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Berlin taz | „Hoch die internationale Solidarität!“ grölen am
Samstagvormittag eine Hand voll junge Grüne in einer Turnhalle im Leipziger
Osten. Dort findet vom 18. bis 20. Oktober der [1][Bundeskongress des
grünen Jugendverbands] statt. Die Parole, die ursprünglich auf die
Arbeiter*innenbewegung zurückgeht, wurde von einem der Redner auf
dem Podium im Vorlauf zum Beschluss des Leitantrags, angestimmt. Nicht alle
im Saal grölen mit. Denn mit dem Leitantrag, der die künftige politische
Linie der Grünen Jugend festlegen soll, sind nicht alle zufrieden. Das
zeigten die vorgebrachten Änderungsanträge, die einen fehlenden
klimapolitischen Fokus bemängelten.
Daran lässt sich der Zustand des grünen Jugendverbandes illustrieren:
Dieser ist gespalten, nachdem der bisherige Bundesvorstand Ende September
seinen Rücktritt und Austritt bei den Grünen bekannt gegeben hatte. Die
Ehemaligen, unter ihnen auch einige Mitglieder der jeweiligen
Landesvorstände, wollen nun unter dem Motto „Zeit für was Neues“ eine neue
linke Jugendorganisation gründen. Der ausschlaggebende Grund war das
ständige Hadern mit den vielen Kompromissen, die die Grünen in der
Bundesregierung eingegangen sind. Zudem kritisierten sie einen fehlenden
Fokus auf sozialpolitische Themen.
Beim Bundeskongress wollen sich die Verbliebenen am Wochenende neu
aufstellen. Die meisten Redner*innen betonen mehr als nur einmal, dass
sie im Gegensatz geblieben sind. Bereits beim Auftakt am Freitag zeigte
sich, dass großer Unmut über die abtrünnigen Verbandsgenoss*innen
herrscht. Dort sprachen sich die Mitglieder gegen eine Entlastung des
bisherigen Vorstands aus und kritisierten diesen für die Vernachlässigung
des grünen Hauptthemas Klimaschutz und warfen ihm vor, sich an „linker
Zersplitterung“ beteiligt zu haben.
Am Samstag, dem zweiten Tag des Kongresses, ist die Stimmung noch immer
angespannt. Nachdem über den Leitantrag debattiert wurde, folgte die Wahl
der neuen Bundesvorsitzenden. Künftig werden [2][Jette Nietzard und Jakob
Blasel als Bundesprecher-Duo an der Spitze der Grünen Jugend] stehen.
## Kein Bock auf Kohledeals
„Andere sagten die letzten Wochen, wir seien verloren. Doch diese volle
Halle sagt das Gegenteil“, eröffnet der aus Kiel stammende Jakob Blasel
seine Rede. Blasel ist ein bekanntes Gesicht aus der Klimabewegung rund um
Fridays for Future. Die Kritik des ehemaligen Bundesvorstands an der Ampel
und den Grünen teilt er zwar, doch „politische Utopien erreicht man nicht
durch Kapitulation“, sagte er auf dem Podium.
Das Klimathema steht in Blasels Rede im Vordergrund. „Während das Wasser in
die Keller unserer Großeltern steigt, baggert RWE mit dem Segen der Grünen
Lützerath ab“, so der 24-Jährige. Dass die Grünen daraufhin Kohledeals
zusagten und Abstriche beim Klimaschutzgesetz als Erfolg verkauft hätten,
bezeichnet er als „peinlich.“ Auf Ausreden habe er keinen Bock mehr. Neben
dem Klimaschutz will Blasel für eine humane Asylpolitik und soziale
Gerechtigkeit eintreten.
Blasel zufolge sei zu viel Vertrauen verspielt worden, das wolle er nun
zurückgewinnen. Als er nach seiner Rede gefragt wird, wie er das Image der
jungen Grünen nach den Austritten wieder ändern wolle, reagiert er
optimistisch. Veränderungen würden leichter werden, wenn sich die jungen
Grünen gesprächsbereit zeigen, ohne dabei ihre Positionen in Richtung
Mutterpartei zu verrücken.
## Menschenwürde statt Obergrenzen
Die Kritik an der Mutterpartei machen die jungen Grünen vor allem beim
Thema Asyl konkret. „Wenn Menschen in der Bundesregierung mir erzählen, wir
bräuchten Obergrenzen, wir müssen schneller abschieben, dann möchte ich sie
anschreien!“, sagt die zweite neue Sprecherin, Jette Nietzard, auf dem
Podium. Statt Obergrenzen, brauche es Menschenwürde.
Nietzard betont den strukturellen Charakter von politischen Problemen wie
Armut, hohen Mieten und sozialer Ungleichheit. Eine Politik, in der „die
Löhne steigen, statt die Zahl der Milliardäre“ ist laut der 25-Jährigen
möglich. Das unterscheidet sie von den abtrünnigen jungen Grünen, die auch
soziale Gerechtigkeit fordern, aber nicht mehr daran glauben, dass die
Grünen sie verwirklichen kann.
Der gemeinsame Feind stehe zwar immer rechts der Mitte und nie links, aber,
wenn jemand eine neue Mitgliedschaft haben wolle, dann solle man in die
Gewerkschaft eintreten – ein Seitenhieb auf die Ausgetretenen. An der
Spitze des neuen Bundesvorstands scheint Jette Nietzard für die
sozialpolitische Komponente sorgen zu wollen. Auf ihrem TikTok Kanal wirbt
sie zudem für feministische Themen.
## Wieder mehr Klimapolitik
Im taz-Gespräch vertiefen Mitglieder der grünen Jugend ihre Kritik am
vorigen Bundesvorstand. Patrick Vexler vom Kreisverband Stuttgart nahm den
letzten Bundesvorstand als „weniger offen“ als seine Vorgänger wahr. Diesem
wirft er vor, innerhalb seiner Amtszeit versucht zu haben, eine
Parallelorganisation aufzubauen. Dafür seien die Verantwortlichen jedoch
nicht gewählt worden. Auch Mario Dietel vom Kreisverband Hohenlohe übt
Kritik. Als Grüne Jugend solle man sich nicht in Marx Lesekreisen und
abstrakten Debatten verlieren. Das würde bei den Menschen nicht ankommen.
Auf dem Bundeskongress wurden längst nicht alle Fragen geklärt, die Zukunft
des Jugendverbands ist noch ungewiss. Sie steht irgendwo zwischen
Klassenkampf und Klimapolitik. Aber es wird klar, dass sich viele der
grünen Jugend wieder einen größeren Fokus auf Klimapolitik wünschen.
19 Oct 2024
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