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Brüssel taz | Das Europaparlament lobt sich gern selbst. Vor allem auf den
[1][„European Green Deal“] sind die Abgeordneten stolz. Doch so viele
Superlative wie nun, kurz vor der finalen Abstimmung über fünf wichtige
EU-Gesetze zum Klimaschutz, hat man in der Straßburger Kammer wohl noch nie
gehört. Vom „größten Klimaschutzgesetz aller Zeiten“ spricht der
CDU-Parlamentarier Peter Liese. „Die größte CO2-Reduktion, die wir in
Europa erreichen können“, verspricht der Grüne Michael Bloss. Dabei war das
[2][„Fit for 55“-Paket], über das die Abgeordneten am Dienstag abstimmen
wollen, lange umstritten.
Einigkeit bestand zwar über das Ziel, den Ausstoß von Treibhausgasen bis
2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Doch drei der
Maßnahmen sorgten für Streit: Die EU will den Emissionshandel massiv
ausweiten und auch Gebäude und Fahrzeuge einbeziehen; sie will einen
CO2-Grenzausgleich für importierte Produkte einführen – und einen
Klimasozialfonds gegen soziale Härten schaffen.
Gegen den Emissionshandel bei Gebäuden und Fahrzeugen hatten sich
Sozialdemokraten, Grüne und Linke lange gesträubt. Der CO2-Grenzausgleich
(CBAM) stieß auf Bedenken bei Liberalen und Christdemokraten. Und gegen den
Klimasozialfonds hatten sich die Kassenwarte aller EU-Länder verschworen.
„Viel Klimaschutz für möglichst wenig Geld“ – so fasst der CDU-Politiker
Liese die Philosophie des nun geschnürten Pakets zusammen.
Marktwirtschaftlich soll es zugehen, möglichst ohne Verbote. Die EU will
die „Führung“ im Klimaschutz übernehmen, aber keine Nachteile im
internationalen Wettbewerb erleiden. Das klingt wie die Quadratur des
Kreises – und hat zu schmerzlichen Kompromissen geführt.
So werden die umstrittenen kostenlosen Verschmutzungsrechte für große
Industriekonzerne zwar endlich abgeschafft – aber erst nach und nach. Bis
2030 wird erst die Hälfte der freien Zuteilungen Geschichte sein, berichtet
der grüne Klimapolitiker Bloss. Produktionsstätten, die klimatechnisch zu
den schlechtesten 20 Prozent gehören, müssen außerdem Dekarbonisierungpläne
anfertigen. Sonst bekommen sie weniger Freizuteilungen. Für den Gebäude-
und Transportsektor wird ab 2027 ein neuer Emissionshandel (ETS 2)
eingeführt. Neben Haushalten fallen darunter auf Drängen des Parlaments
auch kleine Unternehmen. Der Preis ist bis 2030 auf 45 Euro gedeckelt.
## „Regulatorischer Imperialismus“
Um bedürftige Haushalte zu unterstützen, wird ein Klimasozialfonds
eingeführt, zunächst jedoch nur mit schätzungsweise 86 Milliarden Euro
ausgestattet. „Nicht ideal“, nennt das Tiemo Wölken, klimapolitischer
Sprecher der Sozialdemokraten. Für die in Deutschland propagierte
„Wärmepumpe für alle“ werde es nicht reichen. Ein Kompromiss ist auch der
CO2-Grenzausgleich. Erste Pläne sehen eine Importabgabe auf klimaschädliche
Produkte aus Drittländern vor. Importeure von Stahl, Zement oder
Düngemitteln sollen verpflichtet werden, CO2-Zertifikate entsprechend der
Klimaschädlichkeit ihrer Einfuhren zu kaufen.
Das sei Klima-Protektionismus, heißt es außerhalb Europas, wo man eine
Abschottung des EU-Marktes gegen günstige Produkte aus Asien oder
Südamerika befürchtet. Sogar von „regulatorischem Imperialismus“ ist die
Rede, die EU-Kommission sorgt sich um ihren guten Ruf. Doch das
Europaparlament ficht das nicht an. Europa müsse im Klimaschutz vorangehen,
heißt es in der Straßburger Kammer.
Im Vergleich zu allem anderen, was auf dem Markt zu haben ist – gemeint
sind die USA und China –, sei der „European Green Deal“ einsame Spitze. Nun
müssen nur noch die Bürger überzeugt werden. Der neue Emissionshandel soll
schon 2024 kommen. Die Verordnung zum CO2-Grenzausgleich soll ab Oktober
2023 in der EU in Kraft treten, der finanzielle Teil ab 2026. Der
Klimasozialfonds soll 2026 starten.
17 Apr 2023
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