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Paris taz | Nach einer fast viertägigen Polizeihaft ist der
russisch-französische Internetunternehmer Pawel Durow in Paris am
Mittwochabend auf freien Fuss gesetzt worden – gegen ein Zahlung von fünf
Millionen Euro Kaution. Er darf jedoch bis auf Weiteres Frankreich nicht
verlassen und muss sich zur Kontrolle zwei Mal pro Woche auf einem
Polizeikommissariat melden.
Im [1][Anschluss an die Befragungen in Polizeihaft] wurde ein
Ermittlugsverfahren gegen den Gründer des Messenger-Dienstes Telegram
eingeleitet, das zu einer Anklage vor Gericht oder aber zur Einstellung der
Verfahren – falls die Anschuldigungen nicht ausreichend belegt werden
können – führen wird.
Die französische Justiz will ihn wegen Beihilfe zu Cyberkriminalität
verantwortlich machen. Ihm wird vorgeworfen, dass er als CEO nichts gegen
die kriminellen Aktivitäten (Waffen- und Drogenhandel, Verbreitung
pädopornografischer Inhalte) auf Telegram-Kanälen unternommen und jede
Herausgabe von Informationen an Justizbehörden verweigert habe.
## Frankreich will womöglich Exempel statuieren
Durow hatte im Namen der uneingeschränkten Freiheit und zum Schutz der
Telegram-Nutzer (es sind weltweit rund eine Milliarde) von Beginn an
jegliche „Zensur“ oder Eingriffe in die Privatsphäre der verschlüsselten
Kommunikationen abgelehnt.
Mit diesem als Exempel für andere Internetplattformen dienenden Vorgehen
möchten die französischen Justizbehörden den Giganten der Digitalwirtschaft
ein Signal senden. Diese konnten sich bisher über nationale Gesetze und
Gerichte erhaben fühlen. Die Epoche, in der große Internetunternehmen
unbehelligt jede Verantwortung für unkontrollierte Aktivitäten zurückweisen
konnten, scheint vorbei zu sein. Ein Prozess gegen Durow könnte in dieser
Hinsicht einen Präzedenzfall schaffen.
Schon die Festnahme des 39-Jährigen am Samstag hatte weltweit Aufsehen und
Empörung ausgelöst. Gleichzeitig lieferte sie Material für zahlreiche
Gerüchte und Spekulationen zu Umständen und Hintergründen. Laut der
satirischen Wochenzeitung Le Canard enchaîné habe der vom Empfang völlig
überraschte Durow vor den Beamten behauptet, er werde vom Staatspräsidenten
Emmanuel Macron im Elysée-Palast zu einem Treffen oder Dinner erwartet.
Das hat der französische Staatschef umgehend mit dem Hinweis dementiert, er
sei am Samstag gar nicht in Paris, sondern wie häufig am Wochenende in
seiner Residenz in Le Touquet gewesen. Laut Recherchen der Zeitung Le Monde
hatte Macron Durow jedoch früher mehrmals getroffen, so beispielsweise 2018
zu einem Geschäftsessen, das in der offiziellen Agenda des Präsidenten
nicht aufgeführt war. In jüngerer Vergangenheit aber habe Durow keinen
Termin in Paris gehabt.
## Wilde Spekulationen im Netz
Auf X glauben einige gar zu wissen, dass Macron den Internetunternehmer mit
einer Einladung in die Falle gelockt habe. Andere Anhänger von
konspirativen Thesen liefern derzeit auf diversen Internetkanälen eine ganz
andere Interpretation: Es sei im Gegenteil Durow selber gewesen, der in
Polizeigewahrsam gebracht werden wollte. Er habe sich gestellt, weil er
sich angeblich vom russischen Geheimdienst, mit dem er nicht kooperieren
wollte, bedroht gefühlt habe.
Die [2][Beziehungen Durows zu Putin und seinem Nachrichtendienst FSB sind
komplex]. 2014 flüchtete er offiziell aus Russland und wohnt seither in
Dubai. Seine Plattform wird sowohl von Oppositionskreisen wie auch von der
staatlichen Propaganda benutzt. Sowohl die Regierung als auch
Putin-Kritiker haben sich über die Festnahme von Durow und eine damit
einhergehende Gefährdung der Freiheit auf Telegram empört.
Plausibel tönt der Hinweis, Durow gehe wegen Telegram echte Risiken ein,
weil diese Kommunikations-App von russischen Ministern und Spitzenbeamten,
aber auch vom russischen Militär bei der Organisation und Koordination der
Offensive gegen die Ukraine benutzt werde.
## Unklare Grundlage für Einbürgerung
Falls Durow also, entgegen seiner bisherigen Weigerung, einer europäischen
Behörde Daten und Informationen oder den Zugang zur Verschlüsselung bei
Telegram gebe, könnte dies für Moskau und die Fortsetzung des Kriegs gegen
die Ukraine fatale Folgen haben! Durows Anwälte hatten gleich nach der
Festnahme versichert, ihr Klient habe nicht die Absicht, mit der Justiz zu
kooperieren.
Weiterhin dubios erscheinen die speziellen Umstände, unter denen [3][Durow
2021 die französische Staatsbürgerschaft erhalten] hat. Denn Durow erfüllte
keines der Kriterien für eine normale Einbürgerung. Er erhielt den
französischen Pass im Eilverfahren dank einer speziellen Prozedur, die
(ausschließlich Französisch sprechenden) Persönlichkeiten vorbehalten ist,
die besondere besondere Leistung zugunsten Frankreichs erbracht haben.
In welcher Weise Durow sich für Frankreichs Interessen besonders verdient
gemacht habe, sagt das für Einbürgerung zuständige Außenministerium unter
Berufung auf das Amtsgeheimnis nicht. Le Monde kommt zum Schluss, dass dem
Antrag nicht ohne Wissen oder Zutun des Staatschefs stattgegeben werden
konnte. Wenig später wurde Durow zudem erlaubt, auf seinem Pass den
französischer klingenden Namen Paul du Rove eintragen zu lassen.
So viele Gunstbezeugungen werfen Fragen auf. Die gute Nachricht für Durow
könnte sein, dass Frankreich eigene Staatsbürger nicht an die
US-Justizbehörden ausliefern. Auch die versuchen schon länger, Kontrolle
über Telegram zu erhalten. Inzwischen haben die französischen Behörden
offenbar auch einen Haftbefehl gegen Durows Bruder und Telegram-Mitgründer
Nikolaj erlassen, wie Politico unter Berufung auf Ermittlerkreise
berichtete. Sein Aufenthaltsort sein derzeit unbekannt.
29 Aug 2024
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