# taz.de -- Emotionen und Medien: Panik zieht

> Rechte Plattformen locken mit Fake News über Gewalt an Kindern und Sex
> mit Tieren. Der Treiber ist Angst. Doch mit der umzugehen, lässt sich
> üben.
Als Erstes starrt immer der Hund in Minirock und mit Perücke auf die
ratlosen Teilnehmer*innen. „In Dänemark boomen die Tiersex-Bordelle“ steht
unter dem Tier. Dem Hund folgen Meldungen über überfallene Rentnerinnen,
bedrohte Kinder, gewalttätige „Migranten“.

Die Übung, die nun folgt, klingt einfach. Die Teilnehmenden des Workshops,
den ich gebe, sollen sich die Titel und Fotos anschauen und sich dann eine
Ecke im Raum aussuchen: Eine steht dafür, dass sie Hass oder Wut empfinden,
eine andere für Freude, eine für Angst. Nur die letzte Ecke ist reserviert
für den Fall, dass sie den Text als objektiv einstufen.

Seit sieben Jahren gebe ich solche Medien-Workshops, meistens für das
[1][Archiv der Jugendkulturen]. Seit sieben Jahren wissen die Menschen
anfangs, beim Hundebordell, nicht genau, was sie empfinden. Erst im Laufe
der Übung entwickeln sie ein Gefühl dafür, wie manche (Fake-)Medien,
insbesondere solche, die auf Lügen und Populismus setzen, mit Emotionen
arbeiten.

„Hättet ihr da jetzt geklickt?“ Die Antwort ist fast immer ja. Egal, ob ich
mit Jugendlichen arbeite oder mit Erwachsenen. In einer Schule oder in
einer Kirche. Ob in Bayern, Hessen oder Sachsen. Ob mit Menschen ohne
Schulabschluss oder solchen mit Diplomen.

## Ein emotionales Problem

Niemand von ihnen ist dumm, sie alle wissen, wie sie [2][Fake News und
Verschwörungserzählungen erkennen] können. Was erfahrungsgemäß vielen von
uns fehlt, ist vielmehr das Wann, der Startschuss für die Überprüfung, die
Erkenntnis: Irgendwas stimmt hier nicht. Und die ist fest damit verknüpft,
ob wir merken, dass wir heftige Gefühle haben. Das Problem ist also ein
emotionales. Und es schadet den Individuen wie der gesamten Gesellschaft.

Am Wochenende teilten Zehntausende Accounts eine Storyvorlage auf
Instagram. Inhalt war ein Artikel, der Fake News verbreitet und auf der
Seite „anonymousnews“ online gegangen ist. Wichtig: Dieses Portal hat
nichts zu tun mit dem Hacker*innen-Kollektiv Anonymous. „anonymousnews“
tarnt sich als Nachrichtenmedium und verbreitet Lügen und – bleiben wir bei
den Emotionen – Angst und nochmal Hass. Aktuell ist die Storyvorlage nicht
mit auffindbar.

Der Titel des Textes unterstellt, dass das Gleichstellungsgesetz
sexualisierte Gewalt an Kindern straffrei machen würde. Das ist eine Lüge.
Wahr ist: Das Gleichstellungsgesetz hat absolut nichts mit sexualisierter
Gewalt an Kindern zu tun. [3][Beim Verein Mimikama, der gegen
Verschwörungserzählungen und Fake News arbeitet, können Sie sich einen
Faktencheck dazu durchlesen].

Veröffentlichungen dieser angstschürenden Art „passieren“ nicht einfach,
sondern sind Teil eines Systems, das mit Angst und Wut arbeitet, zwei
besonders starken Treibern für uns alle. Warum sonst erledigen wir die
Steuererklärung erst, wenn uns Strafen angedroht werden?

## Radikalisierung Richtung rechts

Angst kann uns helfen. Sie ist der Grund, warum sich unsere Vorfahren vor
dem Bären gerettet haben. Aber sie ist schnell aktivierbar und leicht
auszunutzen. Haben Sie Angst um das Wohlergehen von Kindern? Klicken Sie
auf den Text! So gelangen Sie auf Seiten wie anonymousnews, und dort werden
Sie gefüttert mit „Nachrichten“, die es für eine ordentliche
Radikalisierung Richtung rechts noch braucht.

Unter anderem wird „berichtet“, dass ein (Nationalität einsetzen) ein Pony
vergewaltigt hätte. Dass ein (Nationalität einsetzen) eine Rentnerin ins
Koma geprügelt hätte. Dass ein Geheimdienstchef eine verbotene
„Pädo-Flagge“ tragen würde (gemeint und gezeigt ist allerdings die queere
Progress-Flag, die nichts mit Pädophilie zu tun hat).

Eine andere Fake-News-Plattform, die den Text ebenfalls geteilt hat, wird
noch expliziter und holt in einem Beitrag sogar das antisemitische
Feindbild „Rothschild“ raus, das leider nie eingemottet war. Das passt ins
Bild. Seit Jahrhunderten lautet die Strategie Emotionalisierung. Und seit
Jahrhunderten sind die Ziele die gleichen. Das hat so viel Erfolg, dass auf
den Seiten sogar Werbung gemacht wird. Bei anonymousnews etwa vom Kopp
Verlag für einen Ratgeber zum Auswandern, der damit wirbt, dass man sich so
die Kontrolle wieder zurückholen könne. Wieder ist der Treiber Angst.

Wie gesagt: Die Teilnehmenden meiner Workshops sind alles andere als dumm!
Sie kennen die Fragen, um Fake News zu erkennen: Wer hat den Text
veröffentlicht? Ist der Text überhaupt aktuell? Kommen hier alle Seiten zu
Wort? Kommt mir etwas unlogisch vor? Sie wissen auch, wie Google
funktioniert. Aber: Sie müssen als allererstes merken, dass sie eine
heftige Reaktion auf eine Nachricht haben. Erst dann können sie dazu
übergehen zu überprüfen, ob diese Nachricht wirklich stimmt.

Und dafür braucht es Medienbildung, die nicht nur über vermeintliche
Filterblasen und Fact-Checking-Tools spricht. Erst wenn wir verstehen, dass
wir Angst oder Wut haben, können wir verstehen, warum es uns so geht und
wer davon profitiert. Und letztendlich auch, ob unsere Angst in einigen
Fällen wirklich angebracht ist.

15 Oct 2024

## LINKS
[1] https://www.jugendkulturen.de/
[2] /Der-Fake-Test/!5685711
[3] https://www.mimikama.org/gleichstellungsgesetz-sex-kindern-nicht-straffrei/
## AUTOREN
Johannes Drosdowski
## TAGS
Fake News
Medienkompetenz
Desinformation
Verschwörungsideologie
GNS
Desinformation
Desinformation
Plattformökonomie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Linken-Chefin zu Russland-Desinformation: „Wir sind nicht gut gewappnet“
Die russische Social Design Agency betreibt Desinformation in Deutschland.
Eine Betroffene: Janine Wissler. Die Linken-Chefin fordert mehr Gegenwehr.
Desinformationskampagne Russlands: Die Spin-Docs des Kremls
Die taz analysiert interne Papiere der russischen Propagandafabrik SDA: Mit
massiver Desinformation will sie die deutsche Öffentlichkeit beeinflussen.
Schärfere Schritte gegen Big Tech: X in schlechter Gesellschaft
Die großen IT-Konzerne hatten lange Narrenfreiheit, zu lange. Nun wundern
sie sich, dass es zunehmend Regeln gibt – die auch durchgesetzt werden.