# taz.de -- Debatte über Migrationspolitik: Jenseits des Grundgesetzes

> Die Bundesregierung reagiert mit Asylverschärfungen auf den Anschlag von
> Solingen. Damit ist sie denen, die sie bekämpfen will, näher, als sie
> glaubt.
Der mutmaßlich islamistische Terroranschlag von Solingen erschüttert
Deutschland. Ein 26-jähriger Syrer hat auf dem dortigen Stadtfest mit einem
Messer [1][drei Menschen getötet und acht verletzt]. Auf die schreckliche
Tat folgten Tage diskursiven Durcheinanders: Einerseits versuchten die
üblichen Verdächtigen, den Anschlag für ihre Zwecke zu nutzen.

Andererseits schlossen sich auch jene links des konservativ-rechten
Spektrums den populistischen Illusionshändlern an und verflochten das
Problem des islamistischen Terrors mit Migration. Und so startete auch
schon am Freitagmorgen, einen Tag nachdem die Bundesregierung
Asylrechtsverschärfungen verkündet hatte, ein [2][Abschiebeflug nach
Afghanistan] – der erste, seitdem die islamistischen Taliban dort die Macht
übernommen haben.

Zuvor hatte der politische Überbietungswettbewerb schnell den Rahmen der
Vernunft, der Machbarkeit und sogar des Grundgesetzes verlassen. Der
[3][CDU-Vorsitzende Friedrich Merz forderte], pauschal keine Geflüchteten
mehr aus Syrien und Afghanistan aufzunehmen, Menschen dorthin abzuschieben,
auch wenn ihnen Tod und Folter drohen, und ausreisepflichtige Straftäter in
zeitlich unbegrenzte Abschiebehaft zu stecken.

Fatal ist, dass die anderen demokratischen Parteien dem nicht entschieden
widersprachen, sondern mitspielten – teilweise, indem sie Merz zustimmten
und seine Einlassungen mit eigenen realitätsfernen und inhumanen
Vorschlägen ergänzten, so wie die FDP; teilweise, indem sie die Themen
islamistischer Terror und Migration genauso willkürlich vermischten, so,
wie es SPD und Grüne taten.

Bundeskanzler [4][Olaf Scholz (SPD) kündigte Gespräche] mit der Union und
Vertretern der Länder über Änderungen in der Migrationspolitik an.
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) beklagte [5][ausbleibende Abschiebungen].
Mit einem Positionspapier forderten die Grünen eine [6][„Zeitenwende im
Inneren“] und meinten damit auch die Migrationspolitik.

Einen Vorgeschmack auf das noch Bevorstehende gab es schließlich am
Donnerstagabend, als die Bundesregierung [7][ein neues Asylpaket] zur
Verschärfung der Migrationspolitik ankündigte. Damit streicht sie
Geflüchteten, für deren Asylantrag andere EU-Staaten zuständig sind, alle
Leistungen und senkt Schwellen für Abschiebungen. Wohlgemerkt handelt es
sich dabei erst um eine Gesprächsgrundlage für das bevorstehende Treffen
mit der CDU, die diese Pläne schon als unzureichend kritisierte.

## Merz will der Ampel den letzten Schlag versetzen

Man könnte nun sagen: Die demokratischen Parteien lassen sich treiben von
der AfD und ihrem befürchteten Erfolg bei den [8][Landtagswahlen in
Sachsen, Thüringen und Brandenburg]. Aber getrieben wirken sie nicht
wirklich. Eher dankbar für die Gelegenheit, nun allzu bereitwillig Hand an
das Asylrecht anlegen zu können. Merz sieht außerdem die Gelegenheit, der
taumelnden Ampelregierung den letzten Schlag versetzen zu können.

Dass die Wortmeldungen der AfD gerade untergehen, ist kein Zeichen ihrer
Schwäche, im Gegenteil, die anderen Parteien verbreiten jetzt ihre
rassistische Propaganda. Die AfD braucht sich nur zurückzulehnen.
Rechtsextreme und Islamisten wollen Schluss machen mit dem demokratischen
Grundsatz, dass Individuen für ihre Handlungen haften. Sie wollen
Kollektivbestrafungen und Sippenhaft. So, wie Islamisten den Westen als
Gemeinschaft verachten, verachten Rechtsextremisten Menschen, die nicht in
ihr völkisches Weltbild passen. Wer nun Asylbewerber unter Generalverdacht
stellt, passt sich dem an.

Aktuell stehen Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan im Fokus. Aber auch
andere Menschen mit Migrationsgeschichte ahnen längst, dass sie früher oder
später Gegenstand solcher Debatten werden. Dass CDU-Chef Merz auch
Liberalisierungen im Staatsbürgerschaftsrecht rückgängig machen möchte,
deutet an, wohin die Reise geht: Ausländer raus! So mehrheitsfähig war
diese rechtsextreme Forderung in Deutschland lange nicht mehr.

All das ändert nichts daran, dass islamistischer Terror kein individuelles,
sondern ein politisches Problem ist. Hinter islamistischem Terror stecken
Ideologie, Organisation, gesellschaftliche Akzeptanz. Wie gut können
deutsche Sicherheitsbehörden Terroranschläge antizipieren und verhindern?
Welche diplomatischen Abhängigkeiten halten sie davon ab, entschiedener
gegen die Repräsentanten des Islamismus in Deutschland vorzugehen? Werden
in der Präventionsarbeit alle Möglichkeiten ausgeschöpft?

Darüber sollte jetzt debattiert werden – und nicht darüber, wie man
Asylbewerber am besten schikanieren kann. Auch wenn es eine verlockende
Vorstellung ist: Islamismus ist keine Lkw-Ladung Tomaten, die man an der
Grenze einfach zurückweisen kann.

30 Aug 2024

## LINKS
[1] /Anschlag-in-Solingen/!6032053
[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/flug-nach-kabul-gestartet-deutschland-schiebt-afghanische-straftaeter-in-ihr-heimatland-ab-a-f01c0bb1-b5a8-41cd-977d-098a0c165ca6
[3] /Nach-Messerangriff-in-Solingen/!6029864
[4] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/faeser-migration-gespraeche-union-laender-100.html
[5] /Nach-dem-Anschlag-in-Solingen/!6033173
[6] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/solingen-gruene-faeser-abschiebung-waffenrecht-100.html
[7] /Neues-Asylpaket/!6029267
[8] /Landtagswahlen-im-Osten/!6029856
## AUTOREN
Volkan Ağar
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bekommen.