# taz.de -- Schon wieder Fin de Siècle: Früher war alles besser

> Unser Autor denkt über das Verschwinden nach und ob es wirklich schlimm
> ist, wenn Dinge nicht mehr da sind, wo sie waren.
Ich besitze zwei hübsche kleine Bildbände über die Apokalypse. Also:
zweimal den gleichen, um genau zu sein. Und wahrscheinlich wäre mir das nie
aufgefallen, wenn ich nicht neulich auf den Gedanken gekommen wäre, meine
Bücher nach Größe neu zu sortieren. Da standen die beiden plötzlich
nebeneinander mit ihrem komisch niedrigen Format neben den Reclam-Heften.

Das eine Exemplar hatte ich aus einem etwas angestaubten Stapel für eine
längst versandete Coronakrisen-Recherche gezogen, während das andere weit
weg in der zweite Reihe stand: bei meinem 90er-Jahre-Kram, den ich
irgendwann noch mal lesen möchte, sobald ich Muße für solche
selbstreflexiven Zeitreisen habe.

Die Bilder in diesen Büchern haben etwas Beruhigendes, auch wenn manche
davon doch eher grauslig aussehen. Cimabues Fresko mit den vier Engeln aus
den Ecken der Erde zum Beispiel gäbe in seiner abgewetzten Bedrohlichkeit
auch ein schickes Cover für eine Black-Metal-Platte ab, während
(ausgerechnet!) Fra Angelicos Einzug der Auserwählten ins ewige Licht eine
der hoffnungslosesten Angelegenheiten ist, die ich mir überhaupt vorstellen
kann.

Was an diesen Untergangsbildnissen nun beruhigend ist? Ihr Alter. Dass also
Johannes’ Offenbarung schon vor knapp 2.000 Jahren ein nahes Ende
ankündigt, was im ausgehenden Mittelalter viele Maler umtreibt, aus sehr
gegenwärtigem Interesse am Weltuntergang herumzudeuteln – woraus ein paar
hundert Jahre später lustige und auch düstere Filme werden, deren Kraft
eben daher kam, dass das alles so gänzlich abwegig nicht klang so kurz vor
der Jahrtausendwende. Aber die Welt ist immer noch da.

## Der Gedanke, dass die Welt weg wäre

Wahrscheinlich liegt es am Wetter und/oder der Jahreszeit, aber mich lässt
dieses doppelte Buch seit dem Umräumen irgendwie nicht mehr los. Dieser
Gedanke, dass die Welt weg wäre, macht mir zwar keine Angst, strapaziert
mich aber irgendwie doch. Vor allem hier draußen auf dem Land, wo eben
diese Welt so viel stabiler tut als die urbane.

Ein Beispiel: Wer in der Großstadt unvermittelt über einen gestern noch
nicht dagewesenen Neubau stolpert, tut das mit gewisser Gewöhnung. Man
erinnert sich kurz, wer hier früher was mit wem und so weiter … und dann
ist es auch gut. Zumindest geht es mir so. Hier draußen ist es anders.

Ich bin neulich durch den Ort Bassum gefahren, den Sie wahrscheinlich nicht
kennen, und an den auch ich mich erst wieder erinnern musste. Vor ungefähr
30 Jahren wurde hier eine Ortsumgehung gebaut: die Bundesstraße B 51 als
eine einzige lange Kurve um die Stadt gezogen, um ihr Zentrum zu entlasten.
Aus einer (schlechten) Laune heraus bin ich nun doch mal wieder
durchgefahren und habe versucht, mich an die alten Fahrten zum Hallenbad
oder nach Bremen zu erinnern: wie ich da als Kind auf dem Rücksitz saß und
aus dem Fenster geguckt habe.

## Weltuntergänge sind nicht zwingend schlecht

Ein paar Dinge habe ich tatsächlich noch wiedererkannt, das meiste nicht.
Es gibt ein paar neue Häuser, eine verkehrsberuhigte Straße und
unmotivierten Freiraum, als ob man nicht so recht wusste, was man mit der
neu gewonnen Ruhe nun anfangen könne.

Weltuntergänge müssen nicht zwingend schlecht sein. Dass zum Beispiel die
Stau- und Abgaswelt der Bassumer Innenstadt unterging, hätte ein echter
Gewinn sein können. Vielleicht ist es für manche Einheimische auch so. Aber
mich macht es sonderbar schwermütig, dass diese Welt nicht mehr da ist – an
der mir nichts lag, die mich über Jahrzehnte nicht beschäftigt hat und die
schon damals eher ein Hindernis war als ein Reiseziel.

Vielleicht ist das der eine Punkt, aus dem man wirklich was lernen kann für
den Umgang mit Nostalgikern und Apokalyptikern: Am Ende ist wirklich
komplett egal, was genau da gerade unterzugehen droht.

20 Oct 2024

## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
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