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Plötzlich ist es Herbst, und ich bin umgezogen. Nicht freiwillig, ich
musste, und wenn umziehen an sich schon anstrengend und nervig ist, dann
ist es in einem solchen Fall etwas, wofür es noch keine gute Metapher gibt.
Jeder Gegenstand birgt eine Erinnerung, alles muss getrennt werden, Bilder
und Kaffeekannen, Bettwäsche (ach!), Fotos, Schallplatten, Bücher. All die
Dinge, die man anschafft, füreinander, die nicht dafür gedacht waren,
einmal getrennt zu werden, weil sie zusammen bedeuten, weil sie getrennt
nichts mehr sind.
Alles ist staubig, nichts mehr zu finden, Schrauben, Werkzeug überall, aber
nie das, was man braucht. Glühbirnen gehen kaputt, Holz splittert, und
alles, was passiert, scheint ein Bild für den Zustand, in dem man sich
selbst befindet, in diesem Falle: ich. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin,
ich weiß nicht mehr, wer ich war. [1][War ich wir,] war ich ich?
Gegenstände umkreisen mich, aussortiert, ausgesucht, was will ich noch, was
brauche ich, was tröstet mich und was ersetze ich?
Plötzlich ist es Herbst, und ich wohne woanders, zur Untermiete wohne ich,
aber ich wohne. Ach, du wohnst? In Hamburg? Wirklich? Wie nett, das würde
ich auch gern. Sieh mal an, sie wohnt. Glück gehört dazu. Einfach
daherkommen und wohnen wollen, das geht ja nicht. Da muss man schon
irgendwie, ich weiß auch nicht.
## Ununterbrochen donnern die Lkws
An der Harkortstraße in Hamburg-Altona, direkt an der ehemaligen
Holstenbrauerei, die jetzt in Schutt und Schutt liegt, auf deren Gelände
giftgrüne Seen schillern, auf deren Gelände lange schon Wohnungen gebaut
werden sollen, stehen Altbauwohnungen leer.
An der [2][Stresemannstraße] donnern ununterbrochen die Lkws, die Autos,
die Busse. An der Stresemannstraße wohnen Menschen, wohnen Kinder, die
ganze Straße entlang. Sie müssen wohnen, sie wohnen eben da.
Warum müssen Menschen an der Stresemannstraße wohnen? Warum gibt es eine
Stresemannstraße? Warum gibt es keine besseren Wohnungen für die Menschen,
die an der Stresemannstraße wohnen? Meine neue Nachbarin wird von
Sanitätern abgeholt, im Treppenhaus höre ich sie laut stöhnen.
Ich bin umgezogen, Freund*innen haben Kuchen mitgebracht, ziehen mit mir
um, schenken mir Pflanzen und Kuchen und sich noch dazu.
## Und ich denke, denk nicht so!
Ich bin hier neu und fühle mich alt. Fühle mich traurig, fühle mich
nüchtern. Trete aus mir heraus und sehe mich um. Kehre in mich zurück und
verkrieche mich. Gehöre nicht hierher, bin hier gelandet, mache es mir
schön, will nie mehr auf die Straße gehen. Derweil gibt es anderswo
Überschwemmungen, und ich denke, alles wird immer schlimmer. Und ich denke,
denk nicht so! Und ich denke, denk nach vorn! Was wartet da? Klimakrise und
Turbokapitalismus.
Ich sitze in meinem Untermietzimmer und draußen ist es kühl geworden,
sonnig, golden. Auf der Stresemannstraße fahren die Lkws immer weiter und
an der Stresemannstraße wohnen die Kinder immer weiter, glauben vielleicht,
dass sie eine Zukunft haben.
Meine neue Nachbarin liegt im Krankenhaus und stöhnt nicht mehr, so hoffe
ich. Wenn sie wiederkommt, werde ich klingeln und sagen: Guten Tag, hier
wohne jetzt ich, und wenn Sie Mehl brauchen oder Hilfe …
Mir geht es nicht so besonders gut, aber ich wohne nicht direkt an der
Stresemannstraße, sondern hundert Meter weiter. Am Kiosk an der Kreuzung
hängen sie rum und sind verrückt und laut und trinken.
22 Sep 2024
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