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Er ist der große Unbekannte der holländischen Politik. Jeder hat ihn schon
einmal gesehen und gehört, jeder weiß, dass er Jahrzehnte seines Lebens in
Den Haag abgespult hat, dort, wo seit Menschengedenken Regierung und
Parlament der Niederlande eingepflanzt sind und er über 13 Jahre die Zügel
in der Hand hielt. Doch wer Mark Rutte wirklich, wahrhaftig und vor allem
leibhaftig ist, blieb stets ein gut verriegeltes Geheimnis.
Seine Funktionen als Politiker – und er funktionierte rund und nahezu
reibungslos – lagen offen für jedermann zutage, doch der Mensch – und er
war doch einer! – blieb hinter dem Vorhang. So jovial er auf der
internationalen Bühne auftrat und mit allen konnte, so verschlossen und von
oben bis unten zugeknöpft hielt er sein Privatleben.
Selbstverständlich hätte in den liberalen Niederlanden niemand etwas daran
auszusetzen, wenn Mark Rutte mit einem Mann wie er selbst verheiratet wäre
oder sogar eine Frau in den Hafen der Ehe geschleust hätte; auch
Haustierhaltung ist in Holland kein Tabu. Doch Rutte hält den Deckel auf
dem kalten Topf, er war sich immer selbst genug.
So bleibt der neugierigen Weltbevölkerung nur zu spekulieren. Man weiß,
dass er ein 1,95 Meter langer Holländer ist – baut er zu Hause als
Gegengewicht kurze Tomaten an? Oder züchtet ebenso große Tulpen in einem
kleinen Garten? Ist Käse oder doch Gouda seine Leib- und Magenspeise? Malt
er heimlich à la Rembrandt die Wände voll? Wie erreicht er in einem
bitteren Winter sein Büro? Können seine Füße, wie die von 17 Millionen
Landsleuten, schlittschuhlaufen, trotz des großen Abstandes vom Kopf bis
unten? Und kann er wegen der ständig drohenden Überflutungen überhaupt
schwimmen und seinen Schreibtisch erreichen?
## Vater in den Kolonien
Fragen über Fragen, doch weit und breit keine genauso kluge Antwort. Sicher
ist nur, dass Mark Rutte Eltern hatte und sein Vater Handelsdirektor zuerst
in der Kolonie Niederländisch-Indien, dann in Niederländisch-Holland war.
Auch, dass er geboren wurde: Am 14. Februar 1967 war Mark Rutte da. Aber
sonst? Die Fragen hängen weiter in der Luft: Wer ist Mark Rutte und warum?
Ist er nun bis unter den Saum überzeugter Calvinist wie seine Herren Eltern
– einer Religion, die es jedem Menschen auferlegt, die höheren Orts (Gott &
Co) prädestinierte, entweder im Himmel oder der Hölle endende Erdenbahn
ohne Murren abzuschleimen? Wie kann die Vorsehung ihn dann zum Mitglied der
niederländischen FDP machen, der Volkspartij voor Vrijheid en Democratie,
diesen zwei teuflischen Gegenspielern des echten Glaubens?
Einer Volkspartij nota bene, die Rutte 2002 als Staatssekretär in das
Ministerium für Arbeit und Soziales beförderte, 2004 auf den gleichen
Posten im Ministerium für Erziehung, Kultur und Wissenschaft überführte und
2006 auf den Stuhl des Fraktionsvorsitzenden setzte – da konnten die
stärksten Kontrahenten machen, was sie wollten, Gott war eben noch stärker!
Oder konnte höchstselbst nichts dawider tun, da streitet das bunte Völkchen
der Theologen noch, denn längst nicht alle Holländer sind heute noch
schwarze Calvinisten; eine Entwicklung, gegen die sogar Gott hilflos war.
So oder so, 2010 durfte oder eben musste der alte Herr mit-ansehen, wie ein
mit seinen Aufgaben gewachsener Rutte als Ministerpräsident endlich das
ganze Land buchstäblich unter seiner Glocke hatte – mit seinen nun 1,98
Meter! Damit Herr über Glück und Tod seiner Landsleute, agierte er je nach
Sonnenstand und Ekliptik mal rechtsliberal, mal sozialliberal, mal
konservativ und mal fortschrittlich, das eine in Taten, das andere in
Worten, und befolgte schon als Zivilist die Strategie der Flexiblen
Response, die den Angreifer nur zerkratzt, anstelle massiver Vergeltung,
die den Feind vollständig zertrampelt.
## Meister des Frackings
Flexibel respondierte er, als Gasbohrungen in der Provinz Groningen
Erdbeben auslösten und Häuser zerrissen: Er erhöhte die Fördermenge noch
und ließ schnell alles aussaugen, bevor er das ausgepumpte Erdgasfeld
schloss. Und als die Behörden – gedeckt durch seine neoliberal verdrehte
Politik gegen angebliche Sozialschmarotzer außerhalb von Regierung,
Parlament und Aufsichtsräten – von lauter braven Familien Zuschüsse von bis
zu 30.000 Euro zurückforderten, obwohl sie rechtmäßig gezahlt worden waren,
verzichtete Rutte auf jede massive Vergeltung gegen sich und regierte
einfach unzerkrümelt weiter.
Die Skandale konnten noch so groß sein, Rutte mit seinen bald mehr als zwei
Metern war immer größer. Am allergrößten aber, und damit wird das eingangs
skizzierte Rätsel nun gelüftet, ist seine heimliche Liebe: das Militär, und
der Krieg seine verbotene Liebe.
Seit 2014, als über der Ukraine ein niederländisches Passagierflugzeug
abgeschossen wurde, ist seine Libido auf Gefahr, Gewalt und Kampf gegen den
Russen geeicht, der als Schuldiger an dem Absturz ausgemacht wurde und bis
heute nicht hinter Gittern schmachtet. Wenn Mark Rutte ab heute als frisch
polierter Generalsekretär die Nato übernimmt, wird er Sorge tragen, dass
der Iwan niemals uns alle abschießt und in Stücke reißt – sondern
umgekehrt.
In den Pausen des Kalten und Warmen Kriegs aber setzt er sich auf seinen
Lieblingsschemel vor ein Klavier und klimpert in höchsten Tönen Musik. Denn
sein ureigenstes Geheimnis ist, dass er eigentlich hauchzarter Pianist
werden wollte. Einer mit weichen Fingern. Die nun in der Nato stecken.
Hauptsache, Mister Normalo darf sein Mysterium für sich behalten.
1 Oct 2024
## AUTOREN
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