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Bremen taz | Um Kita-Plätze für alle Kinder anbieten zu können, will
Bremens Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) einen radikalen Weg
einschlagen: Zu einigen Zeiten des Tages sollen Kitas komplett auf
Pädagog*innen in den Gruppen verzichten und die Betreuung durch
fachfremde Personen gewährleisten.
Das Grundproblem ist lange bekannt: Es fehlt an Kita-Plätzen; auch die neu
gebauten Kitas der letzten Jahre können das nicht ändern, es mangelt vor
allem an Personal, um die Räume zu bespielen. Zwar gab es in den letzten
Jahren eine [1][immense Aus- und Fortbildungsoffensive,] 2.400 zusätzliche
Kinder können seit 2021 betreut werden; doch das Tempo des
Kita-Platz-Aufbaus hält nicht mit den Kinderzahlen mit – nirgendwo in
Deutschland steigen die so schnell, wie in in Bremen.
Etwa 770 Kinder warten derzeit auf einen Kita-Platz. Zwar sind über 1.000
Erzieher*innen in Ausbildung – doch bis sie fertig sind, vergeht Zeit.
„Eine Lösung in fünf Jahren nützt diesen Kindern nichts“, schrieb
Bildungssenatorin Aulepp an die Beschäftigten von Kita Bremen.
„Die Senatorin ist in einer schwierigen Lage“, konstatiert
Sozialwissenschaftler René Böhme, der für das Land mehrere Studien zur
Betreuungssituation gemacht hat. „Sie muss sich jetzt aussuchen, gegen
welche Bundesvorgabe Bremen verstößt – gegen den Rechtsanspruch auf einen
Kita-Platz oder gegen das Fachkräftegebot. Sie muss abwägen zwischen
Quantität und Qualität.“
## Abstriche bei der Qualität
Bremen könnte weiterhin akzeptieren, dass nicht alle Kinder einen Platz
bekommen – oder die Betreuungszeiten für alle einschränken, etwa auf vier
Stunden am Tag. Die Senatorin will einen anderen Weg gehen, mit zwei
Prämissen: Alle Kinder müssen versorgt werden und es muss schnell gehen.
Das Bildungsressort greift daher zu Absenkungen bei der Qualität. Die
Gruppengrößen erhöhen, [2][so wie es Niedersachsen vormacht,] will Bremen
nicht. Das, so die Befürchtung, könnte die Erzieher*innen weiter
überlasten.
Stattdessen greift das Land das Fachkräftegebot an: Ein Kita-Tag hat nach
dem Gesetzentwurf künftig drei Phasen: Eine Kernförderzeit von mindestens
vier Stunden täglich, bei denen Gruppen wie bisher von zwei Fachkräften
betreut werden müssen, davon mindestens ein*e Erzieher*in oder
Sozialpädagog*in. Daneben soll es eine Randförderzeit von weiteren zwei
Stunden am Tag geben, in der es auch reicht, wenn etwa ein Kinderpfleger
gemeinsam mit einer nicht qualifizierten Person die Gruppe betreut.
Bei allen Zeiten darüber hinaus könnte künftig praktisch jede:r eine
Gruppe leiten: Eine Fachkraft muss „in Hörweite“ sein, alle einzelnen
Kita-Gruppen mit bis zu 20 Kindern aber könnten von je zwei „geeigneten
Personen“ betreut werden – Menschen ohne pädagogische Qualifikation kommen
infrage. Nicht einmal ein weiches „Erfahrung im Umgang mit Kindern“,
[3][wie es für Kindertagespflegepersonen gefordert] ist, steht in den
Anforderungen. Ein erweitertes Führungszeugnis reicht.
Auch eine Qualifizierung parallel zum Quereinstieg soll es nur als Angebot,
nicht als Pflicht geben. Die Öffnung für alle soll zeitlich begrenzt bis
2028 gelten. Ein Vorbild für die Maßnahme sei Niedersachsen, heißt es, aber
das stimmt nur sehr bedingt: Das Land teilt den Tag zwar auch in Kern- und
Randzeiten, doch zu keiner Zeit verzichtet man auf eine Fachkräftequote.
## Die Elternschaft ist uneinig
Die [4][Initiative „Kitastrophe“] schlägt gegen die Pläne Alarm und sieht
das Kindeswohl in Gefahr. „Es ist nicht schlimm, dass Kinder zeitweise
‚nur‘ betreut werden“, so Sprecherin Claudia Bollmann. „Aber dass Leute
ohne jede pädagogische Vorbildung alleine Kinder betreuen dürfen sollen,
das ist unvorstellbar.“
Auch Menschen aus anderen Berufen könnten den Kindern etwas mitgeben, hatte
die Senatorin zuletzt ihr Konzept verteidigt – und beispielhaft Gärtner
oder Yogalehrer genannt. „Diese romantische Vorstellung, dass Tomaten
gezogen werden, geht am Alltag in einer Kita komplett vorbei“, sagt
Bollmann. „Die Leute sind ja nicht da, um ihre tollen Zusatzangebote zu
machen, sondern um die Personalnot auszubaden.“ Die fachfremden Personen
müssten also trösten, schlichten, wickeln – und das mit Kindern mit
unterschiedlichen Sprachkenntnissen und Förderbedarfen.
## Rückendeckung von der Elternvertretung
Auch Sozialwissenschaftler Böhme sieht das Konzept in seiner jetzigen Form
kritisch. „Wir gehen hier bei der Qualität der Betreuung einen sehr großen
Schritt nach unten“, sagt er. Eine Abkehr von der Fachkräftequote dürfe
allenfalls als Ausnahmegenehmigung möglich sein. „Sonst sehe ich die
Gefahr, dass es der neue Standard wird.“
Rückendeckung bekommt die Senatorin hingegen von der Zentralen
Elternvertretung (ZEV), die offiziell alle Eltern von Kindern im Kita-Alter
in Bremen vertritt. „Natürlich will das keiner – aber was ist die
Alternative? Und wer zahlt den Preis dafür?“ Die Alternative, so erinnert
sie, sei eben gar kein Platz für ein Kind. Einzelne Kommunen in
Niedersachsen würden statt der Bremer Lösung einfach die Kosten anheben.
„So kann man das Problem mit der zu hohen Nachfrage eben auch lösen.“
16 Nov 2024
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