# taz.de -- Nach Wahlen in Senegal: Der Traum von Afrikas Linken lebt

> Statt Militärputsch reicht Senegal auch die Wahlurne: Der neue Präsident
> Faye steht für eine Befreiung von neokolonialen Abhängigkeiten.
BERLIN taz | Einen „Sieg des senegalesischen Volkes im Kampf um die
Verteidigung seiner Souveränität“ nannte Bassirou Faye am Dienstagfrüh
seinen Wahlsieg [1][in einer ersten Erklärung]. Seit das Regierungslager am
Montag seine Niederlage bei der Wahl vom Sonntag eingestanden hat, steht
der Kandidat der linken Opposition als Senegals nächster Präsident fest –
eine historische Wende, die weit über Senegals Grenzen hinaus Beachtung
findet.

„Souveränität“ ist das Leitwort einer ganzen Generation, die im 21.
Jahrhundert ein neues Afrika frei von Abhängigkeiten aufbauen will. [2][Wie
es Fayes Partei Pastef (Afrikanische Patrioten für Arbeit, Ethik und
Brüderlichkeit) ausdrückt] – sie wurde zwar nach der Inhaftierung ihres
Anführers offiziell aufgelöst, aber ihr Kandidat Faye trat jetzt mit ihrem
Programm an: „Seit über 50 Jahren folgt die Politik, unabhängig von der
jeweiligen Regierung, denselben Mustern mit derselben starken äußeren
Abhängigkeit und Unterwürfigkeit. Diese Muster haben ihre Ineffizienz und
ihre Schädlichkeit bewiesen und es wird politischen Mut brauchen, um damit
zu brechen.“

Befreiung von neokolonialer Abhängigkeit ist ein alter Traum der
afrikanischen Linken. Es geht dabei heute weniger um die koloniale
Vergangenheit, die nur wenige noch aus eigener Erfahrung kennen. Es geht um
eine Abwendung vom weißen Norden. Die Kritikpunkte sind zahlreich: Reiche
Industrienationen wahren ihre eigenen Interessen, aber predigen anderen
eine „regelbasierte Weltordnung“, deren Regeln sie selbst setzten. Weiße
werden in Afrika hofiert, Schwarze in Europa wie Dreck behandelt. Jeder von
einem französischen Polizisten erschossene Schwarze treibt der „Flamme des
Patriotismus“, wie Pastef seine Ideologie definiert, neue Sympathien zu.

„Patriotismus“ ist die neue Antwort auf die alte Frage, ob Afrikas Staaten
koloniale Machtstrukturen bewahren sollen oder ein Bruch nötig ist. Stärker
als jede andere europäische Macht setzte Frankreich in Afrika bei der
Auflösung der Kolonialreiche um 1960 auf neokoloniale Kontinuität. „Du
willst Unabhängigkeit? Kannst du haben“, schleuderte Charles de Gaulle
einst dem Guineer Sékou Touré entgegen, als der die Umwandlung des
Kolonialreichs in eine von Paris geführte „Gemeinschaft“ ablehnte. De
Gaulle bestrafte Guinea mit der sofortigen Unabhängigkeit unter Entzug
aller finanziellen und administrativen Ressourcen.

## Frankreich hält den Finger drauf

Die anderen Länder folgten lieber Frankreichs Vorstellungen, von Tschad bis
Elfenbeinküste, von Kamerun bis Senegal. Sobald die Trikolore eingeholt
war, traten umfassende Kooperationsabkommen in Kraft. Die Kolonialwährung
CFA-Franc (Franc der Französischen Kolonien in Afrika) blieb Landeswährung.
Französische Kolonialadministratoren konnten als Entwicklungshelfer
weitermachen.

Nach der Unabhängigkeit lebten in vielen afrikanischen Ländern mehr Weiße
als vorher, und aus ihren Geschäften mit den afrikanischen Staaten
finanzierten sich nicht nur die afrikanischen Eliten, sondern auch
Frankreichs politische Parteien – ein Win-Win der oberen zehn Prozent. Für
die unteren 90 Prozent blieb zumeist nichts übrig. Nicht zuletzt blieben
französische Sicherheitskräfte stationiert, mit Interventionsrechten in
innere Angelegenheiten. „Service après-vente“, Gewährleistungspflicht,
nannte man dies in Paris: Man kümmert sich um Afrika wie ein Handwerker um
seine Installationen.

Eigentlich waren die Tage dieses Systems schon 1990 gezählt, als in einem
Land nach dem anderen die Einparteienregime zerbröselten und
Demokratiebewegungen eine „zweite Befreiung“ ausriefen. Zunächst sorgte
Frankreich dafür, dass das nicht über die Einführung eines
Mehrparteiensystems hinausging. Plumpe Wahlfälschung folgte etwa in
Kamerun, Togo und Gabun.

## Eine Ära ging zu Ende

Im Jahr 2000 sorgte der Wahlsieg des Sozialisten Laurent Gbagbo in der
Elfenbeinküste für Heilserwartungen, ähnlich wie heute der Machtwechsel in
Senegal. Gbagbo und seine Ivorische Patriotische Front träumten von einem
freien geeinten Afrika. An der Macht aber spalteten sie das eigene Land.
Als Rebellen zu den Waffen griffen, lehnte Frankreich ein Eingreifen
zugunsten Gbagbos ab.

Auf den Tod von 9 französischen Soldaten durch einen Angriff von
Regierungstruppen aber antwortete Frankreich mit der Zerstörung der
ivorischen Luftwaffe. In Abidjan marschierten daraufhin Tausende
Jugendliche mit Parolen wie „Nieder mit Frankreich, es lebe die unabhängige
Elfenbeinküste!“ auf den Lippen zur französischen Militärbasis. Die
französischen Soldaten eröffneten das Feuer. Das neokoloniale Massaker
forderte über 50 Tote.

„In der Nacht auf Sonntag, den 7. November 2004 hat Frankreich ‚sein‘
Afrika verloren“, bilanzierte später der französisch-amerikanische
Journalist Stephen Smith, erster Afrikareporter der taz, in seinem Buch
„Comment la France a perdu l’Afrique“. In den Folgetagen wurde ein Großteil
der 20.000 Franzosen der Elfenbeinküste militärisch evakuiert. Eine Ära
ging zu Ende.

## Faye will nun Ernst machen

Frankreich gab so schnell nicht auf. Es revanchierte sich 2011 in der
Elfenbeinküste, indem es militärisch gegen eine plumpe Wahlfälschung
Gbagbos eingriff und Wahlsieger Alassane Ouattara an die Macht verhalf.
Aber die Entfremdung blieb. In Mali stoppte Frankreich mit einer
Militärintervention 2014 den Vormarsch radikaler Islamisten und führte
daraufhin mit seiner größten Afrikatruppe seit der Kolonialzeit einen
„Krieg gegen den Terror“.

Aber es behandelte Mali nicht als gleichwertigen Partner. Die Konsequenz:
2020 putschte Malis Militär. Nachahmerputsche in Burkina Faso, Guinea,
Niger und Gabun folgten. Frankreichs Militär hat die Sahelzone inzwischen
komplett räumen müssen, außer Tschad und Senegal.

In Senegal hat nun ein „Patriot“ an der Wahlurne erreicht, wofür es in den
anderen Ländern Putsche brauchte. Sie alle eint der Wunsch, die bis heute
existierenden Abhängigkeiten von Frankreich zu beenden. „Frankreich raus!“
riefen Demonstranten der Partei Pastef in vergangenen Jahren bei Protesten
gegen die Inhaftierung ihres Parteichefs Ousmane Sonko.

Ihre konkreteste Forderung ist die nach Auflösung des CFA-Franc zugunsten
eigener Währungen – der CFA-Franc wird heute zwar nicht mehr von Paris aus
verwaltet, bleibt aber durch Kopplung an den Euro an die Finanzpolitik der
Europäischen Zentralbank gebunden. Faye will außerdem die
Regionalorganisation Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft)
reformieren, aus der die Militärregierungen von Mali, Niger und Burkina
Faso bereits ausgetreten sind.

## Populistischer Nationalismus mit konservativen Bildern

In vielen Zügen erinnert das „patriotische“ Denken an die hohle Rhetorik
von zu Diktatoren gewandelten Freiheitskämpfern etwa in Simbabwe. Auch ein
populistischer Nationalismus bricht sich immer wieder Bahn, gekoppelt mit
einem ausgesprochen konservativen Menschen- und Gesellschaftsbild.
„Patriotisch“ ist oft auch ein Stichwort zur kollektiven Ausgrenzung
missliebiger Bevölkerungsgruppen.

Aber im Kern geht es darum, die Zukunft des eigenen Landes selbst zu
bestimmen, in allen Bereichen. In einem [3][Interview mit der französischen
Zeitung Le Monde] erklärte Faye vor wenigen Tagen, er gehöre zu „einer
neuen Generation von Führern, die anders tickt, die neue Ansprüche stellt,
die mehr Augenhöhe und Respekt in unseren Beziehungen fordert. Wenn
Frankreich das nicht begreift, könnte es aus Afrika hinausgeworfen werden.“

27 Mar 2024

## LINKS
[1] https://twitter.com/DiomayeFaye/status/1772439602931900725
[2] https://pastef.org/presentation-du-parti-pastef/
[3] https://www.lemonde.fr/afrique/article/2024/03/20/bassirou-diomaye-faye-je-veux-apporter-la-rupture-au-senegal_6223037_3212.html
## AUTOREN
Dominic Johnson
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