|
Tbilissi taz | Als Lazare Grigoriadis ins Left Bank kommt, kippt gerade die
Stimmung. Es ist Samstagabend in Tbilissi und Georgien hat hier heute die
vielleicht wichtigste Wahl seiner Geschichte abgehalten. Es sieht schlecht
aus. [1][Im Left Bank, einem der angesagtesten Clubs der Stadt,] trifft
sich die Techno-Szene eigentlich zum Feiern. An diesem Abend gucken alle
auf ihre Handys und verfolgen das Wahlergebnis. Nur ein paar wippen dabei
zur Musik. In einer Ecke bricht jemand in Tränen aus und wird getröstet.
[2][Die Regierungspartei kommt auf 54 Prozent.]
Grigoriadis hat sich direkt vor das DJ-Pult gestellt. Er versucht, sich
abzulenken, indem er der Musik zuhört: „Ich hab keine Ahnung, was jetzt
passieren wird“, bringt er raus, sonst bleibt er an diesem Abend sehr
ruhig. Auf Instagram postete er später aber: „Wer anfängt, jetzt
nihilistisch zu sein, hat den Kampf schon verloren!“
Hier in dem Club kennt jeder Lazare Grigoriadis. Ständig wird er gegrüßt.
Viele wollen seine Hand schütteln. In Georgien ist er berühmt geworden, als
er 2023 bei den Protesten gegen das Agentengesetz festgenommen wurde.
[3][Es ist ein Gesetz nach russischem Vorbild, das der Regierung die
Möglichkeit geben würde, ihr unangenehme Organisationen und Parteien zu
verbieten.] 2023 rufen die Clubs dazu auf, gegen das geplante Gesetz zu
demonstrieren. Grigoriadis folgt. Es kommt zu Ausschreitungen.
Demoteilnehmer:innen werden festgenommen – auch Lazare Grigoriadis.
Die Behörden werfen ihm vor, einen Molotowcocktail auf ein Polizeiauto
geworfen zu haben. Er bestreitet das, wird aber zu neun Jahren Haft
verurteilt. Nach einem Jahr begnadigt ihn die Präsidentin. Unter seinen
Augen hat er sich lange schwarze Wimpern tätowiert. Inspiriert von dem
Anime „Attack on Titan“. In der Serie greifen gigantische Titanen die
letzten Reste der Menschheit an.
Wahrscheinlich würde jede:r hier im Club Left Bank alles geben für eine
Zukunft in der EU. Aber niemand aus der Techno-Community musste einen so
hohen Preis zahlen wie Grigoriadis.
## Wimpern gegen Titanen
„Ich war sehr einsam “, sagt er über die Zeit im georgischen Gefängnis.
Drinnen bekommt er nicht viel davon mit, wie sein Fall weitere Menschen
dazu inspiriert, gegen die russische Einflussnahme im Land zu kämpfen.
Überall in der Stadt tauchen Graffitis mit seinen Augen und den
Wimperntattoos auf.
Hier, in Tbilissi, gibt es den berühmten Spruch „We dance together, we
fight together“. Zusammen tanzen, zusammen kämpfen. Er stammt aus der Zeit
von 2018. Damals, als der Techno-Club Bassiani von der Polizei gestürmt
wurde. Die Regierung verfolgte eine strenge Drogenpolitik und der Angriff
auf das Bassiani führte zu Protesten von Tausenden Raver:innen.
Grigoriadis war damals 16 und hat die Techno-Welt gerade erst für sich
entdeckt. Bei den Protesten hielt er sich noch raus. Aber die Umgebung, die
Gespräche, die haben ihn politisiert – und radikalisiert. „Diese Zeit in
den Clubs hat mich sehr verändert. Ich habe verschiedene Perspektiven
kennengelernt. Ich habe viele andere Dinge gelernt, und wenn ich zu einer
Demonstration gehe, sehe ich dort viele Leute aus den Clubs. Wir sind alle
über den Club hinaus miteinander verbunden, wie eine große Familie.“
Zusammen tanzen, zusammen kämpfen.
Dieser Spruch gilt auch im Left Bank. Den Club gibt es erst seit 2020 und
hier will man alles ein bisschen anders machen. Während im Bassiani immer
mehr Tourist:innen tanzen, ist das Left Bank ein Ort für die Community
in Georgien. Neben den Dancefloors gibt es Bereiche, wo man sich
austauschen und unterhalten kann.
## Das weirde Hobby des Oligarchen
Nika Khotcholava arbeitet im Left Bank und legt als Resident DJ unter den
Namen Routes not Roots und Boioboinik regelmäßig auf: „Dieser Ort soll
anders sein, besonders. „Wir veranstalten hier regelmäßig Liveevents. Haben
sogar eine Bühne für Bands, für HipHop-Artists aus Georgien oder
experimentelle Musik.“
Regelmäßig gibt es zum Beispiel Filmabende. Zuletzt wurde ein Film über die
Baum-Sammel-Obssesion des georgischen Oligarchen Bidzina Ivanishvili
gezeigt. Ein guter Freund von Putin und mit Abstand der reichste Mensch
Georgiens. Er ist der Hauptsponsor der nationalistisch-konservativen
Regierungspartei Georgischer Traum und sogar Ehrenvorsitzender. Sein
weirdes Hobby: alte und seltene Bäume per Schiff in seinen Garten bringen.
Hier in der Club-Community hasst ihn wahrscheinlich jede:r.
Unter der Woche ist im Left Bank nicht viel los. Ein paar sitzen an der
Bar. Im Außenbereich an einer Tischtennisplatte aus Beton wird Pingpong
gespielt. Aus dem Club hört man ruhigen Downbeat-Techno. Das Wahlergebnis
hat Nika genauso schockiert wie den Rest der Technoszene. Alle waren davon
ausgegangen, dass sie gewinnen würden. Dass sie endlich wegkommen von
Russland. Dass Georgien eine Zukunft in der EU hat. Jetzt haben sie Angst
vor der Zukunft.
[4][Erst im Sommer 2024 hatte die georgische Regierung ein neues
Anti-LGBT-Propaganda-Gesetz verabschiedet] – auch nach russischem Vorbild.
Seitdem ist es in Georgien unter anderem verboten, sich öffentlich zu
versammeln, um „queere Identität zu fördern“. In Russland werden auf
Grundlage dieses Gesetzes immer wieder Clubs gestürmt.
Davor hat auch Left-Bank-DJ Nika Khotcholava Angst. „Das ist offensichtlich
die direkte Verbindung zu uns. Es ist halt das, was wir hier machen:
Genderpropaganda!“ Er sagt das mit einem Augenzwinkern, lacht kurz, meint
es aber sehr ernst. Er glaubt nicht, dass die Regierung alle Clubs von
jetzt auf gleich schließen lassen wird. „Vielleicht erst mal einen und dann
den nächsten. Bis sich niemand mehr traut, einen Club zu betreiben.“
Davor hat auch Grigoriadis Angst. Er sitzt zu Hause am Küchentisch. Der
Kühlschrank brummt und es riecht nach frischem Kaffee. Zu den
Wimperntattoos haben sich Augenringe gesellt. Vor allem die Zukunft der
Clubs macht Lazare Sorgen: „Unsere Community, unsere Bubble, würde ihr
zweites Zuhause verlieren, und wir haben gerade erst unsere Stimme
verloren.“
30 Oct 2024
## LINKS
|