechnungen kommen. Harabin schaut auf die
Bildschirme, die Hände in den Taschen. Niemand jubelt, keiner klatscht.
11,7 Prozent haben für Harabin gestimmt, weniger als 2019. [6][Der
prowestliche Kandidat Korčok kommt überraschend auf 42,5 Prozent,] der im
Vergleich zu Harabin moderat kremlfreundliche Peter Pellegrini kriegt 37
Prozent. Ohne die Stimmen von Harabins Wählern wird es für Pellegrini
schwierig, Präsident zu werden. Offen bleibt an diesem Abend, wie teuer
Harabin seine Wahlempfehlung verkaufen will.
## Ein „Pro-Mafia-Paket“
Am Tag nach der Wahl sitzt Ján Hargaš, weinroter Rollkragenpullover,
dunkelblaues Jackett, der Bart akkurat gestutzt, im Parlamentsgebäude auf
der Bratislavaer Burg. In der vorigen Regierung war er als Staatssekretär
für Digitalisierung zuständig. Heute ist er Abgeordneter, in der Führung
der Progressiven Partei kümmert er sich um die Attacken aus dem Netz. Seine
Partei unterstützt den Präsidentschaftskandidaten Ivan Korčok.
Seine Partei habe auch während des jetzt laufenden Wahlkampfs reihenweise
gegen sie gerichtete Fake News registriert, sagt er. An die
Audio-Deepfakes erinnert er sich noch gut. Neben dem Video mit Tódová gab
es noch ein weiteres. Darin behauptet sein Parteichef Šimečka angeblich,
die Steuern auf Bier anheben zu wollen. „Natürlich treibt es Leute an die
Wahlurnen, die das verhindern wollen“, sagt Hargaš.
Sie kontaktierten unter anderem Facebook, [7][die von ihm mit Faktenchecks
beauftragte Agentur AFP markierte die Fake Audios umgehend]. Doch wenn die
Videos auf einer Plattform gesperrt werden, gehe es auf der nächsten
weiter, sagt Hargaš. „Der Schaden entsteht binnen weniger Stunden, die
Reaktion dauert Tage.“ Wie schnell sich etwa das Tódová-Video verbreitete,
sei „kein Zufall gewesen“. „Es ist ein Netzwerk, das permanent und
orchestriert Fake News produziert und damit Desinformation betreibt.“ Er
wäre „sehr überrascht, wenn sie das nicht wieder versuchen“.
[8][Man könne nicht „die Augen davor verschließen, dass Russland auf den
demokratischen Prozess Einfluss nimmt, unter anderem mit hybriden
Operationen“.] Am effektivsten dazu sei, das Vertrauen zu untergraben und
Chaos zu stiften. Hargaš fürchtet, dass es nun so weitergeht. Wenn Ziel der
Desinformation sei, die Korruptionsbekämpfung und die Ukrainehilfen zu
stoppen, „dann wäre das erreicht, weil die neue Regierung genau das tut“,
sagt Hargaš.
Ficos Regierung will unter anderem die Sonderstaatsanwaltschaft für
Korruptionsbekämpfung auflösen, die Strafbarkeitsgrenzen bei
Wirtschaftskriminalität hat sie bereits angehoben. „Das war einer ihrer
ersten Schritte und würde unter anderem dazu führen, dass ein Verfahren
gegen ihren Ex-Finanzminister eingestellt werden müsste“, sagt Hargaš.
NGOs werden gegängelt, außerdem will Fico den bisher unabhängigen
öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach ungarischem Vorbild zum Staatsfunk
umbauen. Ein beschleunigtes Gesetzgebungsverfahren soll der Regierung schon
bald ermöglichen, alle Inhalte öffentlich-rechtlicher Medien zu
kontrollieren.
[9][Ein „Pro-Mafia-Paket“ nennt Hargaš das.] Ein Pro-Desinformations-Paket
ist es obendrein.
Mitarbeit: Maria Disman
Dieser Text entstand in dem Rechercheprojekt „Decoding the disinformation
playbook“ des International Press Institute (Wien) zusammen mit Faktograf
(Zagreb) und der taz. Das Projekt wird vom European Media and Information
Fund und der Calouste-Gulbenkian-Stiftung finanziell unterstützt
6 Apr 2024
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