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Berlin taz | Der Tonfall war ungewöhnlich für eine Senatorin. Wer die
„Steuerzahler:innen in Berlin fragt“, erfahre, dass diese „den Wunsch und
den Drang nach einem Ende dieses Wildwuchses haben“, sagte die
Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) in der Fragestunde des
Berliner Abgeordnetenhauses am 12. September. [1][Günther-Wünsch] sprach
nicht von ungepflegten Grünanlagen, sondern von den Angeboten der ihr
unterstellten Landeszentrale für politische Bildung.
Wie werde der „Bedarf für ein Angebot wie den Workshop ‚Siebdruck und
(kritische) Männlichkeit‘ ermittelt?“, fragte sie. „Wie hoch ist die
Nachfrage für ‚Antirassistisches Training für weiße Frauen‘?“ Es war eine
selten unverhohlene öffentliche Kritik an der Arbeit einer Behörde in ihrem
eigenen Zuständigkeitsbereich. „Muss das Angebot ausgeweitet werden, oder
kann es in Teilen zurückgefahren werden?“, schloss die mit dem
Bürgermeister Kai Wegner liierte Senatorin und ließ kaum Zweifel daran,
welche Antwort sie auf diese Frage zu geben gedenkt.
Die Mittel der [2][Landeszentrale] sind seit 2014 von 1,2 auf 4 Millionen
Euro im Jahr, die Mittel für das Landesprogramm für Demokratie von 2,4 auf
10 Millionen Euro angewachsen.
Die Berliner Zeitung machte im Mai eine große Geschichte über die
CDU-Kritik an der Landeszentrale und warf die Frage auf, ob sie
„Mitspielerin im ohnehin schon riesigen Universum des identitätspolitischen
Aktivismus“ sein solle. Im August wurde bekannt, dass Günther-Wünsch eine
„Stabsstelle politische Bildung und Demokratieförderung“ einrichten will.
Jahresprogramm, Materialien und die Förderung einzelner Träger – inklusive
der Landeszentrale – sollen künftig mit dieser Stabsstelle abgestimmt
werden.
## Online-Petition gegen CDU-Vorstoß
Rechtlich ist die Landeszentrale zwar seit jeher der Bildungsverwaltung –
also aktuell Günther-Wünsch – unterstellt. Sie kann ihr Programm aber
unabhängig erstellen. Das soll nach der Vorstellung der Union nun anders
werden. Der Historiker Wolfgang Benz warnte vor „ideologischer Kontrolle
wie in Sowjetzeiten“. Eine Online-Petition dagegen unterzeichneten rund
20.000 Menschen.
Die Vorwürfe seien „schlichtweg falsch und unwahr“, kanzelte Günther-Wünsch
die Petition ab. Die Abstimmung mit der Stabsstelle diene einer „kohärenten
und effektiven Projektförderung“. Die Behauptung, die Unabhängigkeit der
Landeszentrale werde beschnitten, sei ihr „wirklich schleierhaft“.
Die sich ohnehin aus der Fachaufsicht ergebenden Rechte der
Bildungsverwaltung so hinzustellen, zeige, was „wir in zunehmendem Maße
unter dem Deckmantel von vermeintlich politischer Unabhängigkeit […] an
Kampagnen […] im Zuwendungsbereich erleben.“
## Die Landeszentrale muss unabhängig bleiben
Die Auseinandersetzung ziehe sich seit über einem Jahr hin, sagt Maja
Lasić, die für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt und für die
Landeszentrale zuständig ist. Es gebe eine „hocheskalative Debatte rund um
die Unabhängigkeit der Landeszentrale“. Für Lasić gehören auch die Versuche
dazu, den Umgang der Verwaltung mit den freien Trägern politischer Bildung
neu zu regeln: „Die politische Motivation ist die gleiche.“
Es gehe der CDU dabei um „politisches Signaling ins konservative Spektrum“.
Die dabei verbreitete Erzählung laute, dass die Landeszentrale 30 Jahre in
den Händen der SPD war und dabei Bündnisse mit linken Partnern eingegangen
sei. Die Folge sei angeblich eine „starke Fokussierung auf die
Identitätspolitk“. Statt Bildung für alle anzubieten, gebe es „linken woken
Quatsch“, das sei die Unterstellung. In Berlin sei diese Diskussion massiv
hochgekocht worden und habe ihren bisherigen Höhepunkt mit Günther-Wünschs
Auftritt im Abgeordnetenhaus Mitte September gehabt.
Auf Antrag Lasićs hat daraufhin das Kuratorium der Landeszentrale deren
„öffentliche Infragestellung“ kritisiert. „Jegliche einseitige parteiliche
Einflussnahme verbietet sich angesichts des fundamental wichtigen
Auftrags“, heißt es in der Resolution. Das „öffentliche Bild“ der
Landeszentrale dürfe „nicht weiter beschädigt“ werden.
Was in Berlin geschehe, sei Teil einer größeren Entwicklung, glaubt Lasić,
die seit 15 Jahren in der Bildungspolitik tätig ist. Auch wenn es in Berlin
bisher keine konkreten Streichungen bei der Landeszentrale gegeben habe,
mache sie wütend, dass die Konservativen eine „unabhängige Institution in
Misskredit ziehen. Die CDU provoziert das bewusst.“
## 3000 Euro für Siebdruckworkshop
Lasić sieht dies als Teil eines „Kulturkampfs an verschiedenen Fronten“.
Dazu zählten auch die Angriffe auf den Minderheitenschutz – unter anderem
bei der politischen Bildung. In den zehn Jahren der R2G-Koalition habe es
im Bereich Antidiskriminierung „starke Investitionen“ gegeben. „Es gibt
eine relevante Größe von Menschen, denen das zu bunt ist, und zu denen
spricht die CDU.“
Die Berliner Landeszentrale selbst will sich nicht öffentlich äußern. Zu
hören ist, dass der von Günther-Wünsch benannte Siebdruckworkshop 20-mal
stattgefunden – und jeweils nur 150 Euro gekostet habe. Viel effizienter
geht es vermutlich kaum.
Die Anwürfe gegen die Berliner Landeszentrale sind kein Einzelfall. Anfang
Oktober schrieb der Bundesausschuss für politische Bildung (bap) – ein
Zusammenschluss freier Bildungsträger – einen alarmierenden Brief. Man
beobachte „zunehmende Versuche der Politik, die Zentralen der politischen
Bildung stärker an die Regierung“ zu binden, heißt es darin. Überall zeige
sich die „Tendenz zur Verstaatlichung der politischen Bildung“, sagte
Wilfried Klein, bis vor Kurzem bap-Vorsitzender. Das sei „mit dem
Selbstverständnis einer offenen, von einer kritischen Öffentlichkeit
getragenen Zivilgesellschaft nicht vereinbar“.
In NRW habe die schwarz-grüne Landesregierung 2023 die Landeszentrale
„zerschlagen, wichtige Aufgabenbereiche direkt an die Ministeriumsleitung
gebunden“ und dem Rest der Landeszentrale die Mittel gekürzt. Erst nach
erheblichen Protesten seien die Einschnitte „teilweise abgemildert“ worden.
In Thüringen laufe der „löbliche Versuch, der Landeszentrale per
Gesetzesgrundlage eine dauerhafte Existenz und Überparteilichkeit zu
sichern, am Ende darauf hinaus, dass die Landeszentrale ihr Programm von
der Parlamentsmehrheit billigen lassen muss“. Und auch bei der
Bundeszentrale für politische Bildung drohe die Verstärkung der ohnehin
schon durch Eingriffe des Ministeriums geprägten „Fachaufsicht“, so Klein.
## „Die Vielfalt ist ein Schatz“
Er sei „auch nicht mit allem einverstanden“, was es an politischen
Bildungsangeboten gebe. „Aber das muss man aushalten, denn die Vielfalt ist
ein Schatz.“ Wenn die Politik dies „engführen will, weil einem bestimmte
Sachen nicht passen, wird es gefährlich“, sagt er. Eine politische Bildung,
die einen Beitrag zur Stärkung der demokratischen, widerstandsfähigen
Gesellschaft leisten soll, müsse kritisch sein. Das brauche Zentralen der
politischen Bildung, „die unabhängig und im besten Wortsinne staatsfern
sind. Im Augenblick beobachten wir das genaue Gegenteil.“
Viele, die in dem Bereich arbeiten, verorten die Wurzeln dieser Entwicklung
bereits im Jahr 2011. Die damalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder
hatte die sogenannte [3][Extremismusklausel] eingeführt. Dabei handelte es
sich um eine schriftliche Erklärung, die Antragsteller für Mittel aus drei
millionenschweren Bundesprogrammen zur Demokratieförderung abgeben mussten.
Sie mussten sich darin zur „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“
bekennen – und unter anderem geloben, in Verfassungsschutzberichten zu
prüfen, ob „Partner“ oder „Referenten etc.“ womöglich dort gelistet sind.
Es dürfe „keinesfalls der Anschein erweckt werden, dass eine(r)
Unterstützung extremistischer Strukturen […] Vorschub geleistet wird“. „Wer
damit schon ein Problem hat, der demaskiert sich selbst“, sagte die
Ministerin Schröder damals.
Doch viele kritisierten die Klausel unter dem Dach der Initiative
„Aktionstag gegen Bekenntniszwang“: Die Klausel behindere Projekte gegen
Rechtsextremismus und kriminalisiere viele dieser Projekte als
linksextremistisch. 2014 wurde die Klausel abgeschafft. Stattdessen wird
heute meist im Zuwendungsbescheid geregelt, dass keine Steuergelder an
extremistische Organisationen oder Personen gehen dürfen.
## Björn Höcke will Zivilgesellschaft „trockenlegen“
Eine „Zäsur“ war Schröders Vorstoß, sagt heute der ehemalige Vorsitzende
des bap, Wilfried Klein. „Dass ich nicht will, dass Verfassungsfeinde
alimentiert werden, ist gar keine Frage. Die Frage ist, wie definiert man
das?“ Ein „Generalverdacht in Richtung der Träger“ sei damals aufgekommen,
der bis heute nachwirke – unter anderem in den Aktivitäten der AfD, die die
„Trägerlandschaft scannt“.
Ein langjähriger ehemaliger Referent einer ostdeutschen Landeszentrale
beschreibt die Partei vor allem als desinteressiert an fachlichen Fragen.
Die Vertreter der Partei seien nur selten zu den Sitzungen des Kuratoriums
erschienen, in denen ihnen per Parteiproporz Sitze zustanden. Er könne sich
„an keine Sitzung erinnern, wo die was Inhaltliches gesagt haben. Das war
denen zu unwichtig.“ Mittlerweile allerdings könne die AfD „vor Kraft kaum
laufen und das erfordert eine gewisse Robustheit in der
Auseinandersetzungsfähigkeit, die viele in der politischen Bildung nicht
haben.“
Im Visier der AfD Thüringen seien weniger die Landeszentralen gewesen als
vor allem die Demokratieförderprogramme, die von den Ländern im Kontext der
Bundesprogramme aufgelegt würden – etwa „Demokratie leben“, die mobilen
Beratungsstellen für die Opfer von Rechtsextremismus oder die Lokalen
Partnerschaften für Demokratie. „Die sind das große Feindbild“, sagt der
Referent.
Schon 2020 hatte etwa der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke angekündigt,
„diese sogenannte Zivilgesellschaft, die sich aus Steuergeldern finanziert
und sich daraus nährt“, bei einer Regierungsübernahme „trockenzulegen“. Der
Staat dürfe „nicht als Ideologieproduzent auftreten“, sagte Höcke.
## Mittel zur Demokratieförderung stark erhöht
Das Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft hat 1.268 Kleine
Anfragen der AfD-Abgeordneten während der 6. Wahlperiode des Thüringer
Landtages von 2014 bis 2019 ausgewertet. Es sei „belegbar, dass die
Thüringer AfD versucht hat […], aus dem Parlament heraus einen autoritären
Gegenangriff auf die Zivilgesellschaft und Demokratie in Thüringen
durchzuführen“, heißt es in dem Bericht.
Häufig habe dies Projekte betroffen, die vom Thüringer Landesprogramm für
Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit finanziert wurden. Die AfD habe
dabei „abwegige Vorwürfe (z. B. Verdächtigung der Nähe
zum,Linksextremismus')“ artikuliert und teils „antiliberale, Grundrechte
einschränkende bis demokratiefeindliche Forderungen (z. B. dass zugunsten
der AfD in die Meinungs-, Versammlungs- und Wissenschaftsfreiheit anderer
eingegriffen werden solle)“ aufgestellt. Letzteres offenbare die
„instrumentell-strategische Einstellung“ der AfD gegenüber den
Grundrechten.
Verstärkt hat diese Dynamik vermutlich auch der Umstand, dass mit Blick auf
die Zunahme demokratiefeindlicher Einstellungen die Mittel für
Demokratieförderung stark erhöht worden sind. 2015 startete etwa das
Programm „Demokratie leben“ mit einem Jahresbudget von 40,5 Millionen Euro.
Heute kann es über 182 Millionen Euro pro Jahr für etwa 700 Projekte
ausgeben. Der Etat der Bundeszentrale für politische Bildung liegt im
laufenden Jahr bei 96 Millionen Euro.
Dass durch das Projekt „Demokratie leben“ und das Demokratiefördergesetz so
viel Geld in die politische Bildung fließe, sei „toll“, sagt Sabine Achour.
Sie lehrt an der Berliner FU Politikdidaktik und ist Vorsitzende des
Berliner Landesverbands der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung.
Problematisch sei indes, wie der Staat die Ausgaben begreife.
Sie könne nachvollziehen, dass die Politik bestimmten Phänomenen
entgegentreten wolle, mein Achour. „Man kann den Menschen in der
politischen Bildung aber nicht gegenübertreten, wenn man sie vor allem als
potenzielle Gefährder:innen begreift und sie damit in eine
demokratiefeindliche Ecke stellt“, so Achour. „Da gibt es dann für die
Muslime den Anti-Salafismus-Workshop und für den Mann aus Brandenburg ein
Projekt, damit der nicht Nazi wird“. In einem solchen Verständnis stecke
schon die Wurzel für weitergehende Versuche, die politische Bildung
staatlicherseits zu instrumentalisieren.
## Schulen haben Angst vor Markierung durch AfD
Diese seien heute „sehr viel stärker und ideologischer“ geworden. In NRW,
Thüringen oder Berlin sei von konservativer und rechtskonservativer Seite
sehr klar gemacht worden, dass man die Angebote der politischen Bildung als
„Identitätspolitik“ oder „Islamversteherei“ sehe. „Die professionelle
Arbeit der Träger wird infrage gestellt und für gesamtgesellschaftliche
Probleme wie Antisemitismus verantwortlich gemacht.“
Ein „Angriff auf die Unabhängigkeit der politischen Bildung in der
Demokratie“ sei das, zumal der Vorwurf auch in der Sache unberechtigt sei:
„Es ist nicht so, dass es nur identitätspolitische Angebote gäbe.“ Im
Berliner Abgeordnetenhaus habe sich denn auch nur die AfD hinter die
Attacken der Union gestellt. Begründet würden die Anwürfe auch mit der
Befürchtung, es könne Geld an Islamisten fließen. Der Palästinakonflikt
spiele dem „in die Hände“, sagt Achour. „Die Rechten tun dabei so, als ob
sie sich besonders gegen Antisemitismus starkmachen.“
Die AfD verfolge eine ganz ähnliche Agenda etwa an Schulen. Im Programm der
Partei heißt es, an deutschen Schulen werde „oft nicht die Bildung einer
eigenen Meinung gefördert, sondern die unkritische Übernahme ideologischer
Vorgaben“. Das Klassenzimmer dürfe „kein Ort der politischen Indoktrination
sein“. Die AfD wolle so in der Schulpolitik ebenso wie mit Blick auf die
politische Bildung den Beutelsbacher Konsens „so instrumentalisieren, dass
sie als Opfer erscheinen“.
Der Beutelsbacher Konsens legt die Grundsätze für die politische Bildung
fest, er enthält unter anderem das sogenannte Überwältigungs- oder
Indoktrinationsverbot. Demzufolge dürfen Lehrkräfte Schüler*innen nicht
ihre Meinung aufzwingen, sondern sollen sie in die Lage versetzen, sich
eine eigene Meinung zu bilden. Die AfD interpretiere das so, dass sie
selbst überall zu Wort kommen dürfe. „Das lässt sich daraus aber nicht
herauslesen“, so Achour.
Gleichwohl schieße sich die Partei auf Bildungsträger ein, die sich gegen
sie stellen. Achour erinnert an die Angriffe der Brandenburger AfD gegen
die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein, die von dem sozialistischen
Jugendverband Die Falken betrieben wird. Nach Anfragen, mit wem die Stätte
zusammenarbeite, forderte die AfD 2020, Zahlungen zum „Schutz von Kindern,
Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor linksextremistischen Inhalten“ zu
stoppen und zu prüfen, ob bereits gezahlte Förderung zurückgefordert werden
könne.
Zu den häufigsten Themen, die die AfD als „Indoktrination“ angreife, zähle
„Identitätspolitik“ oder „das absolute Triggerthema Antifeminismus“, sagt
Achour. Selbst wenn an Schulen, wie etwa am Berliner Fichtenberg-Gymnasium,
Demos unter einem Motto wie „Nie wieder 1933“, das sich gar nicht explizit
gegen die AfD gerichtet habe, organisiert würden, seien parlamentarische
Anfragen die Folge. „Die AfD agiert da ganz gezielt, weil sie weiß, wenn
sie Schulen und Lehrkräfte einschüchtern, laden die etwa bestimmte
Stiftungen oder Träger nicht mehr ein.“ Achour berichtet von einem Treffen
mit Vertretern aller politischen Stiftungen außer der AfD-nahen
Desiderius-Erasmus-Stiftung, die schon 2018 beklagt hätten, von „Schulen
nicht mehr eingeladen zu werden, weil sie Angst haben, von der AfD markiert
zu werden“.
18 Oct 2024
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