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Amsterdam taz | Am Ende fehlten drei Stimmen, um das politische Schicksal
[1][Mark Ruttes] zu besiegeln. Die gesamte Opposition stimmte spät in der
Nacht auf Freitag im niederländischen Parlament geschlossen dafür, dem
Premier das Vertrauen zu entziehen. Nur die Stimmen seiner bisherigen
Mitte-Rechts-Koalition retteten den Regierungschef, dessen Volkspartij voor
Vrijheid en Democratie (VVD) erst vor zwei Wochen unangefochten [2][die
Wahlen gewonnen] hatte. Seine Position ist so beschädigt wie nie zuvor in
seiner 2010 begonnenen Amtszeit als Regierungschef.
Dass Rutte kurz nach einem klaren Wahlerfolg so mit dem Rücken zur Wand
steht, hat mit dem komplexen niederländischen Modus der Koalitionsbildung
zu tun. Dabei eruieren Vermittler zunächst, welche Parteien zu
Verhandlungen bereit sind. Diese Rollen übernahmen Ruttes Parteikollegin
Annemarie Jorritsma und Kajsa Ollongren, Innenministerin des letzten
Kabinetts, die der linksliberalen Partei D66 angehört. Die beiden stärksten
Parteien gelten in der künftigen Koalition als gesetzt.
Letzte Woche traten die Vermittlerinnen zurück. Ollongren, soeben positiv
auf Corona getestet, war beim Verlassen des Parlaments fotografiert worden,
und dabei wurden einige ihrer Verhandlungsaufzeichnungen sichtbar. Sie
betrafen den populären christdemokratischen Abgeordneten Pieter Omtzigt.
„Funktion anderswo“ war da zu lesen.
Omtzigt gilt als unverwüstlicher Volksvertreter, loyal gegenüber seinem
Elektorat und äußerst kritisch gegenüber der Regierung. In der
Kinderzuschlag-Affäre, die im Januar zu deren Rücktritt geführt hatte, galt
er als Anwalt tausender fälschlich des Betrugs bezichtigter Eltern. Was
sein Image betrifft, erscheint der Christdemokrat parteiübergreifend als
eine Art Gegenpol zu Premier Rutte, der wegen seines Talents, sich aus
belastenden Situationen herauszuwinden und Skandale politisch zu überleben,
den Spitznamen “Teflon-Mark“ trägt.
## Parlamentsdebatte bis 3 Uhr morgens
Das Foto der Notizen wurde jetzt so interpretiert, dass der kritische
Omtzigt weggelobt werden solle, um einer neuen Koalition unter Ruttes
Leitung nicht im Weg zu stehen. Der Premier, seit Januar nur noch
kommissarisch und zur Bekämpfung der Coronakrise im Amt, betonte
allerdings, in besagten Verhandlungen nicht über Omtzigt gesprochen zu
haben.
Kurz bevor das Parlament am Donnerstag nun über das Scheitern der
Verhandlungen debattieren wollte, wurde bekannt, dass die Rolle Omtzigts
durchaus zur Sprache gekommen war. Rutte selbst regte demnach an, ihn “zum
Minister zu machen“.
In der Debatte, die am frühen Nachmittag begann und sich bis drei Uhr
nachts hinzog, geriet Rutte daher von allen Seiten unter massiven Druck.
Dem versuchte er sich zu entziehen, indem er betonte, er habe nicht
gelogen, sondern sich an seine betreffende Aussage nicht mehr oder
“verkehrt“ erinnert.
Nach dem knapp übestandenen Misstrauensvotum ist eine erneute
Rutte-Regierung weiterhin möglich. Wie schwer der politische Schaden des
Premiers ist, zeigt aber, dass zugleich ein Missbilligungsantrag vom nahezu
vollständigen Parlament angenommen wurde. Rutte verkündete spät nachts, er
werde “furchtbar hart daran arbeiten, dass ich das Vertrauen
zurückverdiene“ – eine Mission, die derzeit kaum möglich erscheint.
2 Apr 2021
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