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Zugbistro, 17.34. Ich bestelle Kaffee. Die Verkäuferin hält das
[1][Kartenlesegerät] hin und sagt, ich habe sicher eine Frau. Ich solle
mich hier wie bei ihr verhalten. Wenn ich mache, was sie sage, sei „alles
gut“.
Lol, was die mir alles unterstellt: Dass ich hetero und verheiratet bin mit
einer Person, die sich so verhält wie ein Kartenlesegerät und dass alles
gut sei, solange ich mich ihr unterwerfe.
Ich finde es cute, wie direkt die Mitarbeiterin ist. Und interessant, wie
selbstverständlich sie mich in ihre Welt ziehen will, die sie als objektive
Wirklichkeit liest.
Das alles könnte mir scheißegal sein, aber ich habe diesen inneren Drang.
Will stets wissen, was mich macht. Allumfassendes Spüren, bevor der
Verstand sich das Erlebte zum Krimi zurecht denkt.
Ich mache, was das Gerät sagt, verberge mein Grübeln hinter einem Lächeln
und sage danke. Ambiguitätstoleranz ist voll wichtig. Ein Skill, den ich
morgen noch brauche. Ich fahre zum [2][Abitreffen] an meinen alten Wohnort.
Je näher ich komme, desto größer die Angst vor der Begegnung mit den
Ex-Mitschüler*innen. Ich antizipiere Gespräche über Karrieren, Kapital und
Scham. Ich bin kinder-, beziehungs- und besitzlos, ohne festen Job.
Am Bahnhof holt mich meine Mutter ab. Ich freue mich, sie zu sehen, auch
weil sie beim Thema Selbstzweifel eine Verbündete ist. Sie sagt, ich sähe
unglücklich aus. Dabei lächle ich doch die ganze Zeit, oder nicht? Ich
sollte meine Emotionen besser steuern.
## Fuckup sein
Beim Abitreffen haben dann alle viel. Lea hat zwei Kinder, ein Haus, zwei
Autos. Stefan hat drei Kinder, ein Auto. Nele hat kein Haus, aber zwei
Autos, vier Kinder usw. Und ich? Beantworte fast alle Fragen mit Nein.
Denke, was ein Fuck-up ich doch bin. Ich fühle mich ironisch gestreichelt
von der unsichtbaren Hand des Marktes, Hüterin aller Kategorien, die mich,
die Zug-Mitarbeiterin und Ex-Mitschüler*innen regieren.
Aus Trotz schlüpfe ich in mein 16-jähriges Selbst. Damals lebte ich von
Bier, Punkrock und Illusionen, ahnte nur wenig vom Kartenlesegerät oder
Kategorienzwang. Ich werde, dachte ich damals, sowieso von einer
Bierflasche am Kopf, einem getunten Auto oder von Traurigkeit ohne Ventil
umgebracht worden sein.
Nichts davon wurde wahr. Heute lebe ich ganz okay außerhalb der Kategorien,
bin aber ein Loser, wenn ich mich über sie definieren soll.
Als ich mit allen anstoße, überlege ich, ob das alles eher ein Problem der
Sprache ist, die von Substantiven dominiert wird und Verben verdrängt?
Dinge haben, Häuser, Kinder, Jobs – statt zu „leben“, zu „lieben“, zu
„arbeiten“. Haben statt sein. Da kann ich nicht mithalten.
Eine Sache besitze ich im Überfluss, zumindest im Kopf: Müll. Ich wünschte,
ich könnte ihn leeren wie am PC und dieses raschelnde Geräusch erzeugen.
Doch er kommt ständig zurück. Ich kann ihn nur loswerden, wenn ich ihn
durch neuen Müll ersetze. So wie alles, das eigentlich für sich selbst
stehen könnte, stets einen Begriff benötigt, um zu existieren – um dahinter
zu verschwinden.
Ich glaube, bevor es Sprache gab, reagierten Menschen nur auf direkte
Stimuli, alles war einzigartig. Heute filtern Menschen alles durch
Kategorien.
Wie hätte die Verkäuferin sonst das Gerät erklärt? Ich will es gar nicht
wissen.
17 Sep 2024
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