# taz.de -- 5 Jahre nach Attentat: Halle gedenkt Opfer des Anschlags

> Bundespräsident Steinmeier und Ministerpräsident Haseloff nehmen an der
> Gedenkfeier teil. Viele Betroffene kämpfen weiterhin um Anerkennung.
Halle (Saale) taz | Vor dem Gedenkort Tekiez in Halle steht İsmet Tekin und
trinkt ein Glas Tee. Er wirkt an diesem Mittwochmittag ein wenig nervös. Am
fünften Jahrestag des rechtsextremen Terrors in Halle und Wiedersdorf
besucht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) Anschlagsorte. Der
Tekiez, heute ein Begegnungsraum, ist einer davon. Dort war am 9. Oktober
2019 noch der Kiez-Döner, den der rechtsterroristische Attentäter angriff
und dabei den 20-jährigen Kevin S. tötete.

Heute zieren das Schaufenster links vom Eingang gemalte Blumen mit blauen
und violetten Blüten. In weißer Schrift steht daneben: „Wir erinnern“. Von
den Hakenkreuzschmierereien, die am Vortag in der Nähe entdeckt worden
waren, ist nichts mehr zu sehen. Tekin nimmt noch einen Schluck Tee. Er
arbeitete damals im Kiez-Döner. Als damals die Schüsse im Kiez-Döner
fielen, war er zwei Straßen weiter etwas einkaufen, rannte aber sofort
zurück und geriet in einen Schusswechsel zwischen Polizei und dem Täter.
Der schoss auf Tekin, aber er blieb unverletzt.

Dem Bundespräsidenten sei er noch nie begegnet. „Dass Herr Steinmeier uns
besucht, sich Zeit nimmt, zeigt uns, dass er uns ernst nimmt“, erzählt
Tekin. „Das ist der schönste Moment seit fünf Jahren.“

Auf dem Boden vor dem Tekiez liegen schon einige Gedenkkränze und Kerzen,
dazwischen blitzt noch eine Metalltafel durch, die in den Boden eingelassen
wurde. Sie erinnert neben Kevin S. auch an die damals vom Attentäter
getötete Jana L. und „die weiteren Opfer des antisemitischen
Terroranschlags am Jom Kippur 5780“.

## Ein Tag, der viele Leben verändert

Der 9. Oktober fiel 2019 ebenfalls auf einen Mittwoch. Es war ein Tag, der
für viele das Leben komplett veränderte. Wenige Minuten bevor der Terrorist
auf die Betreiber und Gäste des Kiez-Döners schoss, hatte er versucht, die
nahegelegene Synagoge zu stürmen. Dort feierten mehr als 50 Menschen Jom
Kippur – den höchsten jüdischen Feiertag.

Sie alle wollte der Täter mit selbst-gebauten Waffen und Sprengsätzen
töten. Minutenlang schoss er auf die Tür, warf Brandsätze. Die Tür hielt
ihm stand. Doch Jana L., eine Passantin, die zufällig an der Synagoge
vorbeiging, erschoss der Täter. Polizei war damals keine in der Nähe.

Am Mittwoch fünf Jahre später scheint die Sonne über Halle. Es ist halb
elf. Vor der Synagoge ist ein halbes Dutzend Gedenkkränze aufgereiht. Die
Polizei hat die Straße gesperrt, trotzdem kommen vereinzelt Menschen und
legen Blumen oder Kerzen vor der Mauer ab.

Gegen Mittag erreicht Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff
(CDU) die Synagoge. Gemeinsam mit Gemeindevorsteher Max Privorozki
begutachtet er die Gedenkkränze. Haseloff macht einen Schritt nach vorne,
zupft ein Band zurecht und geht dann in den Innenhof.

## Unterstützung aus München und Halle

Kurz darauf kommt İsmet Tekin, legt einen grünen Kranz ab, bleibt kurz
andächtig stehen und geht dann ebenfalls durch die offene Tür. Ihm folgen
weitere Überlebende und Hinterbliebene – nicht nur aus Halle. Auf T-Shirts
sind die Opfer der rechtsextremen Terroranschläge in München und Halle zu
sehen.

Um 12.03 Uhr beginnen alle Kirchen in Halle zu läuten. Zu der Zeit fielen
vor fünf Jahren die ersten Schüsse. Im Innenhof der Synagoge beginnt
Haseloff mit seiner Gedenkrede. Die Tat von damals zeige „Muster und
Einstellungen, die sich in unserer Gesellschaft auf erschreckende Weise
verbreiten.

Dies hat sich in ganz Deutschland leider auch in den Jahren nach dem
Anschlag deutlich gezeigt“, sagte er und spricht zum Ende noch einen Appell
aus: „Möge das Andenken an die Opfer uns immer daran erinnern, dass der
Kampf gegen den Hass niemals enden darf.“

Für viele der Überlebenden und Hinterbliebenen war die Zeit nach dem
Terroranschlag allerdings auch ein Kampf um Anerkennung. Tekin sagt der taz
erst kürzlich im Interview: „Die Stadt hat uns viel weniger unterstützt,
als sie versprochen hat.“

## Kampf um Anerkennung

Dagmar M. und Jens Z., die der rechtsterroristische Täter kurz darauf auf
seiner Flucht im nahegelegenen Wiedersdorf anschoss und schwer verletzte,
schreiben auf Instagram, sie müssten sich seitdem immer wieder für ihre
Verletzungen rechtfertigen. Außerdem kämpften sie darum, dass es ihnen
„finanziell nicht schlechter geht als vor dem Anschlag“.

Nach der Gedenkveranstaltung in der Synagoge kommt Reiner Haseloff um kurz
vor drei Uhr zum Tekiez. Wieder ist viel Polizei vor Ort. Haseloff gibt
Tekin kurz die Hand und posiert neben ihm für ein Foto. Dann warten sie auf
den Ehrengast: Bundespräsident Steinmeier. Der fährt etwa fünfzehn Minuten
später vor und bleibt für eine halbe Stunde, bevor er weiter zur Synagoge
fährt.

Später appelliert Steinmeier in seiner Rede bei der offiziellen Gedenkfeier
der Stadt, die Gesellschaft solle gemeinsam erinnern und der Gefahr der
Radikalisierung entgegentreten. „Wir sind nicht machtlos“, sagt er.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, forderte mehr Einsatz
für die Menschenwürde und Respekt vor verschiedenen Religionen und
unterschiedlicher Herkunft.

Am Abend ist vor dem Gedenkort Tekiez noch eine Kundgebung geplant. Sie
beginnt nach dem Redaktionsschluss der taz. Aber bei ihr soll es nicht nur
ums Erinnern gehen, sondern auch darum, dass Gesellschaft und Politik bei
Antisemitismus, Misogynie und Rassismus zu oft wegsehen.

9 Oct 2024

## AUTOREN
David Muschenich
## TAGS
Halle
Attentat
Antisemitismus
Frank-Walter Steinmeier
Reiner Haseloff
GNS
Halle
Halle
Halle
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fünf Jahre nach dem Anschlag in Halle: „Ein Schmerz, der uns zusammenhält“
İsmet Tekin und Valentin Lutset haben den Anschlag in Halle überlebt.
Seither sind sie Freunde. Und kämpfen gemeinsam gegen den Hass.
Nach Geiselnahme im Gefängnis: Sieben Jahre für Halle-Attentäter
Wegen des Terroranschlags in Halle wurde Stephan Balliet zur Höchststrafe
verurteilt. Nun folgt eine neue Strafe wegen Geiselnahme hinter Gittern.
Vierter Jahrestag des Halle-Anschlags: „Es ist wichtig, wie wir erinnern“
Der rechtsextreme Anschlag von Halle (Saale) jährt sich am 9. Oktober.
Angehörige und Unterstützer*innen wie Alma Roggenbuck kämpfen um das
Gedenken.